Süddeutsche Zeitung

Clemensburg in Schwabing:Auf ein Bier bei einer 100-Jährigen

Stammgast Peter und die ganz Linken: Seit 100 Jahren treffen sich die Schwabinger in der Clemensburg. Unangepasst ist die Kneipe noch immer.

Lisa Sonnabend

Peter ist schon seit Jahren nicht mehr aufgetaucht in der Clemensburg, einer Traditionskneipe in Schwabing. Doch an seinem Stammplatz ist alles unverändert. Peter stand immer am gleichen Ort, gleich am Eingang, an eine Säule gelehnt. Hingesetzt hat sich der Stammgast nie, geredet auch nicht viel, allenfalls ein paar Worte mit der Kellnerin. Peter hat Kette geraucht und jeden Abend genau vier Helle und einen Schnitt getrunken. Als Peter vor vielen Jahren Geburtstag hatte, haben einige Gäste ihm ein Schild mitgebracht, auf dem "Petersplatz" stand, und haben es an der Säule befestigt. Seiner Säule. Dort hängt es noch heute. Doch seit die Clemensburg 2005 wegen Renovierung für einige Monate geschlossen hatte, ist Peter hier nicht mehr gesehen worden. "Es war bei ihm einfach Gewohnheit", sagt Helmar Tinnes.

Nun ist Tinnes jeden Tag hier. Der 44-Jährige war jahrelang Stammgast, seit 2005 ist er der Wirt der Kneipe in der Clemensstraße 61, die 1909 eröffnete und es somit bereits seit 100 Jahren gibt. "Die Clemensburg ist eine Kneipe, wie es sich gehört", sagt Tinnes. Anekdoten wie die von Peter gibt es zahlreiche über die Clemensburg zu erzählen und der 44-Jährige kennt sie fast alle.

Zum Beispiel auch diese: Als Tinnes im Zuge der Renovierungsarbeiten die Holzvertäfelung an den Wänden rausriss, stieß er auf alte Zeitungen aus den dreißiger Jahren, die als Isolierung in die Wände gesteckt worden waren und inzwischen ganz vergilbt und angekokelt waren.

Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete eine Genossenschaft den Gebäudekomplex in der Clemensstraße, in dessen Erdgeschoss sich von Anfang an die Clemensburg befand. Auch heute noch ist die Kneipe in Hand der Genossenschaft und die Pacht deswegen verhältnismäßig günstig. Zu Beginn war die Clemensburg eine Wirtschaft, in die die Nachbarn zum Essen kamen - oder auch nur, um sich aufzuwärmen. Denn die meisten Münchner hatten damals keine Heizung und die Clemensburg war verpflichtet, den Nachbarn Unterschlupf zu gewähren, damit sie sich an dem Ofen in der Ecke aufwärmen konnten.

Die Münchner Räterepublik und zwei Weltkriege hat die Clemensburg miterlebt. Im Nebenzimmer, das damals noch durch eine Wand von der Bar getrennt war, trafen sich zur Zeit des Nationalsozialismus einschlägige Personen.

In den sechziger und siebziger Jahren wurde die Clemensburg dann eine Heimat der linksalternativen Szene. "In dem einen Straßenblock entfernten Heppel & Ettlich trafen sich die Linken", sagt Tinnes. "In der Clemensburg die richtig Linken." In der von dem damaligen Wirt Wolfi eingerichteten Volxküche bekam jeder etwas zu essen. An den schmalen schwarzen Holztischen, die heute immer noch in der Kneipe stehen, wurde diskutiert über Andreas Baader, Mao und später über die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf.

Wirt Wolfi, der die Kneipe 25 Jahre lang betrieb, hat sich inzwischen auf der Kanareninsel La Palma zur Ruhe gesetzt. Danach übernahm Rudi für fünf Jahre das Lokal und 2005 schließlich Helmar Tinnes.

Die Einrichtung ist fast beim Alten geblieben. Die Wände sind schwarz vertäfelt, viele Stühle sind inzwischen ein wenig wackelig, die Tische haben schon zahlreiche Kratzer und Gravuren abbekommen. Das Essen kocht der Wirt immer noch selber. Es tönt Musik der Sechziger bis Achtziger aus den Lautsprechern. Auch die zahlreichen Aufkleber, die an den Wänden hängen, erinnern an alte Zeiten. "Ich bin Atheist, Gott sei Dank" steht da neben einem Konterfei von Che Guevara und einem Werbeslogan für die APPD. "Non-established since 1909" - so steht es auf dem Schild am Eingang zur Clemensburg. Anders und unangepasst ist das Lokal auch heute noch.

Doch Tinnes war die Clemensburg "ein bisschen zu politisch". Die KPD-Plakate ließ er deswegen entfernen. Stattdessen hängen nun Fanschals das FC Schalke 04 an der Wand. Statt über Politik zu diskutieren, spielen die Gäste Karten oder werfen Pfeile auf die Dartscheibe. Hitzig wird es hier meist nur, wenn es um das Thema Rauchverbot geht. Denn dass die Clemensburg ein Raucherlokal sein muss, finden alle und zünden sich eine weitere Zigarette an. "90 Prozent der Gäste sind Raucher", schätzt Tinnes. Vor wenigen Wochen kam das Kreisverwaltungsreferat zum Nachmessen, denn nach dem neuen Nichtraucherschutzgesetz darf in Bayern nur in Kneipen unter 75 Quadratmetern geraucht werden. Tinnes hatte Glück. Die KVR-Mitarbeiter kamen auf 73,5 Quadratmeter. Die Umsätze wären sonst um die Hälfte eingebrochen, schätzt Tinnes.

Dennoch will Tinnes im kommenden Jahr den Beruf als Wirt aufgegen - obwohl die Clemensburg immer noch gut besucht ist. 80 Stunden die Woche stehe er hinter dem Tresen, klagt er. Und auch der bürokratische Aufwand werde immer größer. Er sucht noch nach einem neuen Pächter, damit in der Clemensburg auch im 22. Jahrhundert noch Anekdoten von früher erzählt werden können.

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