Christian Ude über hohe Mietpreise:Ja zum Luxus, aber nicht überall

In München kämpfen in mehreren Stadtvierteln Protestgruppen gegen Luxussanierungen. Oberbürgermeister Christian Ude über die Sorgen der Münchner Mieter, die Veränderung der Viertelstrukturen und zu hohe Preise.

SZ: Wie sehr schmerzt es den früheren Mieteranwalt Christian Ude, dass er 2014 am Ende seiner Amtszeit sagen muss: Ich habe viel bewegt, aber das Wohnungsproblem habe ich nicht lösen können?

Christian Ude, 2010

"Für mich ist der Skandal die Vertreibung der ortsansässigen Bevölkerung", sagt Oberbürgermeister Christian Ude.

(Foto: lok)

Christian Ude: Das Wohnungsproblem in München ist seit 1900 niemals gelöst worden, und es wird auch in Zukunft ein Problem bleiben. Die Frage ist: Haben wir alles getan, um bestehende Mietverhältnisse zu schützen und um Wohnungsneubau zu ermöglichen? Hier habe ich ein gutes Gewissen.

SZ: Warum?

Ude: Wir haben im Rahmen dessen, was wir tun können, sämtliche Register gezogen. Wir gehen strengstens gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum vor. Wir haben Erhaltungssatzungen gegen Luxussanierungen erlassen. Und wir haben unsere städtischen Wohnungsbaugesellschaften nicht verkauft, sondern den Wohnungsbestand dieser Gesellschaften ausgeweitet. Bei meinem Amtsantritt waren das unter 40.000, jetzt sind es mehr als 50.000 Wohnungen, die München einer gesicherten sozialen Nutzung zuführen kann. Alles, was unsere Rechtsordnung erlaubt, um Mieter zu schützen, wird in München getan.

SZ: Trotzdem suchen viele Menschen in München oft verzweifelt nach einer Wohnung, die sie bezahlen können.

Ude: Das stimmt, obwohl in meiner Amtszeit 100.000 neue Wohnungen entstanden sind. Leider haben wir nicht mehr geschafft, das muss man glatt zugeben. Unser Ziel von 1800 öffentlich geförderten neuen Wohnungen pro Jahr haben wir in keinem Jahr erreicht, obwohl alle Beschlüsse im Stadtrat einstimmig gefasst worden sind. Es ist eben nicht so leicht, in einer dicht besiedelten Stadt wie München Flächen zu finden und baureif zu machen. Die Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt, obwohl wir das größte Wohnungsbauprogramm in Deutschland aufgelegt haben. Wenn die jetzigen Kasernen-Areale, die Umnutzungsflächen von Post und Bahn und die wenigen Industriebrachen bebaut sind, dann wird irgendwann das Potential erschöpft sein. Deshalb warne ich ja immer davor, Wachstum zum Wert an sich zu erklären. München lebt auch von der Attraktivität des Grüngürtels, von der Möglichkeit, sehr rasch in die Natur zu kommen. Es ist keine Zielvorstellung, alles zu besiedeln.

SZ: Nun gibt es derzeit in mehreren Stadtvierteln - in Giesing, Schwabing, sogar in Bogenhausen - heftige Kritik an neuen Bauprojekten, die Bürger demonstrieren gegen den Bau von Luxuswohnungen. Wie ernst nehmen Sie diese Proteste?

Ude: Ich nehme die Kritik an Luxussanierung, an Umwandlung von Altbauten nicht erst seit gestern, sondern seit 40 Jahren sehr ernst. Zwölf Jahre lang war es mein Hauptberuf, die Vertreibung von Mietern zu unterbinden und Spekulanten einen Riegel vorzuschieben. Die SPD hat schon in den Amtszeiten von Georg Kronawitter alle Mittel ausgeschöpft, um den Schwund von preiswerten Wohnungen zu stoppen. Wir haben schon in den frühen achtziger Jahren auch ein Umwandlungsverbot gefordert, das der Landtag hätte beschließen können. Die CSU hat dies immer abgelehnt. SPD, Gewerkschaften und Mieterverein standen damals ziemlich alleine mit ihrer Warnung vor der Gentrifizierung.

"Eine Saufkneipe sollte man nicht zur Schwabinger Kultur hochstilisieren"

SZ: Nun schlägt die jetzige Vorsitzende des Mietervereins ein weiteres Instrument vor: Staatliche oder auch städtisch reglementierte Obergrenzen für Mieten. Ist das realistisch?

