Christian Kracht liest aus "Imperium":Ein Skandalautor gibt sich schüchtern

Sein neuer Roman "Imperium" hat die deutschen Feuilletons bewegt - und Christian Kracht Rassismus-Vorwürfe eingebracht. Jetzt hat der Schweizer Autor in München aus seinem Buch gelesen. Wer einen Skandal erwartet hat, wurde überrascht.

Anna Fischhaber

Keine Fotos, keine Fragen. Das sind die Bedingungen, die Christian Kracht gestellt hat. Schon zum vierten Mal ist der Schweizer, der zu den besten deutschsprachigen Gegenwartsautoren gezählt wird, im Münchner Literaturhaus zu Gast. An diesem Donnerstagabend ist der große Saal unter dem Dach zum ersten Mal zu klein. Fast 400 Menschen sind gekommen, um ihn aus seinem Roman "Imperium" lesen zu sehen. Seit der Spiegel ihn zum Skandalautor gemacht hat, zum "Türsteher der rechten Gedanken", ist das Interesse groß an dem kleinen Mann.

Christian Kracht liest aus "Imperium": Der Tisch, an dem Christian Kracht im Literaturhaus liest - der Autor selbst will nicht fotografiert werden.

Der Tisch, an dem Christian Kracht im Literaturhaus liest - der Autor selbst will nicht fotografiert werden.

(Foto: Stephan Rumpf)

Protagonist seines Abenteuerromans ist August Engelhardt, Nürnberger, Bartträger, Nudist, Vegetarier im Allgemeinen, Früchteesser im Besonderen, aber kein politischer Mensch. Die Figur ist nicht erfunden, Engelhardt hat es wirklich gegeben. In der Heimat unverstanden, lässt er die Deutschen mit ihrer Fleischlust und ihrer Körperbedeckung hinter sich, um in einer Südsee-Kolonie ein besseres Deutschland zu finden. Er glaubt fest daran, dass in der Kokosnuss die Rettung der Menschen liegt und findet zeitweise sogar ein paar Jünger.

Romantisch ist die Geschichte seiner Auswanderung aber nicht: Engelhardt wird betrogen, verprügelt, schließlich erkrankt er an Lepra, wird verrückt, zum Mörder und Antisemiten. Am Ende retten ihn dunkelhäutige Soldaten mit guten Zähnen, päppeln den Mann, der sich jahrelang nur von Kokosnüssen ernährt hat und deshalb völlig unterernährt ist, mit Hot Dogs auf - und Hollywood macht, in Krachts Roman, einen Film aus seiner Lebensgeschichte.

Im Hintergrund erzählt Kracht noch eine andere Geschichte. Die deutsche Geschichte. Die Zeit des Kaiserreichs und der Kolonien, die Zeit des Ersten und des Zweiten Weltkriegs und immer wieder geht es um Hitler, den anderen Vegetarier. Dass der Autor hier ironisch mit der deutschen Geschichte spielt, und auch oder sogar vor allem mit ihren Tabus, wird beim Lesen und Zuhören klar. Ihn deshalb als Rechten zu bezeichnen, war wohl etwas voreilig. Darin waren sich die Autorenkollegen und Feuilletons bald einig - und nannten die Vorwürfe des Spiegel "Rufmord".

Die Schickeria hat sich herausgeputzt

Inzwischen ist die Debatte abgeebbt, im Literaturhaus zieht ihr Nachhall aber noch immer die Zuschauer an. Die Münchner Kulturschickeria hat sich herausgeputzt, Spannung liegt in der Luft, im Hintergrund läuft bedeutungsschwer klassische Musik von Gustav Mahler. "Ich war einfach neugierig, was passiert", sagt ein Besucher. Wie viele hier wartet er auf einen neuen Skandal. Oder zumindest darauf, wie der Autor auf den Skandal um seine Person reagiert.

Dann betritt Christian Kracht den Saal. Schüchtern lächelnd schüttelt er ein paar Hände. Er trägt ein blaues Hemd, blaue Jacke, die blonden Haare sind zum Seitenscheitel gekämmt. Kracht wird oft als junger Autor beschrieben, dabei ist er mittlerweile 45. Er sieht aus wie der perfekte Dandy, wie viele der jüngeren Zuschauer hier auch. Auf der großen Bühne steht nur ein Tisch mit weißer Decke und ein Stuhl, als sich Kracht im gedämpften Licht niederlässt. "Guten Abend, ich beginne einfach am Anfang", sagt er und fängt an zu lesen - als hätte er sich spontan für diese Stelle in seinem Buch entschieden.

