Vor der Premiere:"Eine Albtraum-Oper"

Am Nationaltheater inszeniert der französische Film- und Theaterregisseur Christophe Honoré mit Hector Berlioz' "Les Troyens" einen erschreckend aktuellen Stoff.

Von Jutta Czeguhn, München

Vor der Premiere: Nach langer Irrfahrt in Karthago angekommen: Doch selbst die Liebe von Königin Didon kann Enée (Gregory Kunde) dort nicht halten, andernorts wartet noch ein ziemlich wichtiger Job auf den Trojaner.

Nach langer Irrfahrt in Karthago angekommen: Doch selbst die Liebe von Königin Didon kann Enée (Gregory Kunde) dort nicht halten, andernorts wartet noch ein ziemlich wichtiger Job auf den Trojaner.

(Foto: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper)

"Ich empfinde es als sehr seltsam, jetzt davon zu träumen, nächstes Jahr bei Ihnen in München die Trojaner zu inszenieren. Seltsam und manchmal etwas entmutigend, da ich bezweifle, dass unsere Fantasie die schrecklichen Monate, die wir gerade erleben, unbeschadet übersteht. Wo stehen wir, wenn in einem Jahr die ersten siegreichen Akkorde des Berlioz-Werks erklingen? Eine Stadt, die sich befreit, ein Volk, das schützende Räume verlässt, eine jubelnde Menge, die glauben will, dass alles vorbei ist, dass die Freiheit wieder da ist. Eine einzige Frau prophezeit, dass das nicht stimmt. Dass nichts vorbei ist ..."

"Oh, non!" Christophe Honoré scheint peinlich berührt zu sein, als aus dem Handy seine eigene sanfte Stimme kommt. Er rauft sich die graue Haartolle, bis er so zerstrubbelt aussieht wie Chansonnier Benjamin Biolay in seinem Film "Zimmer 212". Es sind seine Gedanken zur Oper "Les Troyens", die man ihm vorspielt, eingesprochen für einen Audio-Clip auf der Website der Staatsoper, irgendwann im vergangenen Jahr. Der 52-Jährige, den sie in Frankreich als Film- und Theaterregisseur verehren, sieht müde aus beim Gespräch in der Rheingoldbar der Staatsoper. Er kneift seine brauen Augen zu Schlitzen zusammen, dann aber grinst er: "Etwas pathetisch, n'est-ce pas?" Sie, er meint Serge Dorny und sein Team, hätten ihn damals gebeten, etwas aufzunehmen. "Jetzt erinnere ich mich, ich war gerade auf dem Land in der Nähe von Paris und saß auf der Schaukel meiner Tochter." (Später wird man den Clip noch mal abhören, und wirklich, da zwitschern Vögel im Hintergrund).

Honoré ist nun also in München, das Trojaner-Projekt, das ihm vor einem Jahr so surreal erschien, steht kurz vor der Premiere. Und seine Gedanken von damals zu diesem monumentalen Werk, mögen sie im Ton auch etwas weihevoll sein, erscheinen nun seltsam prophetisch. Wie ein Kassandraruf. Covid, noch bis vor wenigen Monaten das ultimative Unheil, ist in den Hintergrund getreten. Jetzt liegt der Krieg in der Ukraine wie Mehltau über allem. Auch über dieser Opern-Produktion, denn Honoré fragt sich, wie das Publikum vor diesem Hintergrund auf das uralte Epos blicken wird, das Berlioz in seinem Libretto nach Vergils "Aeneis" erzählt. Eine Geschichte von der falschen Hoffnung auf Frieden, vom Hass zwischen Völkern, von Verzweiflung, Massenselbstmord, Flucht - und natürlich auch von Liebe.

Für das trojanische Pferd hat Honoré "eine Lösung" gefunden

An seinem Regiekonzept, das längst fertig war, als der Krieg im Februar begann, habe er nichts geändert, sagt Honoré. Man müsse sich da aus organisatorischen Gründen immer früh festlegen. Er sei sich bewusst, dass das Publikum deshalb nun einiges an seiner Inszenierung "indécent", also anstößig, empfinden könnte. Auch weil es sich in der aktuellen Situation womöglich Trost von ihm erwartete, oder einen politischen Kommentar. Doch das sei nicht seine Aufgabe. "Die Musik kreiert sehr viele Emotionen, aber ich als Regisseur fordere von den Leuten, dass sie nachdenken." Und natürlich wisse er um die speziellen Empfindlichkeiten von Opernbesuchern. Oft kämen sie ihm vor wie kleine Kinder, die immer nach der ewig gleichen Gutenachtgeschichte verlangen - "die mit dem Hasen". Ein wenig möchte man ihn da beruhigen. Die Bachler-Jahre haben die Münchner weitgehend eingegroovt auf neue Sehgewohnheiten, sie brandmarken heute nicht mehr alles gleich lynchlüstern als Opernvernichtung. Und auf die Idee, dass ihnen bei der Premiere der Trojaner am 9. Mai ein vakumiertes Historienspektakel mit Tempelsäulen und einem Holzpferd vorgesetzt werden könnte, kommen sie wohl erst gar nicht. Übrigens: Für das Pferd, sagt Honoré, habe er "eine Lösung" gefunden. Jede Wette, es ist keine Zweitverwertung des Riesengauls aus Árpád Schillings "Rigoletto".

