Süddeutsche Zeitung

Interview mit Christian Bruhn:Lautstark im stillen Kämmerlein

Seine Werke wie "Marmor, Stein und Eisen bricht" oder "Heidi" kennt jeder. Nun bekommt Christian Bruhn den Deutschen Musikautorenpreis für sein Lebenswerk - doch am liebsten arbeitet der smarte 88-Jährige unbeobachtet in seiner Villa in Solln.

Interview von Michael Zirnstein

An der Musikstadt München schätzt er die Weltklasseorchester, sagt Christian Bruhn. Aber schätzt auch die Musikwelt ihren wohl eifrigsten Komponisten? Mehr als 2500 Titel hat der nun 88-Jährige bei der Musikrechtegesellschaft Gema angemeldet, jeder kennt zumindest ein paar davon: Schlager wie "Zwei kleine Italiener" oder "Marmor, Stein und Eisen bricht", Werbe-Jingles wie "Milka, die zarteste Versuchung" oder Film- und Fernsehmelodien von "Heidi" bis "Tim Thaler". Für sein Lebenswerk zeichnet die in München ansässige Gema nun den "stillen Giganten" am Donnerstag, 30. März, in einer Gala in Berlin mit dem "Deutschen Musikautor*Innen-Preis" aus. Man solle, sagt der 88-Jährige in seiner Villa in Solln, Komponisten übrigens nicht "virtuos" nennen, denn das bezeichne nur die musikalische Fingerfertigkeit, "genial" würde eher passen.

SZ: Ihr Freund Ralf Siegel hat sich mit "Zeppelin" einen Lebenstraum verwirklicht. Kommt von Ihnen jetzt auch noch das große Musical?

Christian Bruhn: Ich möchte mein Alter lieber in Ruhe verbringen. Wir hatten ja einen Erfolg mit "Mein Freund Wickie", das sind lauter lustige Lieder, meistens Beat, das ging gut ab.

Wie steht es um Ihr Heidi-Musical, Ihre Titelmelodie für die Zeichentrickserie ist ja legendär?

Das lief nur im Fränkischen irgendwo. Heidi ist doch sehr romantisch, da geht es immer um "Heimat, Heimat, Heimat", das kann sein, dass die Intendanten das für Kinder nicht so reizend finden. Es gibt acht oder neun "Heidi"-Musicals, meins ist sehr umfangreich, aber vielleicht auch zu üppig.

Das Bundesverdienstkreuz wäre nichts für Sie, haben Sie mal gesagt, nachdem Sie einen Bekannten zu einer Massenverleihung begleitet haben. Gerade haben Sie es aber doch angenommen.

Ja. Nun hat mir der bayerische Ministerpräsident persönlich einen Brief geschrieben. Da werde ich es nicht verweigern. Überreicht habe ich es dann vom Kunstminister Blume bekommen, immerhin in einem feinen Saal, Gemäuer hat ja Bayern genug dafür. Und es gab auch einen Schluck Sekt. Zwei oder drei andere haben es auch bekommen, aber nicht 50 wie damals.

Tragen Sie es?

Nein, ich habe es im Tresor, wie die anderen Preise auch. Den Paul-Lincke-Ring, den Gema-Ehrenring, die Richard-Strauss-Medaille ...

Bedeuten Ihnen solche Preise etwas?

Ich bin ein Bewunderer von Paul Lincke, der hat sehr feine, raffinierte Sachen gemacht. Genial, wenn auch sehr volkstümlich.

Jetzt kommt der Deutscher Musikautor*innenpreis der Gema für Ihr Lebenswerk dazu.

Den Preis gibt es ja schon eine ganze Weile, und für mich kommt er wirklich am Ende meines Lebens. Ich muss ehrlich sagen, ich freue mich sehr, weil mein Gesamtschaffen geschätzt wird. Ich hab ja nicht nur Schlager gemacht, sondern praktisch alles, was die Unterhaltungsmusik angeht. Von Konzertwalzer über Chanson und Kinderlied bis hin zu Werbejingles und Fernsehen.

