Buchkunst:Im Auge des Betrachters

Buchkunst: Die Bedeutung des Augenblicks war für Celestino Piatti zentral, wie die Lithografie "Eule mit roten Augen" von 1966 zeigt.

Die Bedeutung des Augenblicks war für Celestino Piatti zentral, wie die Lithografie "Eule mit roten Augen" von 1966 zeigt.

(Foto: Celestino Piatti)

Der Grafiker Celestino Piatti schuf über drei Jahrzehnte mehr als 6000 Buchumschläge für den Deutschen Taschenbuch-Verlag - und wird nun anlässlich seines 100. Geburtstags im Münchner Literaturhaus groß gewürdigt.

Von Antje Weber

Kunst kann ins Auge gehen. Sie kann aber auch das Auge zu Kunst machen. Celestino Piatti hat Letzteres getan: In sehr vielen seiner Arbeiten sind Augen wesentliche Elemente - Hingucker im Wortsinne. Kein Wunder, dass der berühmte Schweizer Grafiker insbesondere Eulen liebte: "Dieses Tier ließ mich, vor allem seiner Augen wegen, nicht mehr los", sagte er einmal in einem Interview. Und in einem Aufsatz zu seinem 100. Geburtstag liest man gar den Satz, die Eule als Markenzeichen sei für Piatti "als Herold ernster Gedanken in dunkler Zeit ein Bedeutungsträger der Humanität" gewesen.

Doch bevor es hier gleich zu ernst wird: Der 100. Geburtstag des Grafikers und Malers Celestino Piatti (1922 - 2007) Anfang Januar war ein freudiger Anlass und wird mit einigem Aufwand gefeiert. Ein Verein aus Familienmitgliedern und Freunden sowie der Deutsche Taschenbuch-Verlag nutzen das Jubiläum, um nicht nur mit einem opulenten Bildband, sondern auch mit einer großen Münchner Veranstaltung an sein visuelles Erbe zu erinnern. Dass der Band bei dtv (in Zusammenarbeit mit dem Christoph Merian Verlag) erschienen ist, ist Ehrensache: Piatti hat von 1961 bis 1992 das gesamte Erscheinungsbild des Münchner Verlags gestaltet - er war nicht nur verantwortlich für sämtliche Drucksachen und Werbemittel, sondern auch für mehr als 6300 Buchumschläge, die in einer Gesamtauflage von unfassbaren mehr als 200 Millionen gedruckt wurden.

Die Buchumschläge Piattis waren so charakteristisch, dass sie bei vielen Leserinnen und Lesern wenn schon nicht in den Regalen, so doch vor deren innerem Auge stehen dürften: Stets war der Umschlag weiß, nur eine der typischen, scharf konturierten Illustrationen Piattis prangte darauf. Um das gestalterische Konzept der Taschenbücher mit seinen eigenen Worten zu erklären: "Bei meinem ersten Besuch saßen alle elf Verleger in einem Frankfurter Hotel zusammen und haben mich gefragt: Herr Piatti, wie stellen Sie sich das vor? Da habe ich meine Mappe aufgemacht und einen Probeabzug verteilt. Ich sagte: So muss das gemacht werden: klare, schwarze Buchstaben, rechtsbündig, auf einem weißen Hintergrund, darunter eine Illustration. Und so wurde es dann dreißig Jahre lang gemacht. Da bin ich schon ein bisschen stolz drauf."

Buchkunst: Typische Illustration: Ausschnitt aus Piattis Buchumschlag zu Selma Lagerlöfs Buch "Nils Holgerssons schönste Abenteuer".

Typische Illustration: Ausschnitt aus Piattis Buchumschlag zu Selma Lagerlöfs Buch "Nils Holgerssons schönste Abenteuer".

(Foto: Celestino Piatti)

Von solch einer Durchschlagskraft können Grafiker heute meist nur träumen. Ganz auf eine unverwechselbare Optik zu setzen, war jedoch auch in den Sechzigerjahren nicht ohne Risiko, das wird in den Aufsätzen des Bands "Celestino Piatti: Alles, was ich male, hat Augen" deutlich. Der neu gegründete Taschenbuchverlag als Zusammenschluss verschiedener Verlage sollte damals als eigene Marke etabliert werden - dafür ging man das Risiko ein, auf nur einen einzigen Grafiker und sein ungewöhnliches Konzept zu setzen. Nachdem im September 1961 als erstes Taschenbuch Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch" bei dtv erschienen war, mit einem so reduziert wie vielsagend wirkenden Irland-Bild, stellte sich der Erfolg schnell ein. Mehr noch, wie der Designprofessor Jens Müller schreibt: "Die weißen Taschenbücher prägten die Kulturgeschichte Westdeutschlands über Jahrzehnte mit und brannten sich tief ins kollektive Gedächtnis ein."

Das sicherte dem Buchgrafiker zwar 30 Jahre lang ein gutes Auskommen, er musste jedoch auch einiges dafür tun. Ein "reger Brief-, Paket-, Eilboten- und Telegrammverkehr auf der Achse München-Basel" war in analogen Zeiten ebenso Alltag wie Mammutsitzungen bei Arbeitsbesuchen in München - deren Ergebnisse dann wieder in unablässigem Schaffen am heimischen, überquellenden Schreibtisch umgesetzt wurden. "Unser Beruf hat etwas Gefährliches", stellte Piatti denn auch einmal klar: "Für einen begabten jungen Menschen steht fest, dass er kaum Zeit für etwas anderes hat. Er sollte von seinem Beruf besessen sein."

Buchkunst: Besessen von seinem Beruf: Celestino Piatti im Jahr 1971.

Besessen von seinem Beruf: Celestino Piatti im Jahr 1971.

(Foto: Celestino Piatti)

Dass dabei noch weitaus mehr als Tausende von Buchumschlägen entstanden, will ein "Piatti-Tag" am 22. Januar im Münchner Literaturhaus vor Augen führen. Bei einer (Verkaufs-)Ausstellung werden neben den Umschlägen auch Plakate, Grafiken und Skulpturen zu sehen sein, dazu Fotografien und Filmausschnitte. Piattis Tochter Barbara und Claudio Miozzari, die Herausgeber des Buches, werden nachmittags kurze Rundgänge anbieten. Abends soll eine Podiumsdiskussion das Wissen zu Celestino Piatti vertiefen.

Denn wichtig für das Verständnis seines Werkes ist auch, dass es Piatti um mehr ging als Verkaufs- und Konsumförderung. Immer wieder stellte er sein Können in den Dienst politischer und humanitärer Anliegen, schuf Plakate für den Deutschen Caritasverband, unterstützte Schweizer Initiativen gegen den Bau von Atomkraftwerken oder für das Stimmrecht von Frauen. "Es gibt außer Tomi Ungerer keinen zweiten Plakatkünstler des 20. Jahrhunderts", so schreibt der Journalist Andreas Platthaus in einem der Buchbeiträge, "der sein humanitäres Engagement derart zur Leitlinie seines Schaffens gemacht hat". Wer Augen hat zu sehen, der sehe.

"Alles, was ich male, hat Augen. 100 Jahre Celestino Piatti", Samstag, 22. Januar, Ausstellung (ab 13 Uhr) und Podiumsgespräch (19 Uhr), Literaturhaus, Salvatorplatz 1, Informationen unter www.literaturhaus-muenchen.de

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