Neubauten in München, 2011

OB Christian Ude will sich für mehr bezahlbare Wohnungen in München einsetzen. Auch Miet-Obergrenzen hält er für "völlig richtig".

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ude: Ich glaube nicht, dass dies unter einer schwarz-gelben Regierung Gesetz werden könnte. Die Forderung, die Preisentwicklung in die Diskussion einzubinden, ist aber völlig richtig. Wir müssen uns fragen, für wen wir Wohnraum brauchen: für die breiten Schichten der arbeitenden Bevölkerung muss der Wohnraum erschwinglich sein. Diese Auffassung vertreten wir seit einigen Jahrzehnten. Nur sind leider zigtausende Münchner Wohnungen in Wohnungseigentum umgewandelt worden, ohne dass wir irgendeine Unterstützung bekommen hätten. Insofern finde ich es einfach peinlich, wenn der künftige Münchner CSU-Vorsitzende bei der Schwabinger 7 Krokodilstränen vergießt und eine Hilfe fordert, die er allen Mietern im Landtag verwehrt hat.

SZ: Das Thema scheint Sie ja richtig wütend zu machen.

Ude: Weil der Fall Schwabinger 7 ein völlig falsches Beispiel für die aktuelle Diskussion ist. Erstens geht es hier nicht um das kulturelle Schwabinger Zentrum, es geht um eine Saufkneipe in einer ehemaligen Baubaracke. Die hat auch ihren Charme, aber das sollte man nicht zur Schwabinger Kultur hochstilisieren. Zweitens: Das Baurecht, von dem hier Gebrauch gemacht werden soll, hat schon vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden; es ist älter als die Bundesrepublik. Hier war mal eine Blockbebauung vorhanden, hier war nie etwas anders vorgesehen.

SZ: Aber die Schwabinger 7 existiert seit Jahrzehnten. . .

Ude: Nach der Zerstörung im Krieg hat man die Baubaracke als Kneipe zwischengenutzt. Das hat sich zur Begeisterung der Stammgäste bis heute hingezogen. Ich bin von alten Schwabingern immer wieder angegrantelt worden: Wann kommt dieser Schandfleck endlich weg? Mit dem Thema Mieten hat das gar nichts zu tun, weil kein einziger Mieter vertrieben wird. Es werden vielmehr über 30 Wohnungen neu gebaut.

SZ: Leider sind diese Wohnungen für Normalsterbliche viel zu teuer.

Ude: Völlig richtig. Aber es gibt Menschen mit hohen Einkommen oder großem Vermögen, die unbedingt in Schwabing wohnen wollen. Mir ist lieber, dieses zahlungskräftige Publikum zieht in Neubauten, als dass es in Altbauten bestehende Mieter verdrängt. Kein Mensch wird es schaffen, die Wohlhabenden von Schwabing fernzuhalten. Für mich ist der Skandal die Vertreibung der ortsansässigen Mieter - nicht aber der Bau neuer Wohnungen für Spitzenverdiener.

SZ: Unschuldig ist die Stadt aber nicht. Die Stadtwerke haben zum Beispiel das Grundstück an der Müllerstraße für eine enorme Summe verkauft, um die Umwandlung des Heizkraftwerks in einen Luxusturm zu ermöglichen.

Ude: Hier gibt es tatsächlich ein Luxusproblem. Das war vorher ein Kesselraum, in dem nie ein Mensch gewohnt hat. Wenn jetzt hier in attraktiver Lage mit aberwitzig viel Geld und einem unglaublichen technischen Aufwand Wohnraum geschaffen wird, dann kann da nie und nimmer ein Durchschnittsverdiener oder Sozialmieter einziehen. Das ist ein Hobby für Multimillionäre, aber kein Wohnraum für Leute wie Sie und mich.

SZ: In der Katharina-von-Bora-Straße suchen die Stadtwerke einen Investor für das ehemalige Heizkraftwerk. Es geht angeblich um einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Ist das nicht der falsche Weg, hier Luxuswohnungen zu bauen?

Ude: Sie haben vollkommen recht, bei der Katharina-von-Bora-Straße haben wir es mit einer attraktiven innerstädtischen Wohnlage zu tun. Eine ähnliche Situation hatten wir, als der Freistaat Bayern gleich nebenan die Alte Chemie verkauft hat, die heute die Lenbachgärten sind. Der Freistaat hat einfach an den Meistbietenden verkauft, ohne Auflagen zu machen. Die Stadtwerke und damit die Stadt als Eigentümer müssen anders vorgehen und sicherstellen, dass eine Münchner Mischung zustande kommt. Also auch Wohnraum für untere Einkommensgruppen, geförderter Wohnraum, etwa nach dem München-Modell für Durchschnittsverdiener. Genau das haben wir den Stadtwerken auch auferlegt.