Der Preis soll in den anderen Kategorien aufstrebende Musiker fördern. Bringt das den Ausgezeichneten etwas?

Nun, es ist eine Ehrung für künstlerische Leistung. Es hat weniger auf den Schallplattenumsatz eine Wirkung, und wohl auch keine auf den Bekanntheitsgrad. Aber was mache ich schon mit Bekanntheit? Die Leute fragen mich ständig: Ach, das ist auch von dir? Und das? Ja, sage ich, du schaust eben nicht auf die Schallplattenetiketten. Während uns als Jugendlichen sämtliche amerikanische Standardautoren wie auch die deutschen Schlager-Urheber bekannt waren.

Ist nicht Bekanntheit immer noch alles, um Erfolg zu haben?

Das ist der große Unterschied zwischen Ralf Siegel, mit dem ich sehr befreundet bin, und mir: Ich bin lieber im stillen Kämmerlein, und Ralf muss sich der Öffentlichkeit offenbaren.

Sie sagten mal über sich: "Ich bin ein erstklassiger Künstler zweiter Güte."

Das ist ein Zitat von Vicky Baum. Die Unterhaltungsmusik ist leichte Kunst und nicht schwere, das geben wir auch zu. Aber über die Jahrhunderte haben viele intelligente Leute leichte Kunst gemacht, weil es eben Spaß macht.

Sie haben viel mit Textdichtern zusammengearbeitet, ist die Trennung von Komposition und Texter sinnvoll?

Das ist entscheidend, ob dem Textdichter eine gute Zeile einfällt, wie bei Schlagzeilen oder in der Werbung. Entscheidend ist auch, ob der Komponist so lange Geduld halt, bis da was kommt. "Es geht mir gut, Mercy Cherie", ist nicht sehr originell, aber die Melodie ist sehr gut.

Haben Sie selber bisweilen mitgetextet?

Bei "ich möchte der Knopf an Deiner Bluse sein" ...

Dem Hit von Bata Ilic ...

Der ganze Refrain ist von mir. Da war der Günther Behrle bei mir und sagte: "Ich hab' da so eine Zeile. Wie könnte das weiter gehen?" Ich schlug vor: "... dann könnt' ich nah nah nah nah nah an deinem Herzen sein. Und legst du nachts die Bluse hin, dann bin ich froh, dass ich in deinem Zimmer bin."

So schnell geht das?

Ja, ich bin ja literarisch beschlagen. Ich habe viel mitgedichtet. Ich habe mich da nur nie aufs Etikett gedrängt. Bei "Aus Böhmen kommt die Musik" ist die erste Strophe von mir.

Und Ihre Melodien, können Sie die alle auseinander halten?

Sehen Sie, ich habe Abertausende von Schlagern, Operettenliedern, Opernarien und Symphonieteilen im Kopf. Das meiste kann ich benennen. Es kann natürlich bei einigen sein, dass sie so unbedeutend waren, dass ich sie vergessen habe. Es gibt ein Lied, "Du bist nicht der Weihnachtsmann und ich bin nicht mehr sieben", da schäme ich mich ein bisschen dafür, eine sehr armselige Komposition.

Hat Sie Ihre Kindheit während des Zweiten Weltkriegs in Kärnten, umgeben von der dortigen Volksmusik, wirklich geprägt, wie es heißt?

Ich lernte davor schon mit der Klavierschule von Leonhard Deutsch, das war ein Wiener Musikprofessor, die bestand aus österreichischen Volksliedern. Dann kam ich zu den extrem musikalischen Kärntnern, wo ich dreistimmig mit den Mägden sang. Also: ja. Aber es gibt sowieso ein Komponistengesetz: "Wenn sich eine Terz anbietet, dann verwende sie auch." Weil sie wohlklingend ist. Vielleicht ist das Bewusstsein in Kärnten geschärft worden. Aber es gab schon zuvor Kompositionsversuche von mir, die gingen auch in Terzen und in Sexten.

