Chronobiologie:"Für Kinder ist Schule um acht völlig in Ordnung"

Warum Sonnenbrillen nicht nur cool aussehen, sondern auch den nächtlichen Schlaf verbessern und warum manche Menschen nachts fitter sind als andere. Ein Gespräch mit der Psychologin Myriam Juda.

Franziska Schwarz

Die Diskussion über spätere Schulzeiten ist nicht neu: Die Forschung hat längst erhärtet, dass die Uhren für Menschen unterschiedlich gehen. Myriam Juda gehört zu einer Forschergruppe am Institut für Medizinische Psychologie in München , die sich mit der menschlichen "Chronobiologie" befasst. Wer seinen Chronotypus wissen und Ratschlgäge bekommen möchte, die das Tages-Leben leichter machen, kann sich noch beteiligen.

sueddeutsche.de: Schlafen beim Thema Schlaf nicht sowieso alle ein, weil schon alles erforscht ist, was es zu erforschen gibt?

Myriam Juda: Wir untersuchen weniger den Schlaf, sondern vielmehr den Schlaf-Wach-Rhythmus, das nennt man Chronobiologie.

sueddeutsche.de: Was unterscheidet Ihre chronobiologische Studie von den bereits bekannten Schlafstudien?

Juda: Wir fragen ganz konkret nach den Uhrzeiten: wann genau die Leute wirklich schlafen gehen und aufstehen. Sonst fragt man eher nach Tendenzen. Wir möchten deutschlandweit so viele Daten wie möglich erheben und haben mittlerweile ein ziemlich gutes Bild der deutschen Population: 40.000 Menschen haben unseren Fragebogen bereits ausgefüllt - das ist die erste Studie dieser Art in diesem Umfang.

sueddeutsche.de: Wie sieht dieser Schlaf-Wach-Rhythmus aus?

Juda: Er bezieht sich auf 24 Stunden und schwankt - so wie die Körpertemperatur oder Hormone - innerhalb eines Tages. Unsere innere Uhr synchronisiert sich zum Tageslicht, das heißt, das Gehirn passt sich dem Tageslicht an.

sueddeutsche.de: Wie funktioniert das?

Juda: Dieser Prozess ist genetisch bedingt und bei jedem Menschen anders: Die innere Uhr kann in genau 24 Stunden ticken oder langsamer oder schneller, zum Beispiel in 23,5 Stunden-Zyklen. Der Zeitpunkt, an dem sich die eigene innere Uhr mit dem Sonnenlicht synchronisiert, bestimmt den sogenannten "Chronotypus" - und hier gibt es die bekannten Früh- und Spätmenschen.

sueddeutsche.de: Wie finden Sie diesen Zeitpunkt heraus?

Juda: Wir rechnen mit dem so genannten Mittelpunkt zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, an freien Tagen. Bei den meisten Menschen liegt er bei 4.30 Uhr nachts.

sueddeutsche.de:Frühe Chronotypen haben bestimmt mehr von ihren freien Tagen....

Juda: Nein, die Chronotypen sind unabhängig von der Schlafdauer. Es ist ein Vorurteil, dass späte Chronotypen insgesamt mehr schlafen. Frühe Chronotypen sind eigentlich in ihrem Verhalten weniger flexibel - sie haben sogar eher einen Schlafmangel an freien Tagen! Die "soziale" Uhr bringt sie dazu, länger aufzubleiben als sie wollen, und morgens wachen sie dann trotzdem früh auf.

sueddeutsche.de: Ist das für ein ganzes Leben lang so?

Juda: Nein, wir haben belegt: Das Schlaf-Wach-Verhalten ändert sich im Laufe des Lebens. Kinder wachen eher früh auf, bei Jugendlichen verlagert sich das immer weiter nach hinten, mit einem Höhepunkt um das zwanzigste Lebensjahr. Dann geht es wieder rückwärts: Senioren wachen sehr früh auf. Natürlich bleibt ein früher Chronotypus auch immer einer - aber nur im Vergleich zu seiner Altersgruppe.

sueddeutsche.de: Was bedeutet Ihre Studie für die Praxis?

Juda: Ich entwickle gerade einen Online-Test speziell für Schichtarbeiter, der wahrscheinlich im Frühjahr 2007 fertig sein wird. Ich berate auch Firmen, die sich für diese Problematik interessieren. Schichtarbeiter, die nach dem Test erwiesenermaßen frühe Chronotypen sind, entweder gar nicht in Nachtschichten einteilen oder aber sie über die damit verbundenen Risiken informieren. Sie können sich dann entscheiden, ob sie nachts bestimmte Verantwortlichkeiten übernehmen wollen oder nicht. So können Unfälle vermieden werden.

sueddeutsche.de: Ist diese Studie nicht auch ein weiteres starkes Argument für spätere Schulzeiten?

Juda: Kinder bis zur Pubertät sind frühe Chronotypen. Bei ihnen ist 8 Uhr als Schulbeginn völlig in Ordnung. Ein späterer Anfang wäre ja auch schwierig umzusetzen, weil Eltern wegen ihres eigenen Jobs ihre Kinder oft nicht erst um neun zur Schule bringen können. Es sind die Jugendlichen, die Probleme mit dem frühen Schulbeginn haben.

sueddeutsche.de: Was hat man davon, sich an dieser Online-Studie zu beteiligen?

Juda: Den Teilnehmern schicken wir eine pdf-Datei mit dem Ergebnis, sowie praktischen Ratschlägen zu. Ein Beispiel: wenn man Sonnenlicht in der Früh abbekommt, dann wird die innere Uhr nach vorne gestellt, wenn man es abends abbekommt, dann wird sie nach hinten gestellt. Als früher Chronotyp wäre es dann besser, morgens eine Sonnenbrille zu tragen, abends aber nicht. Für späte Chronotypen gilt das Umgekehrte.

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