Charlotte Knobloch und die Synagoge:Der Tag der schrecklichen Erinnerung

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Mal preist sie dieses Land, mal verdammt sie es - wie die Zentralratspräsidentin der Juden auf brüchigem Boden feste Spuren hinterlassen will.

Matthias Drobinski

Sie hat ihr bestes Lächeln angezogen, es strahlt aus einem sorgfältig geschminkten Mund. Dazu ein cremeweißes Jackett zu schwarzem Rock und die Stöckelschuhe, die sie durchs Leben tragen, die Perlenkette und die Perlenohrringe.

Das rote Wollband am rechten Handgelenk irritiert ein wenig; die gibt es in Jerusalem für die Beter an der Klagemauer. Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist 74 Jahre alt, eine gut aussehende, resolute Mater familias.

Im Berliner Hotel Adlon begrüßt sie die Gäste wie ein Familienoberhaupt, das sich seine Herzlichkeit nicht dadurch erschüttern lässt, dass der ungezogene Neffe gerade noch über sie getuschelt hat. Eine Umarmung für Friede Springer, die Verlegerwitwe, zwei Luftküsschen für Salomon Korn, ihren Vizepräsidenten, ein warmer Händedruck den Bundestagsabgeordneten, Kirchenleuten, Verbandsvertretern.

Durchs Fenster blickt man auf das Holocaust-Mahnmal und die Köpfe der Besucher, die durchs Stelenfeld irren. Zum Schluss kommt Hubert Burda mit vollendetem Handkuss; der Verleger soll den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats erhalten, ein bisschen auch dafür, dass er eine Million Euro für das neue jüdische Gemeindezentrum am Münchner St.- Jakobs-Platz gespendet hat.

Es sind zwei deutsche Geschichten: Hubert Burda, dessen Vater einst günstig eine Druckerei aus jüdischem Besitz erwarb, erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats. Und er hat dazu beigetragen, dass am 9. November Charlotte Knobloch in ihrer Münchner Heimat eine Synagoge einweihen kann, die Zeichen eines Judentums ist, das in der Mitte der Gesellschaft lebt - 68 Jahre nachdem in Deutschland die Synagogen brannten.

Verwirrung bei Freunden

Sie geht ans Rednerpult, setzt ihre Lesebrille auf, spricht vom Bürgersinn und davon, dass der Preis ein Signal sei ,,wider eine Gesellschaft des kollektiven Achselzuckens, der Gleichgültigkeit und des Wegschauens''.

Auch, wenn es nicht im Manuskript steht, kommt sie auf ihre Synagoge zu sprechen, die ,,Ausstrahlung auf ganz Deutschland'' haben solle. Es ist ihr Bau. Sie hat ihn gewollt, als sie in der Gemeinde noch die Köpfe schüttelten: zu groß, zu teuer, zu ehrgeizig.

Sie hat durchgesetzt, dass das jüdische Leben ins Zentrum der Stadt zieht, nicht an die Peripherie, wo die Kommune Baugrundstücke anbot. Sie hat mit unerbittlichem Charme Spender für das 60-Millionen-Euro-Projekt geworben. Der 9. November 2006, der Tag der schrecklichen Erinnerung, wird einer der Höhepunkte ihres Lebens sein. Auch deshalb badet sie im Hotel Adlon in Zustimmung.

Es gibt andere Tage. Den zum Beispiel, an dem sie mit dem ehemaligen Regierungssprecher Uwe Carsten Heye für die Aktion ,,Gesicht zeigen!'' gegen Rechtsextremismus wirbt. Wie ,,nach 1933'' sei derzeit die Stimmung gegen Juden, sagt sie, und wieder einmal zucken auch jene zusammen, die es gut mit ihr meinen.

So wie im Sommer, als Israel die Angriffe der Hisbollah mit einer Militäraktion im Libanon stoppen wollte. Es herrsche eine ,,absolute Anti-Stimmung gegen Juden'' im Land, mit Schuld sei auch die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die den Militäreinsatz des Landes völkerrechtswidrig genannt habe.

Grenzenlosigkeit der Äußerungen

Sie hat ein Verbot von NPD und überhaupt rechter Demonstrationen gefordert und ein Schulfach ,,Nationalsozialismus'', um dem Antisemitismus Einhalt zu gebieten. Ein knappes halbes Jahr ist Charlotte Knobloch nun Nachfolgerin des verstorbenen Paul Spiegel. Nach ihrer Wahl lobte sie euphorisch die gute Stimmung bei der Fußballweltmeisterschaft und wünschte sich mehr Patriotismus. Jetzt klingt es so, als hätte sie da über ein anderes Land gesprochen.

Das Grenzenlose ihrer Äußerungen irritiert inzwischen auch in den jüdischen Gemeinden. Sicher: Die Kritik an Israels Politik kippt manchmal ins Antijüdische und das Auftreten der Rechten muss jedem Demokraten die Zornesröte ins Gesicht treiben. Aber es haben nicht die Nationalsozialisten die Macht im Land, ein NPD-Verbotsverfahren ist gerade gescheitert, und der Geschichtsunterricht behandelt seit 30 Jahren ausführlich die NS-Zeit.

Stephan Cramer, der Zentralrats-Generalsekretär, hat sich öffentlich vom Unterrichtsvorschlag seiner Chefin distanziert, was auch einiges über das Verhältnis des ehrgeizigen und begabten Generalsekretärs in Berlin zur Präsidentin aus München erzählt. Doch vor allem fällt das Widersprüchliche in Charlotte Knobloch auf. Die Wärme verstrahlt und Kälte spürt, das Land bejubelt und es mit Nazideutschland vergleicht, das Land, das ihr eine Heimat auf Widerruf geblieben ist. Wie für so viele Holocaust-Überlebende, die letzten deutschen Juden.

Was prägt ein Kind, dessen Kindheit zerbricht? Was verfolgt dieses Kind bis heute? Charlotte Neuland ist drei Monate alt, als Hitler an die Macht kommt, die Mutter trennt sich von Siegfried Neuland, dem erfolgreichen jüdischen Anwalt, weil sie die Diskriminierung nicht mehr erträgt; die Großmutter und der Vater ziehen das Kind groß.

Klingeln am frühen Morgen

Charlotte Knobloch hat einmal den Jugendlichen eines zehnten Schuljahres des Simon-Marius-Gymnasiums im fränkischen Gunzenhausen über ihre Kindheit erzählt. ,,Ich werde nicht gerne erinnert an die Zeiten, die meine Familie und ich durchgemacht haben'', hat sie gesagt. Und dann die Geschichte von Charlotte, dem jüdischen Mädchen erzählt, das in der Nähe des NSDAP-Ortsgruppenhauses wohnt, so dass die SA- und SS-Leute sich einen Spaß daraus machen, um vier Uhr morgens zu läuten und die Wohnung zu durchsuchen. Dem noch heute der Magen krampft, wenn es früh am Tag klingelt.

Am 9. November 1938 bekommt der Vater einen Tipp: Da laufe was gegen die Juden. Siegfried Neuland weiß, was das heißt. Vater und Tochter rennen nach draußen, irren durch München, sehen wie das Kaufhaus Uhlfelder und die Synagoge zerstört werden. Sie sehen Justizrat Rothschild, voller Blut. Er wird noch in der Nacht im KZ Dachau ermordet. Der Vater und das sechsjährige Kind laufen fast 20 Kilometer nach Gauting, wo sie ein nichtjüdischer Freund versteckt.

Zwei Welten ohne Übergang

Neuland könnte nach Amerika gehen, doch die Großmutter bekommt keine Einreiseerlaubnis, so zögern sie die Abfahrt hinaus, bis es zu spät ist: Es geht ein Kindertransport, und es geht ein Transport mit alten Leuten in den Tod.

Ich gehe, sagt die Großmutter. Siegfried Neuland weiß nun aber auch, dass er sein Kind nicht länger wird schützen können. Er ruft die ehemalige Hausangestellte seines Bruders an, Kreszentia Hummel, und die junge Frau wird ihre Retterin, sie nimmt das Mädchen auf. Aha, ein uneheliches Kind, tuschelten die Leute in dem sehr katholischen fränkischen Herrieden bald, so geht's, wenn man in die Stadt geht. Zenzi Hummel lässt die Leute reden, allein der Pfarrer weiß Bescheid, und der hält dicht.

Unglaubliches Glück, Fügung, Gottesgeschenk. Da ist eine einfache Frau unter Lebensgefahr schlicht menschlich, und Charlotte Hummel, so heißt das Kind jetzt, lebt wie andere Bauernkinder eingebettet in den katholischen Tages- und Jahreskreis, sie wird sogar gefirmt.

Doch natürlich ist es keine glückliche Kindheit. Charlotte weiß, dass sie schweigen muss; sie ist freundlich, schließt aber keine Freundschaften. ,,Meine Freunde waren die Tiere'', erzählt sie später. Als sie an einem Frühsommertag 1945 mit dem Kuhkarren Mist aufs Feld fährt, hält ein Auto neben ihr. Sie umarmt die Kuh, um sie zu beruhigen - und dann steht ihr Vater da, dem Judenmord entkommen. Sie will erst nicht zu ihm zurück. Zu fremd sind sie sich geworden.

Wenn über Charlotte Knobloch geschrieben wird, heißt es oft: Sie hat sich ihren Optimismus bewahrt. Das trifft die Sache nicht ganz: Ihr Optimismus und ihre Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, sind Teil der Überlebensstrategie des Mädchens, das nicht sagen durfte, wer es ist. Und der Boden, auf dem ihre Herzlichkeit steht, ist dünn. Er bricht, wenn jemand auf ihn stampft.

Sie hat sich ins Leben gestürzt, nach einer kurzen Ausbildung jung geheiratet; Samuel Knobloch und sie galten als das schönste Paar der Münchner Gemeinde. Sie wollten nach Amerika, weg aus dem ,,Land der Mörder''. Doch dann kamen die drei Kinder, und irgendwann war es zu spät. Ihre Heimat hat sie sich selber erarbeitet, in der Gemeinde, in München.

Erste Frau an der Spitze einer Gemeinde

1985 wurde sie Präsidentin, die erste Frau an der Spitze einer großen jüdischen Gemeinde im Land; theologisch konservativ, wie sie ist, hat sie erst einmal einige Rabbiner gefragt, ob sie so was darf. Sie hat mit eiserner Energie die Gemeinde zusammengehalten, auch als die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion kamen, die so wenig vom Judentum wussten und von den Alteingesessenen misstrauisch beäugt wurden.

Sie ist Ehrenbürgerin, sie liebt München und fremdelt, wenn sie nach Berlin kommt. Und sie ist Präsidentin des Zentralrats geworden, Gesicht und Stimme des jüdischen Deutschlands, das gerade dabei ist, Gesicht und Stimme gründlich zu verändern. Am 26. November wird das Zentralratspräsidium turnusgemäß entscheiden, wer die kommenden vier Jahre dem Gremium vorsitzt.

Formal ist die Wahl offen, doch trotz einiger Grummelei gibt es keine Alternative zu Charlotte Knobloch. Man hat sie im Juni auch gewählt, weil sie zu den letzten Überlebenden des Holocausts gehört. Sie jetzt abzusägen, wäre eine Katastrophe.

,,Ich habe meine Koffer ausgepackt'', sagt Charlotte Knobloch. Wer ein Gemeindezentrum baut wie das am St.- Jakobs-Platz, der will bleiben. Doch das ist nur die eine Welt, in der Charlotte Knobloch lebt. Die andere Welt kommt zutage, wenn Kritik an Israel laut wird, dem Land, das als Lebensversicherung der Juden gilt.

Wenn Nazis gröhlen, wenn die Angst vor einem Anschlag umgeht, wie bei der Grundsteinlegung der Synagoge - es gibt erschreckend viele Gelegenheiten. Es gibt bei ihr keinen Übergang zwischen diesen Welten, kein Polster, nichts, was den Sturz mildern könnte. Charlotte Knobloch ist tatsächlich in der einen Woche begeistert über dieses Land, und in der anderen fühlt sie sich, als hätten die Nazis wieder die Macht im Land. Sie kommen nicht zusammen, die Welten. Und die Welt des Hasses droht immer, die heile Welt zu fressen.

Am Donnerstag, in München, wird das anders sein. Charlotte Knobloch wird vom Judentum reden, das wieder sichtbar ist in der Stadt. Der Boden wird fest sein unter ihren Füßen. Für einen Tag. Den Tag, an dem vor 68 Jahren die Synagogen brannten.

© SZ vom 8.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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