Chöre:Die Münchner wollen singen

Chöre: 60 Stimmen für ein Halleluja: Die Sänger des Giesinger Bud-Spenzer-Heart-Chors lieben ihr Idol.

60 Stimmen für ein Halleluja: Die Sänger des Giesinger Bud-Spenzer-Heart-Chors lieben ihr Idol.

(Foto: Bud-Spenzer-Heart-Chor)

Und zwar so dringend, dass mancher Kneipen- und Spaß-Chor kaum mehr Mitglieder aufnehmen kann. Wir stellen vier junge Münchner Chöre vor.

Von Michael Zirnstein, Bernhard Blöchl und Cindy Riechau

Wer traut sich zu singen? Die Traumata aus dem Musikunterricht sitzen tief. Alleine vor Publikum ein Lied anzustimmen - schwitz! Aber in der Masse tönt man stark. Deshalb wird gerade so viel gesungen wie seit Gotthilf Fischers Massenaufläufen mit seinen Chören in den Achtzigerjahren nicht mehr: In den Fan-Kurven der Fußballstadien, beim Mantra-Chanten in den Yoga-Studios, wenn Maestro Mano Ezoh Zig-Tausende Laien zum Gospel-Weltrekordversuch in der Olympiahalle zusammenbringt und bei den "Rudelsingen"-Veranstaltungen, wo jeder einfach Karaoke-mäßig mitträllern kann.

Gut, so weit wie in Österreich, wo der nationale Chorwettbewerb im Fernsehen übertragen wird wie bei uns die Bundesliga, sind wir noch nicht. Aber Chöre haben in München gerade großen Zulauf. Etwa 300 Gesangsvereine gibt es hier, vom Bayerischen Sing-Kreis St. Georg und klassischen Liederkränzen über den Polizeichor und Barbershop- und A-cappella-Ensembles bis zum Shanty-Chor Isar-Möven.

Den größten Ansturm gibt es auf jene Gruppen, die man vielleicht unter dem Begriff "Szenechöre" zusammenfassen kann. Der 1. Münchner Kneipenchor hat damit vor vier Jahren angefangen, Biertrinken und Singen - "mit Anspruch!" - zu verbinden. Heute ist er so überlaufen, dass sich ein für alle offener Ableger gegründet hat.

Der Bud- Spenzer-Heart-Chor singt im Jeans- und Holzfäller-Look nur Lieder aus den Filmen des Schauspielerriesen. Und der Kösk-Chor probt in einer Subkultur-Galerie. In allen stand anfangs das Gemeinschaftsgefühl vor der Sangeskunst - das ändert sich gerade. Wir stellen vier Ensembles vor.

Bud-Spenzer-Heart-Chor

Wenn sich an diesem Dienstag der Todestag der Haudrauf-Ikone Bud Spencer jährt, erreicht ein Chor aus Giesing einen Höhepunkt in seiner jungen Geschichte. Zum ehrenvollen Anlass erscheinen Sondermarken der Post, und der Bud-Spenzer-Heart-Chor (das "Z" ist absichtlich gesetzt) gibt in der Milla sein erstes Konzert. Sein erstes umfassendes Konzert mit einem Repertoire aus 17 Songs. Ausschließlich Lieder aus den Spencer-Hill-Filmen erklingen dann zu zwei Gitarren und einer Cajón. "Banana Joe" ist dabei, "Bulldozer", "Miss Robot". Hymnen, die jeder Fan kennt (Beginn um 20.30 Uhr). Diese Truppe ist das Lalala unter den beschwipsten Melodien, der breit grinsende Mitwipper in der Schar der Laiensänger.

