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Chancen auf den Oscar:Ambitioniert, animiert, nominiert

Der Münchner Trickfilmer Jan Lachauer und sein Kollege Max Lang dürfen hoffen: Ihre Kinderbuchverfilmung "Room on the Broom" hat es auf die Shortlist geschafft. Mit der Auszeichnung könnte der 30-Jährige Jungregisseur einen Fuß in Hollywoods Türe setzen.

Von Sabine Buchwald

Was wäre wenn? Jan Lachauer mag nicht laut darüber nachdenken, als ob seine Chancen sinken könnten dadurch. Und sagt dann doch: Es wäre phantastisch. Wenn aus einem Platz auf der Shortlist eine Nominierung würde. Eine Nominierung für den Oscar in der Kategorie animierter Kurzfilm. Dass er als Münchner Regisseur, gerade mal 30 Jahre alt, in die engere Auswahl gekommen ist, kann man als eine mittelgroße Sensation bezeichnen. Im Dolby Theater in Los Angeles sitzen unter all den Nominees und Hollywood-Darstellern? Jan Lachauer atmet mit einem großen Grinsen aus. Allein schon, weil er Max Lang treffen würde, wäre es toll. Er hat mit ihm zusammen Regie geführt bei dem Film "Room on the Broom".

Er sieht ihn nicht so oft, weil Lang mit seiner Familie in England lebt. Die Leute von der Produktionsfirma Magic Light Pictures in London und Kollegen vom Studio Soi in Ludwigsburg, in deren Werkstätten der Film gedreht wurde - auch von ihnen würden einige nach Los Angeles zur Oscar-Verleihung am 2. März fliegen. Mehr als 20 Menschen haben anderthalb Jahre mitgearbeitet, das Kinderbuch von Julia Donaldson und Axel Scheffler über die Hexe auf dem Besenstiel in bewegten Bildern zu erzählen.

Lachauer hat einige seiner Kollegen von damals schon länger nicht mehr gesehen. Er wohnt seit gut einem Jahr wieder in München, wo er aufgewachsen ist. Das Buch und der 26-minütige Trickfilm "Room on the Broom" heißen auf Deutsch "Für Hund und Katz ist auch noch Platz". Die Geschichte, 2001 im englischen Original erschienen, gehört zu den Bestsellern des Duos Donaldson/Scheffler. Die beiden haben mehr als 15 Kinderbücher gemeinsam herausgebracht, auch die über den Grüffelo und das Grüffelo-Kind. Zehn Millionen Exemplare stehen von diesen beiden Büchern weltweit in Kinderzimmern. Sogenannte Spin-offs, Varianten wie Baby-Bilder- oder Pop-up-Bücher, gar nicht mitgezählt. Davon wurden laut Beltz & Gelberg, dem deutschen Lizenzverlag, noch einmal 13,5 Millionen verkauft. Die Filme treiben den Umsatz weiter an.

Was so ungemein erfolgreich funktioniert, ist eine englisch-deutsche Kreativ-Verbindung: Donaldson, sie wohnt in Glasgow, dichtet; Scheffler, gebürtiger Hamburger mit englischer Adresse, gibt den Figuren ihre Gestalt. Lachauer und Lang als Regisseure, Magic Light Pictures als produzierende Auftraggeber und das baden-württembergische Studio Soi als Drehort sind letztlich auch ein englisch-deutsches Kreativ-Gemenge. Schon einmal war es den Sternen am Walk of Fame ganz nah: Der Film zur Grüffelo-Vorlage hatte es 2011 bis zu einer Oscar-Nominierung gebracht.

Die Regisseure hießen damals Max Lang und Jakob Schuh, auch ein gebürtiger Münchner, der das Studio Soi mitgegründet hat. Lachauer arbeitete in den Jahren 2004 und 2005 als Praktikant dort. Zur Entstehungszeit des Grüffelo-Films, vier Jahre später, studierte er gerade an der Filmakademie in Ludwigsburg. Die Verbindung riss nie ab. So kam es, dass Max Lang diesmal mit Lachauer eintauchte in die Hexen-Welt von Donaldson und Scheffler. Es war Lachauers erstes großes Filmprojekt. Bei ihm liefen die Fäden zusammen, um Langs Storyboard, das gezeichnete Drehbuch, umzusetzen. Sie diskutierten über Skype und Mail, denn gesehen hätten sie sich meist nur ein, zwei Mal im Monat, sagt Lachauer.