Doch Kracht liest bewusst auch die Stellen aus "Imperium", die die Debatte befeuert haben. Die Hitler-Stellen. Er liest, wie er "stellvertretend die Geschichte nur eines Deutschen erzählt, eines Romantikers, der wie so viele dieser Spezies der verhinderten Künstler war, und wenn dabei manche Parallele zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier ins Bewusstsein dringt, der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre".

"Nichts stimmt, alles wirkt stimmig"

Oder den Satz über den "kleinen Vegetarier, eine absurde schwarze Zahnbürste unter der Nase", dessen Auftritt in der Feldherrenhalle wohl "komödiantisch" anzusehen wäre, "wenn da nicht unvorstellbare Grausamkeit folgen würde: Gebeine, Excreta, Rauch". Das Münchner Publikum liebt ihn für diese Sätze. Hatten zuvor nur einige leise in sich hinein gelacht, ist nun lautes Gekicher zu hören. Kracht reagiert nur einmal, lässt einen Lacher hören, der sich eher wie ein Bellen anhört, dann liest er weiter auf seine ganz eigene zurückgenommene, unbewegliche, sonore Art, die einen dennoch immer mehr in den Bann zieht.

Christian Kracht, Imperium

Archivbild von Christian Kracht. Auch bei seinen Auftritten wirkt der Schweizer Autor scheu und linkisch.

(Foto: Frauke Finsterwalder)

Sobald er aufhört zu lesen, gibt sich der Autor schweigsam, sensibel, fast scheu, wie ein kleiner Junge, der doch nichts Böses will. Immer wieder entschuldigt er sich, wenn er über seine eigenen langen Sätze stolpert. Seine Bewegungen sind linkisch, fahrig. Die Brille, die ihm auf die Nasenspitze rutscht, viel zu groß.

Er fährt sich durch die Haare, knetet nervös die Hände. Das alles wirkt so stimmig, dass man danach nicht recht weiß, ob Kracht wirklich so ist oder ob er einfach eine gute Vorstellung abliefert, die ihn noch geheimnisvoller erscheinen lässt. Fast so wie ein Kritiker über den bewusst falschen Umgang mit Daten in seinen Roman gesagt hat: "Nichts stimmt, alles wirkt stimmig."

Zu den Vorwürfen gegen ihn sagt Kracht nichts. Er diskutiert nicht gerne über sein Werk. Bislang hat er nur ein einziges Fernsehinterview zu "Imperium" gegeben und außer "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen" auch darin nicht Stellung bezogen.

Auch seine Vorredner bemühen sich, das Thema nicht zu tangieren. Der Leiter des Literaturhauses gibt nur zum Ausdruck, dass er sich freue, dass der Lesungstermin in München so spät angesetzt war, dass Kracht, der nach den Rassismusvorwürfen einige Lesungen abgesagt hatte, nun wieder auftritt. In einem Nebensatz der Einführung heißt es, die romantische Verklärung habe überforderte Leser zu falschen Schlüssen gebracht. Kracht nennt das "einfühlsam".

"Jetzt müssen Sie etwas sagen"

Nach einer Stunde ist das Theater vorbei. Kracht reißt sich mit großer Geste die Brille von der Nase, verbeugt sich ein paar Mal hektisch und verlässt dann fluchtartig die Bühne. Doch der Applaus ebbt nicht ab. Schließlich klettert der Autor wieder hoch, setzt sich erneut auf seinen Stuhl, nimmt einen Schluck Wasser. "Prost" ruft jemand. "Das war's", sagt Kracht. Und zum Leiter des Literaturhauses: "Jetzt müssen Sie etwas sagen."

Dann gibt er Autogramme. Noch immer herrscht fast andächtige Stille im Saal. Schnell hat sich eine lange Schlange vor der Bühne gebildet, viele haben Tüten dabei, um sich gleich mehrere Bücher signieren zu lassen. Wann trifft man schließlich schon mal einen echten Skandalautor? Ein alter Herr hat es so eilig, dass er beim Erklimmen der Bühne stolpert und droht, rückwärts wieder herunter zu fallen, würde ihn nicht ein anderer Zuschauer festhalten.

Fragen stellt auch jetzt niemand, stattdessen bedanken sich die Zuschauer kichernd und nennen artig ihren Vornamen - manch ältere Dame im Kostüm wirkt da wie ein Schulmädchen. Nur eine große Blondine ist mutig, wünscht sich laut, dass er ihr Buch den Kürbisbrüsten einer Nudistin widmet, die er in seinem Roman so anschaulich beschreibt. Kracht hüstelt, fragt nach ihrem Namen, lässt schließlich die Brüste weg.

Wer bei diesem Auftritt einen Skandal sucht, muss schon zwischen den Zeilen lesen. Dafür hat Christian Kracht gesorgt.

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