Literatur:Was von der Liebe übrigbleibt

Literatur: "Einzig Freundschaft und Schwesternschaft bewahren uns vor dem Abgrund" - ein Fazit des Romans "Das synthetische Herz" von Chloé Delaume.

"Einzig Freundschaft und Schwesternschaft bewahren uns vor dem Abgrund" - ein Fazit des Romans "Das synthetische Herz" von Chloé Delaume.

(Foto: Hermance Triay)

Die französische Autorin Chloé Delaume stellt ihren bösen kleinen Roman "Das synthetische Herz" im Literaturhaus München vor.

Von Antje Weber

Es muss ein Leben nach der Trennung geben: Adélaïde hat genug von ihrem langweiligen Ehemann, sie packt ihre Klamotten und sieben Billy-Bücherregale und zieht in Paris in eine, nun ja, sehr kleine Wohnung um. Zwar ist auch ihr Bett jetzt nur noch 1,20 Meter breit, dennoch steht der Pressemitarbeiterin eines Verlags der Sinn nach einer neuen Liebe - la vie en rose. Doch wie kündigt Chloé Delaume bereits am Ende des ersten Kapitels von "Das synthetische Herz" an: "Dies ist die Geschichte einer Rose, die noch nicht weiß, dass sie zum Mauerblümchen wird. Adélaïde Berthel ist eine Frau wie viele andere. Für die mit sechsundvierzig Jahren das Ende der Mädchenträume eingeläutet wird." Bam!

Dass Chloé Delaume hierzulande so gut wie unbekannt ist, ist schwer zu begreifen. Die französische Schriftstellerin, 1973 in Versailles geboren, hat bereits 27 Bücher veröffentlicht; nur eines von ihnen war vor vielen Jahren übersetzt worden. Der kleine Münchner Verlag Liebeskind hat jetzt einen weiteren Versuch unternommen und in Claudia Steinitz eine treffsichere Übersetzerin gefunden. Und man kann nur feststellen: Wenn alle Bücher von Chloé Delaume so gut sein sollten wie der Roman "Das synthetische Herz", der in Frankreich ein großer Erfolg war und den Prix Médicis gewann, dann ist die bisherige Missachtung ein Versäumnis.

Was dieses kurze Stück Prosa jedenfalls nicht ist: ein Wohlfühl-Roman. Die Erzählhaltung ist auktorial, der Blick in die Abgründe menschlichen Begehrens kalt, der Witz lakonisch bis ätzend böse. Die Leser begleiten Adélaïde durch ihre sexuellen Fantasien, die von schlappschwänzigen Liebhabern in der Realität leider nicht eingelöst werden, durch magische Rituale mit ihren Freundinnen und nicht zuletzt durch ihren Berufsalltag - und das ist ein besonderer Spaß.

Dies ist auch eine Literaturbetriebs-Satire

Zwar ist das Genre der Literaturbetriebs-Satire bereits mit vielen Beispielen gesegnet, doch Delaumes Einblick in die Pariser Verlagswelt ist nicht nur entlarvend, sondern wirklich sehr komisch - und lässt sich, so darf man getrost annehmen, bestens auf die deutsche Branche übertragen. Anschaulich wird die Pressemitarbeiterin in ihrem unermüdlichen Bemühen gezeigt, diverse Autoren ins Gespräch und zu renommierten Preisen zu bringen, selbst wenn sie "das Charisma eines toten Otters" haben. Doch es reicht alles nicht, weshalb ein neuer Geschäftsführer ("Wir brauchen Veränderung") das Programm gnadenlos popularisiert: Jetzt ist Schluss mit den Goncourt-Preisträgern und Médicis-Nominierten, jetzt müssen Bücher von Fußballern oder "Geschichte(n) unseres Käses" unters Volk gebracht werden.

Der zehrende Niedergang, vom Berufs- bis zum Liebesleben, wäre zum Verzweifeln - hätte die Hauptfigur Adélaïde nicht ihre Freundinnen. Denn das ist die einzige Wärme, die dieser Roman verströmt: Er singt das Hohelied einer Gemeinschaft der Frauen, die durch noch so bittere Phasen trägt. Frauen müssten klug sein und sich auf verschiedene Szenarien des Alterns vorbereiten, schreibt Delaume. Für sie steht fest: "Einzig Freundschaft und Schwesternschaft bewahren uns vor dem Abgrund."

Chloé Delaume, Lesung, Di., 5. April, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz, Saal- und Streamtickets unter literaturhaus-muenchen.de

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