Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Bühne? Frei!:Unverbesserlich optimistisch

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Kultur-Lockdown, Tag 58: Der Liedermacher berichtet über seine nicht ganz freiwillige Auszeit

Gastbeitrag von Christoph Weiherer

Freilich hätte ich mir 2020 gerne als das Jahr meiner künstlerischen Volljährigkeit eingerahmt. 18 Jahre auf der Bühne. Endlich erwachsen. Sozusagen. Aber kam ja dann alles anders. Große Pause bereits im Frühjahr, große Pause auch im Herbst. Freilich fehlen mir meine Konzerte. Nicht, dass ich gar so bühnensüchtig wäre, dass ich es nicht ein paar Monate ohne Gig aushalten würde - ganz im Gegenteil. Ich hatte mir schon länger überlegt, einmal eine ausgiebigere Tour-Pause zu machen. Nach mehr als 1700 Mal "on the road" vermutlich auch kein ganz abwegiger Gedanke - und tja, da habe ich sie nun, diese Pause.

Noch nie hatte ich mehr als sechs Wochen am Stück frei, selbst nach einem unerwarteten Krankenhausaufenthalt im Herbst 2017 stand ich nach dreiwöchiger Erholung wieder auf den Brettern, die mir so verdammt viel Spaß machen und ganz nebenbei freundlicherweise meinen Lebensunterhalt finanzieren. Noch nie habe ich so viele Tage zuhause verbracht und so viele Nächte in meinem eigenen Bett geschlafen wie heuer. Genau deshalb mag sich diese Pause nicht wirklich wie eine solche anfühlen. Nicht nur, dass sie nicht geplant und dass ich auch finanziell nur rudimentär vorbereitet war, nein, ich würde meine freie Zeit auch lieber dazu nutzen, Freunde zu besuchen, mehr Zeit mit Leuten zu verbringen, die ich sonst leider zu selten sehe, vielleicht mal zu verreisen. Aber das alles geht ja jetzt wieder nicht.

Also habe ich meinen Schreibtisch aufgeräumt - wohlgemerkt erstmals seit 2014 - und zum ersten Mal in meinem Leben rechtzeitig meine Steuererklärung gemacht. Vorbildlich, aber halt uncool und gefühlt eben keine Auszeit. "Schreib doch derweil neue Lieder", sagen die, die vom Lieder schreiben in etwa so viel Ahnung haben wie ich von Grundstückspreisen, jedoch fehlen mir dazu meist die entsprechenden Alltagsbeobachtungen, die mich sonst zu neuen Songs inspirieren: die zufälligen Begegnungen, der Stammtisch, die Nähe und ganz einfach die Menschen. Freilich vermisse ich das Unterwegssein, die Bühne, mein Publikum, und doch weiß ich, dass es auf dieser Welt weitaus schlimmere Probleme gibt als den Umstand, dass ein kleiner bayerischer Liedermacher ein paar Monate kein Konzert geben darf. Noch ist mein Kühlschrank voll, die Bude warm und genug Geld auf dem Konto, dass es zu gegebener Jahreszeit auch noch für eine Kugel Eis reichen dürfte. Das reinste Glück also, denn unterdessen habe ich mich mit dem Verschicken meiner Fanartikel zu einer Art Werbefachmann mit angeschlossenem Versandzentrum entwickelt. Learning by burning, um es mit dem Kollegen Stoppok zu sagen. Kein Grund zum Jammern, mehr zum Ärmelhochkrempeln. Trotz der unvorteilhaften Situation bleibe ich unverbesserlicher Optimist mit dem großen Privileg, auf besondere Ereignisse mit kreativen Ideen und Lösungen reagieren zu dürfen.

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Quelle:
SZ vom 29.12.2020
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