Das Spaßprojekt um den Chorleiter Dominik Schauer macht Furore, und seit ein paar Wochen überschlagen sich die Ereignisse. Von der ersten Probe im Improvisationsschuppen Flo Stern über Kurzauftritte beim Maibaumaufstellen und beim Walky-Talky-Straßenfest bis hin zur kleinen München-Tournee (Open Air am Marsmarkt, 30. Juni, Vereinsheim, 3. Juli) ist knapp ein halbes Jahr vergangen. Inzwischen bringen sich 60 Sängerinnen und Sänger ein, darunter überdurchschnittlich viele Männer, und das Ergebnis kann sich von Mal zu Mal mehr hören lassen. Wo anfangs schiefe Töne waren, sind jetzt schöne Harmonien und Timing. Schauer gibt der Gruppe ein Gesicht. Mit seiner Akustikgitarre steht der Musiklehrer und Musiker vor den Jeansfrauen und Karohemdenmännern und macht ihnen sozusagen den "Sheriff".

Eine Riesenanerkennung gab's neulich beim Filmfest, als die Doku "Sie nannten ihn Spencer" Weltpremiere hatte und Ehrengäste wie Giuseppe Pedersoli, Buds Sohn, oder Riccardo Pizzuti, der Oberbösewicht aus den Filmen, im Mathäser saßen. Schauers Chor durfte vor der Vorführung singen, und in dem Moment, als die Blockflöten "Flying Through The Air" verzierten, ging ein wohliges Aaaaaaaah durchs Publikum. Als dann der Sopran zum lieblichen wie allseits bekannten "Lalalalalala" ansetzte, waren eh alle hingerissen.

So viel Glamour ist nicht immer, der Chor-Alltag sieht anders aus: Jeden Montagabend, um viertel nach sieben, treffen sich die Sänger im Obergiesinger Flo Stern, um Bekanntes zu verbessern und Neues einzustudieren. Und um Bier zu trinken, das gehört bei einem Kneipenchor selbstredend dazu. Inzwischen gibt es T-Shirts und Buttons, und ein gemeinnütziger Verein ist gegründet. Nur beim Arrangement möchte Dominik Schauer nicht weiter aufmotzen. "Wie eine kleine Skiffle-Band" sollen die Musiker klingen, sagt er, nicht üppiger.

Auch die Größe des Ensembles soll nicht erweitert werden. Und obwohl bereits 80 Leute auf der Warteliste stehen, kann sich jeder bewerben (wer ein Instrument spielt und Chor-Erfahrung hat, ist klar im Vorteil). Große Ziele hat Schauer sehr wohl: Kooperationen mit anderen Chören wären schön, sagt er, oder Aufritte bei Fan-Treffen. "Mein persönlicher Knaller wäre Wacken. Da möchte ich unbedingt hin." Warum ausgerechnet zu dem Hard-Rock-Festival in Schleswig-Holstein? "Die Schnittmenge aus Metal- und Bud-Spencer-Fans ist groß."

Münchner Kneipenchor

In weitem Bogen fliegt eine Kirsche in den Mund eines Basses, statt dass diesen ein Ton verlässt. Die Nachbarkinder werfen vom Baum aus mit Steinobst nach dem Kneipenchor, der ausnahmsweise nicht in der Favorit-Bar, sondern einem Hinterhof probt. Die Chormänner spielen das Spiel begeistert mit - mit mäßigem Fang-Erfolg, aber unter großem Hallo der vis-à-vis aufgestellten Frauen. So süß, da könnte man als Chorleiter schon sauer werden. Immerhin will Jens Junker ein raffiniertes Arrangement des Aha-Hits "Take on Me" einstudieren. Er bleibt gelassen.

Junker kennt man von der Anarcho-Gruppe Schicksalscombo, er kommt aber aus der Klassik, hat als Teenager einen Kirchenchor geleitet, meisterlich Geige und Orgel gespielt. "Wenn der Dirigent gezuckt hat, haben alle den Mund gehalten", erinnert sich der Lockenkopf lächelnd. Ist so jemand nun der Richtige für eine Rasselbande, die anfangs nach Berliner Vorbild Flashmob-artig Boazn überfallen wollte, mit "Singen und Trinken", wie ihr Motto lautet, wahlweise auch "Trinken und Singen", und das gleichzeitig, auch auf der Bühne in Jogginghose und Unterhemd?

