„Unfassbar, oder?“ Christiane Lutz hat es sich im Schneidersitz auf einem der Hartschalenstühle bequem gemacht, die in dieser Garderobe des Cuvilliés-Theaters herumstehen. Eben hat sie – die Hände reden bei ihr gerne mit – sehr lebhaft davon erzählt, wie sie als 20-jährige Studentin nach Wien kam und just in dem Haus ein WG-Zimmer bezog, in dem Friederike Mayröcker und Ernst Jandl wohnten. Im fünften Bezirk, in der Zentagasse, wo die Dichterin in ihrer legendären „Zettelhöhle“ residierte.
Jandl, Mayröckers „Lebens- und Liebesfreund“, hatte im Haus seine eigene Dichterklause. Christiane Lutz ist ihm damals hin und wieder im Lift begegnet. Als er 2000 starb, hat sie der trauernden Lyrikerin eine Beileidsbekundung vor die Tür gelegt. Den „Danke“-Zettel mit Mayröckers Handschrift bewahrt sie bis heute auf.
Zwei Lebensmenschen, die in der gleichen künstlerischen Hemisphäre unterwegs sind: Jandl und Mayröcker, so weiß man, haben sich an den Abenden stets gegenseitig besucht und ihre Texte vorgelesen. Opernregisseurin Christiane Lutz braucht keine Wohnungstür hinter sich zu schließen, um mit ihrem Ehemann, Startenor Jonas Kaufmann, aktuelle Projekte durchzusprechen. Man stellt sich da ziemlich mitreißende Diskussionen vor im Salzburger Haushalt, wo die beiden mit ihrem gemeinsamen Sohn leben.
„Noch viel wichtiger, als dass man im gleichen Metier arbeitet, ist, dass man grundsätzlich die gleiche Sprache spricht“, sagt die 45-Jährige, die gerade mit dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper Hans Werner Henzes „Die englische Katze“ inszeniert. Premiere im Cuvilliés-Theater ist am 5. November.
Dass sich die Öffentlichkeit für ihre Partnerschaft mit Jonas Kaufmann interessiert, damit geht Christiane Lutz recht entspannt um. „Ich bin sehr gerne Frau Kaufmann, aber mein Mann hat es auf bewundernswerte Weise geschafft, immer nur so viel preiszugeben, wie er wollte und wie er fand, dass es für sein Umfeld gut ist.“ Und so halte sie es auch.

Christiane Lutz, die Opernregisseurin, hat es schon vor dem gemeinsamen Leben mit Jonas Kaufmann gegeben. Und sie hat ihre künstlerische Karriere auch mit Mann und Kind weitergeführt. Etwas reduziert vielleicht, wenn zwei Terminkalender aufeinander abgestimmt werden müssen. Ihr kleiner Sohn geht jetzt zur Schule, der Alltag als Working Mom ohne Nanny muss organisiert werden.
Während der intensiven Probenphase zur „Englischen Katze“, erzählt Lutz, sei sie jeden Tag zwischen Salzburg und München gependelt. Sie und Jonas Kaufmann hätten es gut geregelt, ja, aber als Dauerzustand möchte sie das freilich nicht. Nächstes Jahr wird sie bei drei Opern-Produktionen Regie führen. „Wenn ich alleinerziehend wäre, könnte ich diesen Job so nicht machen.“
Der Job. In Wiesbaden in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen, kommt Christiane Lutz mit ihrer Geige im Gepäck nach Wien, um unter anderem Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften und BWL zu studieren. Dann ein Seminar beim streitbaren, leidenschaftlichen Opernregisseur Peter Konwitschny, das für Lutz buchstäblich wegweisend wird: „Die Art und Weise, wie Konwitschny von der Unbedingtheit, der Dringlichkeit des Theaters gesprochen hat, das war, wie wenn jemand ein Fenster aufgemacht hat.“
Prägend auch die Assistenzen bei Regisseuren wie Stefan Herheim, Andreas Homoki, Marco Arturo Marelli. Oder bei ihm, Claus Guth. Sie ist dabei bei seinem „Lohengrin“ 2012 an der Mailänder Scala. Sie bewundert seine Klarheit, wie er Gefühle zuspitzen kann, starke Bilder erschafft: Lohengrin kniet auf einem Steg im Schilf und singt die „Gralserzählung“. Guths Lohengrin damals in Mailand war Jonas Kaufmann.

