"Chefsache" Synagoge:"Wir sind noch da!"

Die neue Synagoge - ein Symbol für ein verändertes Selbstverständnis der jüdischen Gemeinden. Aber noch müssen ihre Tore bewacht und die Menschen darin beschützt werden.

Joachim Käppner und Monika Maier-Albang

Es gibt große Bauten, die mehr sind als neue Attraktionen im Stadtbild, kühne Entwürfe also, deren Anblick allein ein Symbol für etwas ist, das weit hinausreicht über die Zeitströmungen und Moden der Architektur, über die sich ja immer streiten lässt.

"Deutscher Stil"

Ein solcher Bau war die Hauptsynagoge in der Münchner Herzog-Max-Straße, ein neoromanisches Prachtgebäude in einem historisierenden Stil, der seinerzeit als "deutscher Stil" auch bei Kirchen- und Rathausbauten sehr beliebt war.

Für die Münchner Juden symbolisierte er den Anspruch auf Gleichberechtigung in der Gesellschaft, und sie mochten bei der feierlichen Einweihung 1887 geglaubt haben, die Erfüllung dieses Anspruchs sei nicht mehr fern: "Vor der neuen Synagoge flatterten Fahnen in den bayrischen und städtischen Farben", notierte ein Zeitgenosse.

Nun, an diesem Donnerstag, flattern wieder Fahnen, und auf vielen steht die Botschaft: Willkommen zurück. Mit der feierlichen Eröffnung von Synagoge und Gemeindezentrum am Jakobsplatz vollzieht sich ein symbolischer Akt, der keineswegs nur für München von Bedeutung ist: Die jüdische Gemeinde einer deutschen Großstadt kehrt aus ihrer versteckten, fast verbunkerten Existenz in einer Seitenstraße ins Herz dieser Stadt zurück, in bester Lage, so wie einst die kaiserzeitliche Hauptsynagoge.

Bis vor kurzem undenkbar

Der Bau aus Glas und Travertin-Stein spiegelt einen Optimismus wider, den viele Juden in Deutschland noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten hätten. Für diesen Optimismus steht Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Münchner Gemeinde und seit kurzem auch des Zentralrates der Juden in Deutschland, mehr als alle ihre Vorgänger.

Mit ihnen eint sie, dass sie Verfolgung und Holocaust noch erlebt hat; von ihnen trennt sie, dass die Skepsis, ob das Judentum in Deutschland, dem Land der Mörder, wirklich eine Zukunft hat, inzwischen der Zuversicht gewichen ist. Zum neuen Stil mag gehören, dass sie ihre Worte manchmal weniger wägt als Ignatz Bubis oder Paul Spiegel.

"Wir sind noch da!"

Wenn Charlotte Knobloch die Deutschen zur Solidarität mit Israel im Libanon-Krieg aufruft, weiß sie nicht wirklich zu erklären, welchen Sinn ein solcher Appell hat, wenn sich gleichzeitig große Teile der israelischen Gesellschaft von diesem Feldzug distanzieren.

In der Heimat angekommen

Aber das ist Teil des tiefen Wandels, in dem sich die Gemeinschaft der jüdischen Deutschen befindet. Sie verstehen sich mehr als früher als solche, auch wenn sich ihre Vertretung noch "Zentralrat der Juden in Deutschland" nennt. Die Mehrheit sitzt nicht mehr "auf gepackten Koffern", ein Bild, das vom Trauma der Überlebenden zeugt und das Charlotte Knobloch Jahrzehnte lang bemühte, die sich nun aber "in der Heimat angekommen" fühlt.

Der Neubau am Jakobsplatz ist eine Zäsur. Für Charlotte Knobloch persönlich, deren Lebenswerk das Zentrum ist, um das sie sich viele Jahre lang bemühte, bis ihr in den Neunzigern mit Christian Ude der damals neue Münchner Oberbürgermeister beiseite sprang und das Projekt zur "Chefsache" erklärte.

Ein Neubeginn aber auch für die Gemeinde, deren eine Hälfte, die Alteingesessenen, das Gefühl so lange nicht loswurde, in München nie ganz angekommen zu sein, während ein anderer Teil, die Zuwanderer aus Osteuropa, die Koffer noch nicht einmal richtig ausgepackt hatte.

Die deutschen Gemeinden erleben eine Renaissance, die vielen wie ein Wunder erscheint. Die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion stellen in München inzwischen fast die Hälfte der Gemeindemitglieder, in Nürnberg und anderswo mehr als drei Viertel. Bis vor eineinhalb Jahrzehnten bestand Münchens Gemeinde hauptsächlich aus sogenannten DPs, Displaced Persons und ihren Nachkommen - Juden aus Osteuropa, die nach dem Krieg hier gestrandet waren.

Von den Nazis fast vollständig ausgelöscht

Die ursprüngliche jüdische Gemeinde hatten die Nationalsozialisten fast vollständig ausgelöscht: 4500 Münchner Juden wurden deportiert, in den Suizid getrieben, ermordet. Überlebt hat nur, wer rechtzeitig ins Ausland floh oder versteckt wurde - wie Knobloch; eine christliche Familie gab sie als eigenes Kind aus.

Und heute? In München leben wieder fast so viele Juden wie vor dem Krieg. 9300 Mitglieder hat die Israelitische Kultusgemeinde. Die Gottesdienste in den drei Synagogen der Kultusgemeinde werden im orthodoxen Ritus gefeiert.

200 Juden besuchen lieber die Feiern in der liberalen Gemeinde Beth Shalom, die seit kurzem auch einen fest angestellten Rabbiner hat. Liberale und Orthodoxe haben in München einen Modus Vivendi gefunden, aber ins neue Zentrum zieht zunächst nur die "Einheitsgemeinde" ein.

"Wir sind noch da!"

Diese Einheitlichkeit war ein Zusammenschluss, der aus Misstrauen gegenüber der schwierigen Heimat Deutschland entstanden war. Die neue Einwanderung hat auch hier vieles geöffnet, aber auch neue Probleme geschaffen. "Kontingentflüchtlinge" durften nach dem Ende des Kalten Krieges nach Deutschland übersiedeln, was übrigens auf einen Entschluss der letzten, der frei gewählten DDR-Volkskammer 1990 zurückgeht.

Die Chance für einen Neubeginn

Die meisten Zuwanderer, aufgewachsen in einer atheistischen Gesellschaft, fühlen sich indes kaum als Juden und wissen so gut wie nichts von ihrer Religion - eine schwierige Integrationsaufgabe, auf die, wie der Münchner Historiker Michael Brenner schreibt, "die jüdische Gemeinde in keiner Weise vorbereitet war".

Inzwischen gibt die Gemeinde ihr Mitteilungsblatt zweisprachig heraus, bietet im Gottesdienst Erläuterungen auf Russisch an. Der Neubau, so hofft man in der Gemeinde, deren Einrichtungen von Schule über Kindergarten und Verwaltung bislang über die Stadt verstreut sind, könnte die Chance für einen gemeinsamen Neubeginn sein. Ein Platz, an dem die Juden der Stadt ihre Identität finden - und sie anderen zeigen können.

Der Jakobsplatz liegt in der Münchner Altstadt. Von ihren Bürofenstern aus werden die Mitarbeiter der Kultusgemeinde nun den Turm vom Alten Peter sehen können, Münchens ältester Kirche, und die beiden Hauben des Doms.

Wer bislang die Synagoge in der Reichenbachstraße besuchen wollte, stand vor einer abweisenden Fassade aus Nachkriegszeiten. Sich unkenntlich machen gehörte direkt vor und nach dem Krieg zum Programm. Jetzt aber will die Gemeinde sich endlich öffentlich zeigen, will dazugehören, will angesichts einer Geschichte der Zerstörung zeigen: Wir sind noch da!

84 überlebende Juden zählten die amerikanischen Truppen, als sie München befreiten, 10000 hatten vor dem Krieg in München gelebt. Die Geschichte des Judentums in München ist so alt wie die Geschichte der Stadt selbst.

1285 fand das erste Pogrom in München statt

Schon 1210 gab es Juden dort, schon 1285 ist aber auch das erste Pogrom überliefert. Setzte sich König Ludwig II. noch für den Bau der Hauptsynagoge ein, wurde im Juni 1938 dieselbe Synagoge auf Befehl Adolf Hitlers dem Erdboden gleichgemacht.

Die neue Synagoge samt Zentrum und Museum wird, wie einst die alte aus dem 19.Jahrhundert, das Stadtbild prägen. Aber ist die jüdische Gemeinde auch tatsächlich nicht allein in der Mitte der Stadt, sondern auch, wie Charlotte Knobloch hofft, "in den Herzen der Menschen" angekommen?

Ein Ort des Dialogs - so wünscht es sich die Gemeinde - sollen Synagoge, Gemeindezentrum und das noch fertigzustellende Jüdische Museum sein. Ein Ort, an dem die Münchner sich über jüdisches Leben gestern und heute informieren können, wo auch sie mit Juden ins Gespräch kommen. Doch wird sich der Anspruch, ein offenes Zentrum zu haben, auch umsetzen lassen?

Sicherheitsexperten raten zur Vorsicht

Noch ist unklar, ob die großen, mit den Anfangsbuchstaben der Zehn Gebote geschmückten Tore der Synagogen je offen gelassen werden können oder ob man Besucher nur durch einen unterirdischen Gang ins Gotteshaus leiten wird. Das koschere Restaurant im Gemeindezentrum hat Fenster, die sich bis zum Boden öffnen ließen, man könnte draußen essen und den Platz genießen.

Aber die Sicherheitsexperten raten - zumal nach dem gerade noch vereitelten Anschlag, den Neonazis 2003 bei der Grundsteinlegung verüben wollten - dringend davon ab, dies auch zu tun.

Normal, sagt Abi Pitum, Vorstandsmitglied der Kultusgemeinde, werde jüdisches Leben in Deutschland erst dann sein, "wenn zur Eröffnung eines Gotteshauses mit 500 Plätzen kein Bundespräsident mehr kommen muss". Oder wenn man das Denkmal für die ermordeten Münchner Juden nicht tief im Innern eines solchen Neubaukomplexes verbergen muss.

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