Literatur-Festival:Der Suff-Lyriker als sanfter Exzentriker

Lesezeit: 3 min

Rauchumnebelt, den Alkohol in Griffweite: so der Ruf des Schriftstellers Charles Bukowski, hier bei einer Lesung in Hamburg 1978. (Foto: Cornelia Gus/picture alliance / dpa)

Mit einem fünftägigen Festival hat Bamberg den 102. Geburtstag des Dichters Charles Bukowski gefeiert, dessen bester Freund der Kühlschrank war. Oder muss der Mythos nach dieser Woche umgeschrieben werden? Bukowskis Tochter Marina, aus den USA angereist, konnte da einiges beitragen.

Von Selmar Schülein, Bamberg

Stilecht müsste dieser Artikel wohl begleitet von mindestens zwei Gläsern Wein und nachts auf einer Parkbank liegend gelesen werden. Außerdem von Klängen klassischer Musik aus einem Kofferradio. Denn nichts außer Symphonik und Co. hat das Rauchschwaden produzierende Raubein der Literatur an seine Ohren gelassen. Höchstens vielleicht den ein oder anderen Hieb, den Bukowski sich während der zahllosen Schlägereien eingefangen hat, die zu seinem Lebenswandel gehörten wie der Suff, die Schlüpfrigkeit und der (Schreib-)Exzess. Moment! Charles Bukowski und Beethoven, der Hochkulturschreck und die Hofmusik? Längst überfällige Brüche in dieser eingeschliffenen Gossenbiografie führen mitten hinein in das Festival-Geschehen, das Bamberg vergangene Woche fünf Tage lang zur weltweiten Bukowski-Hauptstadt gemacht hat.

Der Höhepunkt dieser Bukowski-Neuvermessung fand entsprechend auch nicht in einem Club oder einer Kneipe statt, sondern in einem ehemaligen Sakralbau, dessen Innenraum sich in weltlich-weltentrücktem Weiß aufspannt. Die zurückgenommene Architektur schien den zentralen kuratorischen Anspruch des Festivals mitzutragen: ein wenig Tabula rasa machen mit der vorurteilsbehafteten Wahrnehmung eines noch immer unterschätzten Schriftstellers.

Marina Bukowski, die extra aus den USA eingeflogene Dichtertochter, betritt als eine der Letzten den Raum. Tags darauf wird sie in ihrem mit Spannung erwarteten Beitrag "About my Dad" intimste Erinnerungen an ihren Vater preisgeben. Als Abschluss einer langen Reihe von Veranstaltungen - mit Kinovorführungen, Vorträgen, Lesungen, einem Slam. Hier, im ehemaligen Kirchenraum, lässt sich Marina in einer hinteren Reihe als Zuhörerin nieder. Junge Mitglieder der Bamberger Symphoniker lassen kammermusikalische Werke erklingen, während die Lyrikerin Nora Gomringer als Rezitatorin englischsprachige Originaltexte von Charles Bukowski zum Thema "Klassische Musik" zu neuem Underground-Leben erweckt - Tagebucheinträge, Briefe, Gedichte. Verlassen wird Marina Bukowski diesen Raum mit glasigen Augen, nach langanhaltenden Standing Ovations.

Was für sie wiedererweckte Erinnerungen sind, bedeutet für das übrige Publikum Einblicke in einen überaus feinsinnigen Schriftsteller. Bukowski zeigt sich in den kongenialen Textrezitationen durch Gomringer von ganz ungewohnten Seiten und Saiten. Für letztere sorgt der orchestrale Weltspitzennachwuchs mit einer Vielfalt an Klangfarben, als hätte man einige Nächte neben Bukowski an der Schreibmaschine verbracht. Das Publikum begleitet den Dichter förmlich durch das ewige "up and down" auf der Gossenseite des amerikanischen Traums. Bukowskis liebste Gesellschaft waren die alten Komponisten, "und sie waren tot". So klingt dieser Abend streckenweise wie der Soundtrack eines Dauerübernächtigten, der in den frühen Morgenstunden um die Häuser torkelt. Und weil er dabei keine Schlupflöcher in angenehmere Welten entdeckt, schreibt er kurzerhand über diese Misere, um ihr mit Kunst irgendetwas Erträglicheres abzuringen. Was ihm in der Gosse unterkommt, schluckt Bukowski nicht runter, sondern spuckt es immer wieder aus - Seite für Seite als Schreibmaschinenpianist.

Bereits einige Stunden vor dieser Konzertlesung durchfuhr es das Publikum bei einer Vortragsveranstaltung: Abel Debritto, der bedeutende spanische Bukowski-Herausgeber, eröffnete den versammelten Fans trocken, mehr als 1000 unveröffentlichte Werke aufgestöbert zu haben, die 2023 in eine 800-seitige Werkschau aufgenommen werden sollen. Darunter auch zahlreiche Gemälde, Zeichnungen und skurrile Entdeckungen. Etwa ein frühes Interview für ein Schmuddel-Magazin, das aber nie erschienen ist. Damit machte Debritto seinem Spitznamen - Sherlock Holmes der Bukowski-Forschung - wieder einmal alle Ehre.

"Er war alles andere als ein gewöhnlicher Vater", sagt Marina Bukowski, aus den USA zum Festival angereist, über ihren Vater. Hier steht sie vor malerischer Regnitz-Kulisse im Garten der Bamberger Künstlervilla Concordia. (Foto: Selmar Schülein)

Nach diesen Einblicken in einen New-Kowski folgt am Abschlusstag die Bukowski-Tochter auf der Bühne. Insbesondere einigen älteren Herren mit Bukowski-Zitaten auf schwarzen T-Shirts merkt man an, dass dies der Moment ist, für den sie nach Bamberg angereist sind. Marina erzählt, dass ihr Vater nichts von seinem Lebenswandel vor ihr zu verstecken versucht habe. Kein einziges Tabu habe es in der Familie gegeben, außer gegenüber der Tochter laut zu werden. Sie entwirft das Bild eines sanften Exzentrikers, der sich als Vater und Mensch komplett selbst erfinden musste, nachdem er väterlicherseits nur Brutalität kennengelernt hatte: "Er war alles andere als ein gewöhnlicher Vater, aber so lange er Geschichten erzählte, war es wunderbar." In ihrer Kindheit habe sie nur zwei Arten von Sätzen gehört: Entweder dass ihr Vater ein Genie sei, oder nur furchtbar. Für sie war ihr Dad ein Mensch, der dem Horror und Wunder des Lebens stets fragil, aber mit Humor begegnete.

Eingeladen hat all diese Menschen die Charles-Bukowski-Gesellschaft, deren Vorsitzender seit 2007 ein Bamberger ist: Roni - so sein Künstlername. Und Roni lud nur Gäste ein, die wirklich Substanzielles beizutragen haben zu dieser mythenumrankten Figur. Derart inhaltlich ambitioniert und ganz ohne gläserklimpernde Rauschwadenshows konnten Witz und weltzugewandte Wissenschaft eine sinnlich-sinnvolle Affäre eingehen, die ein geflügeltes Bukowski-Wort Lügen strafte: "Alle reden zu viel".

Verwandelt sich Bukowskis Werk deswegen plötzlich in etwas Anderes als Sex-, Suff- und Schamhaarlyrik? Gänzlich umkrempeln wollte das Festival den Mythos Bukowski nicht. Es arrangierte aber intime Begegnungen mit einem Menschen, der sich als empfindsamer Existenzialist auf der Suche nach der Poesie im Horror der Gossen-Sackgasse zu erkennen gab.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: