Den Atem anhalten, bangen, mitfiebern, das ist die Würze einer Zirkusvorstellung. Diesmal aber geht der Schock tiefer, und das gleich zweimal – nicht nur beim Publikum, sondern ebenso bei den Menschen in der Manege und hinter den Kulissen. Ausgerechnet bei der Weltpremiere des neuen Tournee-Programms des Circus Krone auf der Münchner Theresienwiese. Was ist passiert? Zunächst stürmten Tierschützer die Vorstellung mit Transparenten. Dann stürzte eine Reiterin von einem Kamel und musste ins Krankenhaus gebracht werden.
Während die meisten Gäste sich die gute Laune nicht verderben ließen und immer wieder stehend Beifall spendeten, war der Schrecken anderen durchaus anzumerken. Auch einige Prominente schlugen bei der anschließenden Premierenfeier nachdenkliche Töne an.

Schon zum Einlaufen am roten Teppich gegenüber dem mächtigen Eingangsportal hatten sich 40 Tierschutzaktivisten postiert und lautstark „Kein Applaus für Tierquälerei“ skandiert. „So eine Begrüßung macht schon was mit einem“, sagte etwa Markus Othmer. Dabei habe der BR-Radio- und Fernsehmoderator selbst eine „große Zirkusliebe“ in sich. Und doch war der Abend nicht ungetrübt für ihn. Den Tierschutzprotest fand er zwar angemessen, „weil es darum, geht, Bewusstsein zu schaffen. Aber die Löwen einfach freizulassen, das geht ja auch nicht.“
Sicher nicht für Zirkusdirektor Martin Lacey jr., dessen Raubtierdressur – angekündigt als „meistprämierte der Welt“ – die Zugnummer des Circus Krone ist. Wohl auch in Zukunft. Sein 17-jähriger Sohn Alexis Lacey-Krone stand an diesem Abend zum ersten Mal allein vor Publikum im Käfig mit zwei Tigern und einem Löwen. Der Vater bändigte insgesamt 15 Raubkatzen, schmuste und raufte mit ihnen, man merkte seine Verbindung zu jedem einzelnen Tier. Die wollte nachher auch ein Ehrengast bestätigen: Die Tänzerin und Choreografin Tiger Kirchharz („Bibi Blocksberg“, „Step-up Miami“), erklärte „Katzenfreundin“, sagte, sie kenne Lacey persönlich sehr gut und auch seine Fürsorge für die Tiere: „Die werden bei ihm zu nichts gezwungen“, sagte sie. Deshalb glaube sie, dass auch die anderen Krone-Artisten ihre Tiere „mit Respekt behandeln“.
Für die Protestierenden aber ist jede Dressur „Tierquälerei“. Mit der von der Organisation V Partei organisierten Demonstration forderten sie ein Ende der „Ausbeutung“. Eine Teilnehmerin, die schon seit 15 Jahren dagegen kämpfe, beklagte, dass der Circus Krone „zum Teil mit Wildfängen“ arbeite und seine „Raubtiere munter weiterzüchtet und im Sommer durch die ganze Republik schleppt“. Auch Pferde, Hunde und Kamele sollten nicht zur Unterhaltung vorgeführt werden. „Tiere sind keine Clowns“, stand auf einem Plakat.
Nach einer clownesken Nummer einer „Hunderasselbande“, in der etwa die ganze Meute Polonaise tanzte, trugen Aktivistinnen der Organisation Animal Rebellion den Protest ins Zelt. Vier Protestierende, die sich Karten gekauft hatten, entrollten in den vorderen Reihen zwei „Tiere raus aus der Manege“-Banderolen. Ordner entrissen sie ihnen in einem Gerangel. Auf der anderen Seite schafften es zwei Störer kurz in die Manege, und wurden ebenso rasch nach draußen befördert und an die Polizei übergeben (inzwischen hat die Zirkusleitung Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet).


Er habe durchaus Verständnis für die Anliegen der Tierschützer, sagte Zirkuschef Martin Lacey hinterher, „aber das hier waren Fanatiker“. Mit dem schnellen Eingreifen der Ordner habe man Publikum und Artisten schützen müssen (während die Tierschützer beteuern, von ihnen sei keinerlei Gefahr ausgegangen, vielmehr seien sie verletzt worden). Nach einer folgenden Klavier-Clownerei schien die Lage beruhigt. Aber der Schreck saß tief, wie der routinierte Clown-Star Fumagalli später sagte. „Katastrophe!“, meinte der Italiener zu den Aktivisten, „die sind doch doof.“
Vielleicht spürten einige Tiere die Nervosität der Artisten. Seine Raubtiere habe er beruhigen können, erklärte Lacey. Aber vielleicht sei die Kamelreiterin letztlich wegen der Aktion gestürzt, fragte er und zog die Schultern hoch. Vielleicht, so mutmaßten einige Zuschauer, war auch der Applaus zu viel für die Tiere. Jedenfalls war eines von drei Kamelen (so wie auch ein Pferd) sichtlich störrisch, schäumte im Maul, musste geführt und mit Leckereien gebändigt werden.
Beim Herauslaufen aus der Manege bockte es jedoch kurz wie ein Rodeo-Pferd, warf die zierliche Reiterin ab (nach Angaben des Zirkus Noemi aus der „Mongoljingoo“-Truppe), die knallte aus etwa 1,80 Meter Höhe mit dem Rücken auf die Sägespäne. Bewegungsunfähig und mit Schmerz im Gesicht musste sie von zwei Helfern hinter die Kulissen getragen werden; Sanitäter eilten hinzu. Später kam sie zur Sicherheit ins Krankenhaus. Zum Finale winkte sie schon wieder ins Publikum. Es sei „nichts Schlimmes passiert“, hieß es am Tag nach der Vorstellung.
Der Schreckmoment und die Proteste legten einen Schatten über das „Farbenspiel – Gold Edition“. So heißt das neue Programm, das bis 21. April jeden Tag zweimal im neuen weltgrößten Zirkusreisezelt zu sehen ist (dank zwei 23 Meter hohen Bögen ohne die Sicht störenden Innenmasten und mit Platz für 2000 Zuschauer). Leuchtbänder an den Handgelenken der Besucher, LED-Effekte und bunte Scheinwerfer peppen das nostalgische Spektakel auf.
Die Weltklasse-Artistik etwa vom Diabolo-Jongleur Chu Chuan-Ho aus Taiwan, der Flying Tabares aus den USA mit ihrem dreifachen Salto mortale am Hochtrapez oder die Gruppe „Mystery of Gentleman“ aus der Mongolei, die sich auf großen Kugeln balancierend gegenseitig durch die Kuppel katapultierten, wurden kräftig beklatscht. „Der Applaus verpflichtet mich weiterzumachen“, sagte Martin Lacey. Während eine Aktivistin sagte: „Ich verstehe nicht, warum der Circus Krone so verbissen an der Tierhaltung festhält. Er hat Weltklasse-Artistik im Programm, die genügend Publikum anziehen würde.“