Vor der Premiere: Christophe Honoré ist ein Multitalent, er schreibt Kinder- und Jugendbücher, unter anderem den Roman "Ton père" (Dein Vater), in dem er sich selbst als homosexuellen Vater porträtiert, er inszeniert am Theater oder dreht Filme mit Stars wie Isabelle Huppert oder Catherine Deneuve. Auch im Opernfach hat sich der Regisseur einen Namen gemacht.

Christophe Honoré ist ein Multitalent, er schreibt Kinder- und Jugendbücher, unter anderem den Roman "Ton père" (Dein Vater), in dem er sich selbst als homosexuellen Vater porträtiert, er inszeniert am Theater oder dreht Filme mit Stars wie Isabelle Huppert oder Catherine Deneuve. Auch im Opernfach hat sich der Regisseur einen Namen gemacht.

(Foto: Loic Venance/AFP)

Um etwas über die Art, wie dieser Christophe Honoré Geschichten erzählt, zu erfahren, geht man am besten ins Kino. Im Münchner Theatiner Filmtheater hat er im April eine kleine Reihe kuratiert, seine Lieblingsfilme über "L'impossible Amour", die Unmöglichkeit der Liebe, um die es ja auch in den Trojanern geht. Wong Kar-Wais elegantes Melodram "In the Mood for Love" war ebenso dabei wie Éric Rohmers "Vollmondnächte", vor allem aber sein eigener Film "Sorry Angel" (2018), der im Frankreich des Jahres 1993, zum Höhepunkt der Aids-Krise spielt. Jene Ära, in der auch der Student Christophe Honoré aus Rennes nach Paris kommt und sein Begehren als schwuler Mann auslebt. Seine Filme sind zerbrechlich, romantisch, liebesmutig, frivol, widersprüchlich, modern. Voller Charisma spielen sie mit den Mythen des französischen Kinos, inspiriert von der Nouvelle Vague der Sechzigerjahre. Und immer ist da auch die Musik. Nur der von ihm hochverehrte Jacques Demy ("Die Regenschirme von Cherbourg", 1963) und er selbst in "Die Liebenden" (2011) haben Catherine Deneuve bislang zum Singen gebracht.

Das Ballett wurde gestrichen, stattdessen gibt es Sexszenen per Video

In die Welt des Hochleistungssingens hat sich Honoré, der auch Kinder- und Jugendbücher schreibt, erst 2013 mit "Dialogues des Carmélites" gewagt. Serge Dorny war durch seine Theaterarbeiten beim Festival d'Avignon auf den Regisseur aufmerksam geworden und holte ihn für die Poulenc-Oper an seine Opéra National nach Lyon. Es folgten "Pelléas et Mélisande" (2015), "Così fan tutte" (2016), "Don Carlos" (2018) und 2019 eine "Tosca". Für sein Hausdebüt in München, erzählt Honoré, habe ihm Dorny zunächst einen Mozart vorgeschlagen. "Aber da hätte ich mich wie ein Hochstapler gefühlt. Wenn ich nach München komme, dann mit einer französichen Oper." Tiefstapelei ist Hector Berlioz' Grand opéra "Les Troyens"(1863) nun nicht gerade, eher ein Mount Everest, ein französischer Ring. Fünf Akte, vier Stunden, kommentierende Riesen-Chöre, Figurendickicht, ein vollbesetzter Orchestergraben, unberechenbare Musik, zwei Schauplätze, Troja und Karthago, "Eine Albtraum-Oper" für einen Regisseur, räumt auch Honoré ein, "aber man kann eben nicht alles kontrollieren". Oft wird an den Trojanern kräftig herumgestrichen. Nicht so in München, versichert er. Das sei ihm und Maestro Daniele Rustioni wichtig gewesen, mit dem er schon bei seiner "Tosca" zusammengearbeitet hat. Nur auf das Ballett habe man verzichtet.

Honorés "Tosca" beim Festivals in Aix-en-Provence war ein Multimedia-Coup: Catherine Malfitano, Rollen-Legende aus der berühmten Verfilmung mit Placido Domingo, öffnet einem Filmteam ihre Villa für eine Homestory samt szenischer "Tosca"-Probe mit Sängern. Viel Video fürs Publikum. Auch in den Trojanern wird es Filmszenen geben, mit so "explizitem Inhalt", dass sich die Verantwortlichen im Haus zur Empfehlung veranlasst sehen, "diese Vorstellung erst ab 18 Jahren zu besuchen". Dabei findet Christophe Honoré Video-Einspielungen in Opern eigentlich ganz schrecklich. Zumeist seien sie notorisch schlecht gemacht und von narrativer Plumpheit. Warum er sie nun selbst verwendet? Seine Videos seien integriert in die Handlung im vierten Akt. Statt Ballett sieht man Karthager, die sich zerstreuen mit Bildern nackter Körper, der Lust, Pornografie. Womöglich werden nicht alle im Publikum zu schätzen wissen, dass Honoré hier die Ästhetik der Underground-Experimentalfilme Andy Warhols zitiert. Gut möglich, dass ein Buh-Gewitter lostobt für die Regie. Christophe Honoré nimmt das nonchalant, auch wenn er augenzwinkernd den Gekränkten mimt: "Dabei bin ich hier doch der, der am meisten gearbeitet hat".

"Les Troyens" von Hector Berlioz, Premiere am 9. Mai, 17 Uhr, www.staatsoper.de

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