Nun klingen Filmmusiken wie der auch in der Electro-Club-Szene verehrte "Captain Future"-Soundtrack nicht nach Alpenländischem ...

Das war ursprünglich für einen Western gedacht, mit Hörnern geblasen: Du li di, da du li da ... (singt) Filmmusik ist ja wieder was ganz anderes als Schlager.

Wo kommen dafür Ihre Inspirationen her, aus Ihrer Klassik-Liebe?

Einen Komponisten zu fragen, wo seine Ideen herkommen, ist ... na ja. Man muss die Textvorlage vom Inhalt her begreifen, also etwa die James-Krüss-Gedichte, damit man nicht über die Worte hinwegkomponiert. Bei der Filmmusik leistet man dem Regisseur einen Dienst und verstärkt die Stimmung: die Trauer, die Spannung, die Liebesseligkeit. Im Fall von Captain Future hat sich eben ideal angeboten so eine Vokalise mit dem Sopran, dazu die Streicher, das Klavier und der Disco-Rhythmus. Eine glückliche Fügung.

Ist für Ihren Beruf darüber hinaus eine musikalische Breite - von Klassik über Neutöner bis Jazz - Voraussetzung?

Wenn man wie ich nicht nur Schlager macht. Da bin ich ja Außenseiter. Aber das ist das, was mich wach und am Leben gehalten hat. Ich komponiere ja immer noch, wenn auch viel für die Schublade. Was mein Musikschaffen anbelangt, bin ich doch aus der Zeit gefallen. Tiktok würde ich nicht mehr in Angriff nehmen.

Für den Entertainer Donato Plögert schreiben Sie aber noch.

Ja, wenn der mir einen Text schickt, kritzle ich die Noten schnell neben den Text. Gerade arbeite ich einen Wiener Walzer aus, die Partitur habe ich früher für großes Orchester geschrieben, jetzt arbeite ich sie für Synthesizer um, aber nah an der Wirklichkeit. Eine handwerkliche Prüfung für mich.

Sie haben lange die Arbeit der Gema mitbestimmt, auch als Aufsichtsratsvorsitzender. War die Musik-Rechteverwaltung einfacher, bevor es das Internet gab.

Ja, sicher. Vor der Digitalzeit hatten wir die drei Säulen: mechanische Musik, Live-Musik und Musik von Sendern. Leider sind die Verwertungsgesellschaften bei den Verhandlungen in der digitalen Musik übervorteilt worden, im Gegensatz zu den Tonträgerfirmen. Die Entlohnung für die Urheber ist im Gegensatz dazu lächerlich, beschämend. Da sind die Dachverbände der vereinigten Verwertungsgesellschaften nicht stark genug gewesen. Ich weiß noch, die Süddeutsche Zeitung hat sich damals begeistert für das Download-Portal "Napster" und dass das alles frei zum Download wäre. Da habe ich auch gesagt: Ja, und jetzt drucke ich eure Zeitung nach und verteile sie umsonst.

Besteht noch eine Chance für die Musiker auf bessere Entlohnung?

Nun, es soll besser werden. Aber durch die große Konkurrenz von Apple, Spotify und Co. kommt dann auch immer weniger rein. Also wird es dabei bleiben.

Ist die Rechteverwertung nicht ein sehr nüchternes, gar ernüchterndes Geschäft für einen Künstler wie Sie?

Mich hat das Juristische immer interessiert. Wenn ich gar keine musikalische Begabung gehabt hätte, wäre ich vielleicht Rechtsanwalt geworden. Ich werde oft noch um Rat gefragt und kann mich nützlich betätigen.

Was ist momentane Herausforderung der Gema?

Immer noch dieselbe: Die Unterbewertung des Urheber-Anteils bei Ton-Konserven.

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