Chöre: Nur echt mit Bier und Unterhemd: Beim bisher größten Auftritt, dem Ego-FM-Fest in der Muffathalle, sangen mehr als 50 Mitglieder des Kneipenchors mit.

Nur echt mit Bier und Unterhemd: Beim bisher größten Auftritt, dem Ego-FM-Fest in der Muffathalle, sangen mehr als 50 Mitglieder des Kneipenchors mit.

(Foto: Christian Hilden)

Das Konzept, das sich Mona Walch und Lisa Reuter ausgedacht hatten, aus der inneren Not heraus, sich in keinem Chor je wohlgefühlt zu haben, kam an: Über Nacht hatten sich 30 Interessierte für den 1. Münchner Kneipenchor gemeldet, die meisten sind noch dabei bei den 56 Auserwählten, von denen anfangs längst nicht alle singen konnten. Und nicht alle Chorleiter konnten den Chor leiten, Jens Junker ist der fünfte. Er war vorher als Bass eine tragende Säule und sprang ein, als es bei einer Vorgängerin wieder nicht passte. Erst war er sich unsicher, wie er mit diesen "Rampenmenschen" umgehen soll, alles Individualisten mit Bärten, Barfüßen und Bierdurst.

Inzwischen ist er "voll überzeugt, dass Spaß die totale Prämisse ist, wichtiger als die Musik", sagt er, der dennoch als streng gilt. Die Sänger wiederum haben gemerkt, "wenn es sich besser anhört, steigt auch der Spaß, das erzeugt innere Disziplin", erklärt die Kneipenchor-Geschäftsführerin Lisa Reuter. Und Jens Junker sagt, er habe irgendwann kapiert: "Diese Leute haben das große Bedürfnis, sich zu äußern. Genau diese Dynamik ist die Stärke des Münchner Chors auf der Bühne. Andere Chöre geben sich viel Mühe mit Choreografien. Das brauchen wir nicht, dieser ADHS-Haufen ist wie ein Wimmelbild."

"So, Kirschenpause, jetzt!", ruft einer aus dem Chor, man hat verstanden, kämpft mit dem verwirrenden Text, "Take on me, take me on, I'll be gone", fügt die einzelnen Stimmen zusammen, am Ende sagen alle nur: "Geil!" und applaudieren. Auch Junker strahlt seinen Pianisten Carles Ramos an. Das Stück sei für einen Guerilla-Chor nun nicht gerade originell, aber mit dem Arrangement von einem befreundeten Chor aus Birmingham könne er die Kneipensänger technisch voranbringen.

Man sucht noch nach einem Biersponsor

Ansonsten haben sie die Überraschung meist auf ihrer Seite mit ungewöhnlichen Stücken von Kofelgschroas "Wäsche" über Wandas "Bologna" bis zu Prodigys "Out of Space", eine harte Nummer, mit der sich die Sänger erst zusammenraufen mussten - jetzt fordern sie es zum Abschluss der Open-Air-Probe und stürzen sich begeistert in den Technoteil mit viel "Boing" und "Ding" und improvisierter Percussion auf dem Kirschenplastikeimer.

Es herrscht - bei aller Disziplin - Klassenfahrtsstimmung. Die kann der Kneipenchor jetzt auf der ersten Tournee ausleben, im Juli fliegen 30 Sänger nach England, pennen in Bettenlagern, singen in Städtchen wie Coventry, Brighton oder Nottingham und feiern im Gründersinne - nur hierbei könnten sie Hilfe gebrauchen, sagt Lisa Reuter: "Wir suchen nach einem Biersponsor für die Reise."

