Chorfestival:Diven, Zuckerschnitten und ein Lollipop-Dirndl

Lesezeit: 3 Min.

Beim schwul-lesbischen Festival Various Voices treffen sich mehr als 90 Chöre aus 20 Ländern. Die Auftaktgala im Gasteig ist ein grandioser Spaß mit beeindruckender Stimmenwucht, Gänsehautmomenten und einem Turbolehrgang im Jodeln

Von Tom Soyer

Wenn sich Chöre Namen geben wie Da capo al dente, Deep C Divas oder Loud & Proud, dann lässt das schon auf eine ziemlich vergnügliche Haltung zur Musik schließen. Und auch Die Weibrations, die Kessen Berlinessen oder die Zuckerschnitten erinnern einen irgendwie an fulminante Künstlernamen, wie man sie in München sonst von Freizeitkickerteams wie den Satanischen Fersen oder Sixpack United kennt. Es ist grandioser Spaß - und zugleich grandiose Gemeinschaftskunst, denn mehr als 90 Chöre der Schwulen-, Lesben- und Transgender-Community aus 20 Ländern bevölkern bis Sonntag beim Festival Various Voices den Gasteig und die Innenstadt.

Schon bei der Auftaktgala am Mittwochabend bebt die Philharmonie, wie wohl nie zuvor. Wenn 2600 zünftige Chormusiker, angeleitet von Dirigent Martin Wettges, in Carl Orffs "O Fortuna" einstimmen, entsteht aus nie gehörter Stimmenwucht wohligste Gänsehaut. Am Samstag, 12. Mai, 20 Uhr (Aufstellung von 19 Uhr an), soll es das - wieder mit dem Rainbow Sound Orchestra Munich - noch in gesteigerter Form auf dem Odeonsplatz geben. Dann wollen alle Chöre gemeinsam mit jedem, der mag, Carl Orffs "Carmina Burana" als Mitsing-Konzert aufführen.

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(Foto: Robert Haas)

2700 Chorsängerinnen und -sänger sind bis Sonntag zu Gast beim Festival Various Voices.

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(Foto: Robert Haas)

Moderatorin Gloria Gray im "Lollipop-Dirndl".

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(Foto: Robert Haas)

Lilamunde aus München.

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(Foto: Robert Haas)

Gloria Gray bei einem heiteren Plausch mit Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner.

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(Foto: Robert Haas)

Qwerty Queer aus Odessa.

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(Foto: Robert Haas)

D'Schwuhplattler sorgen für bayerisches Flair.

Alle vier Jahre findet Various Voices statt. Das inzwischen 14. internationale Treffen der schwulen, lesbischen, trans- und intersexuellen Chöre, das LGBTI*-Chorfestival, kann sich in diesem Jahr über eine Rekordbeteiligung freuen. "Darin spiegelt sich auch Münchens Selbstverständnis als weltoffene Stadt und als europäische Kulturmetropole", sagt Grünen-Stadträtin Lydia Dietrich bei der Gala im Gasteig.

Dem Publikum muss sie immer wieder unter Gelächter klarmachen, dass die Ich-Form des Textes hinter ihr auf der Videoleinwand ein wenig irreführend ist: Denn Dietrich ist so kurzfristig für Oberbürgermeister Dieter Reiter eingesprungen, dass auf der Wand Reiters englisch übersetzte Rede, am Mikrofon aber ihre läuft. "Lord Mayor" sei sie nämlich gar nicht. Auch wenn das Auditorium der im Juni aus dem Stadtrat scheidenden Grünen das Gefühl gibt, als sei sie für diese Community die wahre Oberbürgermeisterin. Dietrich gehört schon lange zu jenen, die in Münchens ukrainischer Partnerstadt Kiew Homosexuelle unterstützt, die dort mit Anfeindungen zu kämpfen haben. In diesem Sinne versteht sich Various Voices auch als politisches Signal, das Mut machen soll. Es gehe um einen "spirit of optimism", sagt Dietrich, einen Geist der Zuversicht.

Qwerty Queer, neun Frauen aus Odessa in der Ukraine, sind dankbar für dieses Signal, legen eine berückend schöne Gesangsperformance auf die Bühne, die auch gestandenen Chorsängern wie dem Schotten Aris vom Edinburgh Gay Mens' Chorus Tränen in die Augen treibt. Zum Applaus für den Chor aus Odessa steht das ganze Publikum und klatscht frenetisch weiter, als die neun jungen Ukrainerinnen ihnen beim Abgang den Rücken zuwenden. Gewaltiger Applaus als gewaltige Rückenstärkung.

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Viel gelobt wird im Publikum als "Master of Ceremonies" auch Gloria Gray, die gemütlich vom roten Sofa aus durch den Abend führt, mal einen heiteren Plausch mit Gasteig-Geschäftsführer Max Wagner hält, für den Various Voices die bislang größte Veranstaltung im Haus ist, mal dem internationalen Publikum erklärt, dass ihr Outfit das ist, "what we call a Bavarian Dirndl". Zugegeben, es ist die Variante mit "viel Glitzer-Glitzer und Bling-Bling", korrigiert die Entertainerin selbst, "it's a Lollipop-Dirndl".

Bayerische Programmpunkte sind den Münchner Gastgebern offenbar wichtig. So darf auch der Münchner Volksmusik- und Schlagerstar Patrick Lindner ran. Bei "Moon River" im Sinatra-Style gehen überall die Handytaschenlampen an, brandschutz-kompatible Romantik. Und dann weiß Lindner den Moment zu nutzen, wenn er vor Schwulen, Lesben und Transgender-Gästen seinen Schlager "Leb dein Leben, so wie du es fühlst" singt. Dass das keine Chormusik ist, stört niemanden. Bei VariousVoices sind irgendwie alle für alles offen. Sogar fürs Jodeln. Denn die grell bedirndlte Gloria Gray holt auch noch eine Frau im echten Dirndl auf die Bühne: Traudi Siferlinger, Moderatorin mit gepflegt bairischer Aussprache. Ihr Anspruch ist eigentlich vermessen: Menschen aus Australien, der Türkei oder sogar aus Berlin quasi aus dem Stand zu Jodlerinnen und Jodlern zu machen. Die Chormusikanten schaffen das Unglaubliche, sogar zweistimmig. Siferlinger singt wunderschön vor, und rund 2700 Menschen singen aus vollen Kehlen mit. "Yodeling" ist nachher bei der großen Party in den Gasteig-Gängen noch lange ein Thema unter den Gästen. Ein echter Kracher.

Mit dem Münchner Ensemble Alpen Klezmer um Andrea Pancur gibt es sogar noch eine kollektive Jodel-Verlängerung. Auch da dürfen wieder alle mitmachen und haben es dank Siferlingers Turbolehrgang drauf. Als dann noch Münchens schwule Schuhplattler, die Schwuhplattler, ihren bejubelten Hüpf- und Klatschreigen aufführen, ist Aris aus Edinburgh ganz aus dem Häuschen. Als stolzer schottischer "Highland-Dancer" ist er manches gewohnt - aber Schuhplattln, das haut ihn jetzt schier um vor Begeisterung.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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