Jan Lachauer ist ein hoch gewachsener, schlaksiger Mann mit großen Augen, so dunkelbraun wie sein kurz geschnittenes Haar. Er sei von Anfang an begeistert gewesen von Donaldsons Geschichte, sagt er. Wohl, weil in ihr so viel mehr steckt, als man beim ersten Lesen vermutet: Reiselustige Hexe mit Herz für einsame Tiere wird von diesen am Ende gerettet, und alle lernen, was Gemeinsinn bedeuten kann. So lässt sich die Grundidee des Buches skizzieren. Im Film aber erzählen Lachauer und Lang mehr. Ihnen gelingt eine dezent anrührende Bildsprache, mit der sie auch Erwachsene, sogar pubertierende Teenies erreichen. Die Hexe, etwas schusselig und giggelig, bildet mit ihren Tieren eine Art Patchwork-Familie mit WG-Problemen. Wer darf wo sitzen auf dem Besenstil? Diese Frage stellt sich bei jedem Flug.

Getragen von der orchestralen Musik des Franzosen René Aubry, setzt sich die kleine Gemeinschaft letztlich hinweg über lästige Hierarchie-Streitigkeiten und fort über Landschaften, die an das Blaue Land bei Murnau und Gemälde von Kandinsky und Münter erinnern: Heuhaufen, Obstbäume, Moorseen. Die Kulisse, in der sich die Figuren bewegen, ist real gebaut, Hund, Katz und Co. wurden am Computer hinzugefügt. Eine Technik, die man im Studio Soi schon für den Grüffelo-Film entwickelte. Zum Vergleich: Die Episoden von "Shaun das Schaf" werden in Stop-Motion-Technik mit echten Figuren gedreht. Für jede einzelne Bewegung braucht es einen Klick der Kamera.

Letztlich sind es kleine Dinge, die "Room on the Broom" groß machen. Sie haben dem Film im November 2013 den Bafta Award, den britischen Oscar, eingebracht und jede Menge Einladungen auf Festivals. Da sind etwa die Käfer, die in einer winzigen Zeichnung im Buch vorkommen. Im Film haben sie einen Auftritt, der schon früh wortlos erklärt, wie die Wander-Hexe tickt: Sie sorgt für andere und lässt sich nicht abbringen davon. Sie gibt die Richtung vor und hat das Sagen, wenn es um ihren Besen geht. Bis er bricht. Aber das ist Teil der Story. Ihre Begleitung, die rote Katze, entwickeln die Regisseure zur emotionalen Persönlichkeit. Miauend eifersüchtelt sie gegen den burschikosen Hund, gegen den einsamen, grünen Vogel und gegen den Frosch. Ein wunderbar komischer Frosch, der Schmutz so sehr verachtet, wie er Perfektion verehrt. Perfektion? "Beim Animationsfilm kann man, anders als bei Filmen mit Schauspielern, immer wieder nachbessern", sagt Lachauer. Das mache die Sache so langwierig. Ja, er arbeite gerne so perfekt wie möglich: "100-prozentig, nicht 110-prozentig."

Er profitiert heute davon, dass er als Jugendlicher viel vor dem Rechner sitzen, viel ausprobieren durfte. Vor Computern habe er keinen Respekt mehr, sagt Lachauer, sie seien dazu da, Ideen umzusetzen und Schwierigkeiten zu überwinden. Größere oder kleinere gab es bei fast jeder Einstellung des Films. Er sehe sie noch alle vor sich. Geduld braucht es dafür, und viel Selbstvertrauen - und man muss ein Teamplayer sein.

Wenn es Lachauer nun tatsächlich bis nach Hollywood schafft, dann könnte diese Auszeichnung ein größeres Filmprojekt bringen oder gar eine Stelle bei einer der großen Filmfirmen dort. Der Jungregisseur sieht das realistisch: "In den Studios von Disney oder Pixar ist man doch nur wie ein Tropfen in einem Schwamm." Vielleicht kann er auch bei der nächsten Verfilmung eines Donaldson-Scheffler-Klassikers dabei sein. Aber ob er so schnell wieder in einer Produktion festhängen möchte, die über Monate 14- bis 16-Stunden-Tage abverlange, das kann er im Moment nicht sagen. Er genieße gerade die Freiheit, Ideen auszuprobieren, sagt Lachauer. Er müsse keine Kinder ernähren, außerdem ist er derzeit damit beschäftigt, mit Freunden eine Firma zu gründen. Sie arbeiten an Lern-Apps für Kinder, bei denen es den Entwicklern mehr ums Wissen als ums Geldverdienen geht. Auch dafür kann ein bisschen Oscar-Glamour nicht schaden. Am Donnerstag, 16. Januar, verkündet der Schauspieler Chris Hemsworth die Anwärter für die 27 goldenen Statuen.

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SZ vom 15.01.2014/cto
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