Go-Sing-Choir und Köşk-Chor

Go-Sing-Choir

Ein Auftritt war nie geplant. Das hätte den einen oder anderen Sänger vielleicht sogar zu sehr eingeschüchtert und davon abgehalten, zu erscheinen. Die Idee des Go-Sing-Choir ist es aber, dass alle kommen können, ob sie singen können oder nicht. Es soll keine Hürden geben, nur die Lust am gemeinsamen Singen beliebter Pop-Nummern. Wenn dieses Konzept für einen offenen Chor an die Idee des 1. Münchner Kneipenchores vor vier Jahren erinnert, dann trifft das zu. So fing alles an, aber je öfter die etablierte Boazn-Bande auftritt, umso mehr wollen sich dem lässigen Haufen anschließen, umso länger wird die Warteliste, und jede Kratzkehle kann aufgrund des geübten Auftretens nun auch nicht aufgenommen werden. "Das ist schon schade", sagt der Kneipenchor-Leiter Jens Junker, "erst motiviert man die Leute zu singen, dann muss man sie wegschicken."

Genau aus diesem Dilemma heraus hat er zusammen mit Ian Chapman von der Band Gurdan Thomas den Go-Sing-Choir gegründet: keine Mitgliedschaft, keine Verpflichtungen, keine Kostüme - man trifft sich nur einmal jeden letzten Sonntagnachmittag im Monat im Club Milla, studiert in zwei Stunden ein Stück ein, bekommt ein Video davon und geht wieder auseinander. Kann das klappen? Junker und Chapman wissen schließlich nie, wie viele kommen und wie sie singen.

Aber sie haben eine Methode entwickelt, mit der jeder schnell seine Wohlfühl-Stimmlage findet, und sie haben immer einfache, aber schöne Arrangements geschrieben. "Das ist kein Karaoke", sagt Junker, "es soll schon mehrstimmig sein". Gerade sangen sich ein paar Dutzend Gäste mit "Where is my mind" um den Verstand, und beim ersten Termin im Mai setzten sie sich über Amy Winehouse' "You Know I'm No Good" hinweg: Und wie gut sie waren, das zeigten alle bei einem spontanen Auftritt nach der Probe auf dem Platz vor der Milla.

Köşk-Chor: Sänger, die in einer Subkultur-Galerie proben

Irgendwann hatte Manuela Rzytki genug von der Vereinzelung. Warum mehrstimmige Gesangsprojekte immer nur alleine umsetzen, wenn doch ein Chor dafür wie geschaffen ist? Kurzerhand gründete die Musikerin, die auch an Produktionen des Residenztheaters und den Münchner Kammerspielen mitwirkt, einen Laienchor. Weil die Sänger die Räumlichkeiten des Kunstprojekts "Köşk" nutzen dürfen, übernahmen sie dessen Namen einfach für sich. Aktuell singen etwa 20 Leute regelmäßig in der Gruppe, darunter vor allem Frauen. "Deshalb arrangiere ich unsere Lieder unkonventionell - da singen die Frauen auch mal im Tenor und unsere wenigen Männer schon mal die höheren Lagen", erklärt die Gesangsleiterin Manuela Rzytki.

Der Chor ohne strenge Vorschriften singt dann auch nicht nur klassische Werke. Poplieder stehen bei dem individuellen Gesangsverein ebenso auf dem Programm wie Kunstperformances. Als Manuela Rzytki den Chor vor zweieinhalb Jahren startete, mimte das Ensemble auch schon mal eine Raumfahrtbesatzung: "Ich hatte ursprünglich sogar die Vorstellung von einem ,Space-Chor', aber auf Dauer immer die gleiche Idee umzusetzen, war mir dann doch zu dogmatisch." Außerdem legt die Musikerin, die auch die Band Parasyte Woman gründete, großen Wert auf eine gemeinsame Gestaltung des musikalischen und künstlerischen Programms zusammen mit den Sängern: "Ich bin ja schließlich kein Maestro".

Einmal pro Woche probt der Laienchor, der alle Altersgruppen ansprechen möchte, in den Räumen der ehemaligen Stadtbibliothek im Westend. Der Köşk-Chor ergänzt das vielfältige Angebot des künstlerischen Zwischennutzungsprojekts des Kreisjugendrings, von dem das gesamte Stadtviertel profitieren soll. "Die Räume sind zwar nicht besonders nobel ausgestattet, aber die Atmosphäre hier gefällt uns sehr", erklärt die Chorleiterin ihre Wahl für den Proberaum.

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