Endlich ist wieder Zirkusluft zu spüren - "endlich gibt es wieder richtige Lichtproben statt nur ,Bürolicht'", sagt Martin Lacey beim Besuch im Circus Krone. Seine Frau Jana Lacey-Krone trägt den 14 Monate alten Charles, den zweiten Sohn des Direktorenpaars, auf dem Arm. "Ich bin wahnsinnig froh, dass wir nach bald zwei Jahren Pause wieder starten", freut sich die Direktorin. Aber was heißt schon Pause bei Artisten und Tierlehrern, die natürlich immer weiter geprobt und gearbeitet haben, wenn auch ohne Publikum. Aber jetzt, mit dem Starttermin 17. Februar vor Augen, fühlt es sich anders an. Täglich treffen Artisten und Requisiten aus aller Welt im Circus ein, bei der Premiere sind es 60 internationale Akrobaten, Clowns und Musiker, die ihre Künste präsentieren.
An diesem Vormittag probt das italienisch-tschechische Ehepaar Eliane Stipka-Biasini und Daniel Stipka mit zwei Pferden in der Manege. Gerade klettert Eliane auf die Schultern ihres Mannes, balanciert sich elegant in die Höhe. Beider Tochter, die 16-Jährige Nelly, schaut vom Manegenrand aus aufmerksam zu. Perfekt einstudiert wirkt ihr akrobatisches "Pas de Deux" zu Pferde, trotzdem sei dieser "Kaltstart" für alle eine besondere Herausforderung, erklärt Lacey. Denn die Abläufe hätten nicht nur für die Artisten, sondern für alle Mitarbeiter "von der Toilettenfrau bis zu den Lichttechnikern", zwei Jahre brach gelegen und müssten jetzt, zeitlich geballt, neu eingeübt werden.
"Traditionell beginnt die Wintersaison am 25. Dezember, ein Datum, auf das unser Münchner Publikum sich seit Jahrzehnten eingestellt hat", sagt Lacey. Zur Kasse kämen Zuschauer, die Karten kaufen wollten für ganz bestimmte Tage, gar für ganz spezielle Plätze, auf denen ihre Familie "schon immer" gesessen habe. "Nun müssen wir herausfinden, ob das Publikum sich umstellt, ob es andere Termine und Plätze akzeptiert." Und ob es offen ist für "New Memories", neue Erinnerungen, wie der Titel des neuen Programms verheißt. Normalerweise spiele der Circus in der Wintersaison drei wechselnde Programme von Dezember bis Ende März vor rund 450 000 Besuchern. Aber was ist schon normal nach zwei Jahren Pause und einem Start mitten im Februar, wenn auch jetzt mit erlaubten 75 Prozent Auslastung? "Wir wissen einfach noch nicht, was wir für Anzeigen und die Anmietung von Werbeflächen kalkulieren dürfen", gibt Jana Lacey-Krone zu bedenken.
Doch die Zeichen stehen gut, noch bevor der Krone überhaupt seine Kassenschalter geöffnet hatte, kamen die Besucher. "Das waren treue Zuschauer, die nur von unserer Webseite erfahren hatten, dass wir uns für einen Start entschieden haben; der Verkauf lief da noch allein über München Ticket, trotzdem kamen sie schon vorbei", sagt Lacey. Mittlerweile werden die Besucher aber wieder persönlich begrüßt, etwa von Tania Munoz, die froh ist, endlich das Schild "geschlossen" aus ihrem Schalter entfernen zu können. Seit zwanzig Jahren arbeitet sie an "ihrer" Kasse, davor trat sie viele Jahre in der Krone-Manege auf, "als Trapezkünstlerin", sagt sie mit einem stolzen Lächeln.
Nicht nur die Besucher, auch Artisten aus aller Welt riefen bei den Krones an, sobald die Wiedereröffnung publik wurde. Sie boten sich als spontanen Ersatz an, falls eine Darbietung ausfallen sollte, mitunter sogar für ganz kleine Gagen. "Sie alle wollen unbedingt arbeiten, aber wir haben unser Programm längst komplett", sagt Lacey. Und selbstverständlich zahlten sie ihren Artisten die ursprünglich vereinbarten Gagen, alles andere käme für Jana und ihn nicht in Frage, entspräche auch nicht dem Stil des Traditionsunternehmens, sagt Lacey. Nicht von ungefähr haben die 130 Mitarbeiter des Circus, vom Handwerker über die Tierpfleger bis zum Küchenpersonal, am Straßenzaun schräg gegenüber vom Eingang eine große Plakatwand aufgehängt: Auf der bedanken sich die Angestellten dafür, dass kein einziger von ihnen entlassen wurde seit der Schließung im März 2020.
Einer von ihnen ist der Sattler Eugeniusz Niescior, der seit 37 Jahren die Lederarbeiten für die Krones ausführt und das Zaumzeug pflegt. Mit einem breiten Lächeln präsentiert er die riesigen Nähmaschinen in der weiträumigen Werkstatt über den Garderoben. Wer diese Tätigkeit einmal übernehmen soll, steht in den Sternen. Es ist ein Beruf, den kaum jemand mehr erlernt. "Mein Sohn macht jedenfalls etwas ganz anderes, er lässt sich im IT-Bereich ausbilden", sagt Niescior. Mit leisem Bedauern, aber auch mit Stolz in der Stimme.
Derweil hat Judita Dimoiu, die gemeinsam mit ihrem Mann seit neun Jahren die Kostüme der Krones näht, die roten Uniformen der Requisiteure vor sich liegen. Prüfend streicht sie über den Goldbesatz der Jacken, alles "einwandfrei", nickt sie zufrieden. Auch die blaue Jacke, in die der Circusdirektor kurz schlüpft, passt noch wie angegossen. Auf einer Schneiderpuppe, die exakt den Maßen der Direktorin entspricht, steht das Kostüm für die Chefin bereit. Zumindest äußerlich hat die Pandemie keine Spuren hinterlassen.
Die Maschinerie kommt wieder ins Rollen. Im Falle der Gruppe Mustafa Danguir aus Marokko sind es sogar zwei ineinander verzahnte Riesenräder, die sich in der Manege drehen. Eine Darbietung, mit der die Artisten im Januar eigentlich beim Circusfestival in Monte Carlo eingeladen waren. Das aber wurde abgesagt, schon zum zweiten Mal in Folge. Umso größer ist die Freude der Artisten, endlich wieder auftreten zu können. Auch Nelly Stipka sehnt den Neuanfang herbei. Als sie bei den Zebras Massai und Pongo vorbeischaut, berichtet sie von ihrer eigenen Pferdenummer, die sie sich inzwischen aufgebaut hat. Ja, die Tiere. "Wie unsere Pferde und Löwen reagieren, das können wir noch nicht genau sagen", überlegt Lacey. Wie allen anderen fehlt auch ihnen die Erfahrung mit Licht, Musik und Publikum. Es wird also spannend werden, wenn es heißt: Manege frei!
New Memories, 17. Februar bis 3. April, Circus Krone