Auch Claus Guth inszeniert gerade in München. Am 12. Dezember wird seine Version des Musical-Klassikers „Cabaret“ am Residenztheater Premiere haben. Der werte Kollege habe schon gekiebitz bei ihren Proben zur „Englischen Katze“, verrät Christiane Lutz gespielt pikiert. Aber sie lässt sich gerne in die Karten schauen. Erste Hinweise in der Garderobe: Auf einem weißen Brett sind mit Stecknadeln kleine Haarbüschel gepinnt. Ein bisserl gruselig sei das, nicht wahr, wie tote Schmetterlinge, lacht Lutz und klärt auf: Es sind Koteletten. Keine Schnurrhaare.
Anders als bei der Uraufführung der Henze-Oper 1983 bei den Schwetzinger Festspielen oder ein Jahr später in der Pariser Opéra Comique werden die jungen Sängerinnen und Sänger im Cuvilliés-Theater keine Katzenmasken tragen. Schauplatz ist ein Landsitz in England Ende der Siebzigerjahre, da trägt man eben Schlaghosen und die zeittypische haarige Gesichtsrahmung.
Henzes „Englische Katze“ ist nach „The Consul“ und „Mignon“ Christiane Lutz’ dritte Arbeit an der Bayerische Staatsoper. Wieder ein eher selten gespieltes Werk, das sie da mit den jungen Sängerinnen und Sängern erarbeitet hat. „Dieses Stück ist wie ein Freund, um den man kämpfen muss, aber am Ende hängt man zusammen wie Pech und Schwefel“, sagt sie.
Hans Werner Henze (1926–2012), Antifaschist, Kommunist, Avantgardist, dem München die „Biennale für neue Musik“ verdankt, nannte seine Englische Katze die „erste Zwölfton-Operette“. Was nach einem lustigen Zwitter im Neue-Musik-Universum klingt, das vom traditionellen Opernpublikum ja eher mit akustischer Agonie und dramaturgischer Drangsal in Verbindung gebracht wird. Auch Christiane Lutz stand mit blanken Ohren da, als sie den Auftrag erhielt.

Erst mal nur hören, hören, hören, auf keinen Fall die Musik mit Bildern verknüpfen. So geht sie immer vor. Schwierig bei der „Englischen Katze“, zu der keine Gesamteinspielung vorliegt. Auf Youtube fand Christiane Lutz schließlich eine Inszenierung in Hannover. Sie hat nicht hingeschaut, wollte nur wissen, wie Henzes Tonsprache wirklich klingt. Und hat sich dann auch den Klavierauszug besorgt. Viel Papier, sagt Lutz, aber nicht so dick wie die Partitur, die Katharina Wincor, die junge österreichische Dirigentin der Münchner Produktion, immer mit dem Rollkoffer ankarren müsse.
Kein Grund für das Publikum, nun mit dem Allerschlimmsten zu rechnen. Denn, so die Regisseurin, es erwarte die Zuhörer Theatermusik von großer Schönheit. Und auch Henze schreibt in seinem Arbeitstagebuch „Wie ,Die englische Katze‘ entstand“ von geschlossenen Nummern „mit einer Art traditioneller Harmonie versehen, während Handlungs-Musik und Prosa in der mysteriösen Tonwelt der Katzen (die ich recht gut kenne) angesiedelt sein könnten.“

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Basierend auf einer Erzählung Honoré de Balzacs von 1842, haben Henze und sein Librettist Edward Bond, Marxist wie er selbst, hier eine sozialkritische Tierfabel entstehen lassen: Minette, eine junge Landkatze, soll den alternden Kater Lord Puff heiraten, den angehenden Präsidenten der „Königlichen Gesellschaft zum Schutz der Ratten“, ein korrupter, intriganter Charity-Club, der einen auf Vegetarismus macht. Als sich Minette in den Straßenkater Tom verliebt, wird es lebensgefährlich.
Das Englische, sagt Christiane Lutz, die sich selbst eher als „Hundemensch“ sieht, stehe für den abtrainierten, den gezähmten Instinkt. Eine Fassade der Zivilisiertheit, so brüchig wie unzuverlässig. „Auch Louise, die Vorzeigemaus der Katzen, lebt hier emotional auf Pump.“
„Tagespolitik ist zu klein für das Theater“, an dieses Credo von Peter Konwitschny haben sich Christiane Lutz und ihr Team bei ihrer Inszenierung der „Englischen Katze“ gehalten. Sie verzichten auf aktuelle Zeitdiagnostik und wollen dem Stück auch seine böse, kurzweilige Leichtigkeit lassen. Zu leicht verdaulich wird es wohl dennoch nicht werden. Denn, so fragt die Regisseurin: „Wenn wir alles aufgeben würden, was Kunst kontrovers macht, was haben wir dann noch?“
Die Englische Katze, Premiere am 5. 11., alle Vorstellungen im November ausverkauft, weitere Termine im Januar, Infos unter www.staatsoper.de

