Neues Buch zur gesellschaftlichen Gewalt-Eskalation:Wider die Erosion der Demokratie

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Über die Jahre politischer und ernsthafter geworden: Der Kabarettist Christian Springer. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Kabarettist Christian Springer stellt im Lustspielhaus sein bedrückendes neues Buch "Der bayerische Mob - wie die Gewalt in die Politik einzog" vor.

Von Oliver Hochkeppel

Man darf behaupten, dass der Kabarettist Christian Springer über die Jahre politischer und auch ernsthafter geworden ist. Als Symbol dieser Entwicklung kann man den Moment sehen, als er 2014 in seinem neuen Solo-Programm "Oben ohne" endgültig die Uniform des Neuschwanstein-Kassenwarts Fonsi auszog, der 15 Jahre lang seine populärste, wenn auch etwas brave Bühnenfigur gewesen war. Ganz sicher hatte und hat damit sein Engagement als "Orienthelfer" zu tun - die unermüdliche Tätigkeit für den von ihm gegründeten gleichnamigen Verein seit dem Kriegsausbruch in Syrien 2012 hat auch seinen Blick auf die Missstände hierzulande verändert und geschärft.

Zugleich hat es seine Schlagfertigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit noch befördert. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch mit diversen Büchern wie "Landesvater, cool down" oder "Bitte sagen Sie die Klimakatastrophe morgen ab! Ich habe wichtige Termine", die direkt auf aktuelle Vorgänge antworteten. Springers neues im Selbstverlag cs-wort erscheinendes Buch freilich hat etwas länger gebraucht und gegärt. "Der bayerische Mob - wie die Gewalt in die Politik einzog" heißt das am 30. Mai im Lustspielhaus auch live präsentierte Werk.

Der Antrieb dazu war die Verrohung des Landtags-Wahlkampfs 2023, die Springer schon deutlicher wahrnahm als die Allgemeinheit. 2800 Angriffe auf Politikerinnen und Politiker im Jahr 2023, davon die Hälfte auf Angehörige der Grünen, diese hier noch nicht nach konkreten Straftaten aufgeschlüsselte Zahl steht dem Buch voran. Verbunden mit der Frage, wer an der Hetze schuld ist. So sind diese 152 Seiten kein Werk eines Kabarettisten, sondern eines besorgten Chronisten. Lustig ist nichts darin. Es ist vielmehr eine düstere Bestandsaufnahme.

Eine, die Springer nicht alleine betreibt: Auch wenn die verbindenden Texte aus seiner Feder stammen, ist er diesmal nur Herausgeber, zusammen mit der Regensburger Autorin Kerstin Schweiger. Viele direkt und indirekt Betroffene der zunehmenden Gewalt kommen hier ebenfalls zu Wort, von den Kabarett- und Autoren-Kollegen und Kolleginnen Teresa Reichl und Hans Well über den Staatsschutz-Kriminalhauptkommissar Steffen Frühauf und den Landshuter Klinikum-Chefarzt Michael Reng bis zum Wissenschaftler und Bestsellerautor Michael Sterner oder dem altgedienten Journalisten Karl Stankiewitz. Alle Genannten werden, begleitet vom Musikduo Babysteps, auch bei der Buchpräsentation im Lustspielhaus dabei sein.

Und so hangelt man sich im Buch von Beispiel zu Beispiel für die Erosion der Demokratie. Von Beleidigungen, Morddrohungen und Angriffen auf offener Straße zu Hate-Speech im Internet. Von zerschnittenen, beschmierten oder angezündeten Wahlkampfplakaten zu rechtsradikalen oder zur Gewalt aufrufenden Schmierereien und Schildern. Von den aggressiven Realitätsumdeutungen der Corona-Leugner und Putin-Freunde zu den Ausflüchten, Verharmlosungen oder gar Anfeuerungen der AfD, nicht zuletzt aber auch der konservativen Parteien CSU und Freie Wähler, namentlich der Ministerpräsidenten Söder und Aiwanger.

Eine zunehmend bedrückende und verstörende Lektüre, die einem das ganze Ausmaß der bedenklichen Entwicklung weit deutlicher macht als etwa die jüngste Rede des Bundespräsidenten. Durch Springers detailreiche Auflistung des Unerträglichen wie die historischen Parallelen dazu wird das Buch zu einem lauten Appell für verbale Abrüstung und zu einem Aufruf zum Handeln, bevor es zu spät ist. Ein Buch zur rechten Zeit, kann man sagen, hat es doch angesichts der jüngsten tätlichen Angriffe auf Wahlkämpfer und Wahlkampfhelfer vor der Europawahl eine noch beklemmendere Aktualität bekommen, die wohl nicht einmal Christian Springer selbst vorhersehen konnte. Die er aber in einem Nachtrag sogar noch einarbeitete.

Christian Springer: "Der bayerische Mob - wie die Gewalt in die Politik einzog", cs-wort, Präsentation am 30. Mai, 11.30 Uhr, Lustspielhaus, Occamstraße 8, www.lustspielhaus.de

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