SZ: Wie viel Druck wird das Projekt in Freiham, wo ein Viertel für bis zu 20.000 Menschen entsteht, vom Markt nehmen?

Ude: Es wird Druck wegnehmen, aber natürlich ist für viele Menschen die Stadtrandlage zweite Wahl. Es gibt aber auch kleinere bedeutende Projekte wie die Bebauung des früheren Agfa-Parks in Giesing, wo jetzt, geschützt durch einen Sperrriegel am Mittleren Ring, tausend Wohnungen entstehen, 500 zur Miete.

"Jede Stadt der Welt ist gewachsen - nur München nicht"

SZ: Aber im Agfa-Park kosten durchschnittliche Drei-Zimmer-Wohnungen bis zu 400.000 Euro. Wer kann es sich bei solchen Preisen überhaupt noch leisten, Wohneigentum zu erwerben?

Ude: Ja, das ist schwierig. Aber wenn ich die Immobilienpreise mit London oder Paris vergleiche, muss ich sagen: Die Mieten in London und München sind fast identisch, aber in London sind es Wochenmieten in Pfund, in München Monatsmieten in Euro. Das ist die Kehrseite wirtschaftlich erfolgreicher Städte.

SZ: Würden Sie es begrüßen, wenn Paulaner von Giesing an den Stadtrand zieht und damit eine riesige Fläche für neue Wohnungen frei würde?

Ude: Paulaner ist ein ganz schwieriger Fall, ähnlich wie die Süddeutsche Zeitung, die ebenfalls an den Stadtrand gezogen ist. Es handelt sich um ein Traditionsunternehmen, das im Viertel gut integriert ist. Der Auszug wäre eine Zäsur für München. Andererseits kann die Stadt einem großen Gewerbebetrieb nicht vorschreiben, wie er zu arbeiten hat. Letztlich ist das eine Entscheidung des Unternehmens. Sollte Paulaner aus dem Stadtzentrum wegziehen, müssen wir sicherstellen, dass nicht nur Luxuswohnungen an der Isarhangkante entstehen. Die wird es fraglos auch geben, aber es muss eine Mischung zustande kommen.

SZ: Was sagen Sie zu dem Vorschlag Ihres Wirtschaftsreferenten Dieter Reiter, dass das Umland mehr Wohngebiete ausweisen muss, um München zu entlasten?

Ude: Es ist der einzig denkbare Ansatz, wenn wir die Baulandreserven und die mögliche Nachverdichtung ausgeschöpft haben. Mit Nachverdichtung kann man gelegentlich die Wohnqualität sogar verbessern. Wenn man etwa einen Riegelbau am Mittleren Ring errichtet, wird dahinter die Luft besser und Wohnen möglich, wo es vorher nicht zumutbar erschien. Doch der Vorrat an bebaubaren Arealen ist bald erschöpft.

SZ: München stößt an seine Grenzen?

Ude: Ja. Jede Stadt der Welt ist in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen. Nur München nicht. München ist seit den letzten Eingemeindungen im Münchner Westen während des Dritten Reichs um keinen Quadratmeter größer geworden. Gleichzeitig ist der Wirtschaftsstandort gewachsen und die Bevölkerungszahl. Wenn man die Fläche gleich lässt, tritt natürlich irgendwann das Wachstum über die Stadtgrenze hinaus. Das ist ja bereits so. Das Bevölkerungswachstum im Umland ist größer als in der Stadt.

SZ: Glauben Sie, dass das Wohnungsproblem bei der OB-Wahl eines der bestimmenden Themen werden wird?

Ude: Das Wohnungsthema ist in München seit 1900 immer eines der wichtigsten Themen gewesen. Aber die Bevölkerung sieht das oft ganz stark durch die eigene Brille. Wir haben schon Bürgerbegehren gegen zu viel Wohnungsbau gehabt, im Osten und Westen der Stadt. Es ist nicht so, dass alle Münchner wollen, dass mehr Wohnungen entstehen. Viele wollen, dass in ihrem Wohnquartier möglichst gar nicht gebaut wird. Und dass auch draußen nicht zu viel gebaut wird, damit die Pendlerströme nicht anschwellen.

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