Natürlich, sagt Petra-Maria Klier, werde es die wöchentlichen Informationsabende weiterhin geben. Allerdings werden sie nicht mehr obligatorisch sein für all die Kunden, die neu bei Stattauto mitmachen wollen. Das sei Vergangenheit, sagt die Chefin des ältesten Münchner Carsharing-Anbieters. Wer einsteigen möchte bei Stattauto, kann einfach vorbeikommen in der Zentrale an der Aidenbachstraße. Oder kurz reinschauen in die Kundenzentren der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG). Dort den Antrag ausfüllen, Führerschein vorlegen. Fertig.
Stattauto will raus aus der Öko-Nische und "weitere Nischen besetzen", wie Geschäftsführerin Klier es formuliert. Bislang sind es meist Umweltbewegte, die sich für Stattauto entscheiden. Die bewusst auf ein eigenes Auto verzichten, weil sie meist besser mit Rad, Bus und Bahn vorankommen. Und das Auto nur in Ausnahmesituationen benötigen - etwa für die Fahrt in den Urlaub oder den Einkauf am Wochenende. Nun aber will sich Stattauto "breiter aufstellen", wie Klier sagt. Neue Tarife sollen neue Zielgruppen ansprechen: Senioren zum Beispiel sollen drei Monate lang das Angebot testen können, ohne dass sie 500 Euro Kaution hinterlegen und 50 Euro Aufnahmegebühr entrichten müssen. Auch für Schüler, Studenten und Azubis entfallen seit Kurzem die Kaution und die monatliche Grundgebühr.
Die Hürden sollen aus dem Weg geräumt werden
Die Strategie ist klar: Die Hürden sollen weg, die bislang vielen die Teilnahme am Carsharing verleidet hatten. Dazu gehörte die etwas komplizierte Anmeldung. Vor allem aber hatten hohe Vorab-Ausgaben wie Kaution und Aufnahmegebühr abgeschreckt. Irgendwann hatte Klier dann erkannt: "Wenn wir unser Portfolio nicht erweitern, funktioniert es nicht mehr."
Verkehr in Großstädten:Nächste Ausfahrt: Fahrradweg
Zu viele Menschen, zu wenig Raum: Deutschlands Metropolen wachsen - und mit ihnen der Stau. Wie also soll der Verkehr der Zukunft aussehen? Eindhoven setzt auf schwebende Radwege, in New York gibt es weniger Autostraßen. In Hamburg fehlt die Konsequenz für solche Projekte.
Jahrelang kam das Unternehmen in seiner Nische gut klar. Bekennende Autovermeider hatten sich vor mehr als 20 Jahren zusammengetan und eine Carsharing-Gemeinschaft gegründet. Parallel dazu wurde eine Werkstatt aufgebaut, in der meist junge Menschen eine zweite Chance erhalten sollten, etwa indem sie zu Automechanikern ausgebildet werden. Das Geld aus der Autovermietung floss in die Ausbildung Benachteiligter. Jahr für Jahr wuchs die Zahl der Teilnehmer.
Dann aber traten neue Anbieter auf den Markt. Die nannten sich Car2go, Drive Now, Flinkster und Citeecar - und sie alle boten und bieten eine andere Form des Carsharings. Infoabend am Mittwoch? Gibt es nicht. 500 Euro Starteinlage? Kein Thema. Abgerechnet wird nicht nach Kilometern, sondern nach einem Minutentarif. Wichtigster Unterschied aber ist: Die Autos der Anbieter, hinter denen Großkonzerne wie Daimler und BMW stehen, muss man nicht wie bei Stattauto an festen Stationen anmieten und wieder abgeben. Vielmehr parken die Autos am Straßenrand, die Kunden orten sie per Smartphone, öffnen die Tür mit einer Chipkarte - und können sofort losfahren. Und am Ende der Fahrt können sie das Auto (zumindest bei Car2go und Drive Now) in einem anderen Viertel wieder am Straßenrand abstellen. Dafür zahlen die Firmen jedes Jahr hohe Lizenzgebühren an die Stadt. "Freefloating" nennt sich dieses Modell, im Gegensatz zum stationsgebundenen Carsharing von Stattauto.
Die jungen Anbieter sind rasant gewachsen. So zählt Drive Now in München laut eigenen Angaben 98 000 Nutzer, bei Car2go sind es 20 000, bei Flinkster 11 500. Stattauto kommt auf 10 880. Allerdings ist unklar, wie viele Karteileichen in den Zahlen der Freefloater stecken. Und während die Stattauto-Kunden mit den Leihautos auch in den Auslandsurlaub fahren können, ist dies bei Car2go und Co. meist nicht möglich - auch das ist ein Vorteil, den viele am "klassischen" Carsharing schätzen. Dennoch muss Klier etwas ändern. Sie betont aber, dass sie sich nicht von außen unter Druck gesetzt fühle. "Wir setzen uns selbst unter Druck", sagt sie. Keiner habe mehr Zeit, zu einem einmal pro Woche angesetzten Infoabend zu kommen. "Wir müssen uns den Bedürfnissen anpassen."
Das geht sogar so weit, dass Stattauto einen weiteren großen Schritt gehen möchte - und zumindest zu einem Teil auch aufs Freefloating setzt. Noch heuer will das Unternehmen seine Autos den Nutzern nicht nur an festen Stationen anbieten, sondern auch am Straßenrand. Dabei werde man mit einem anderen Anbieter zusammenarbeiten, sagt Klier, ohne Details zu nennen. "Wir stecken noch in den Verhandlungen." Klar ist: Der Stattauto-Fuhrpark soll von derzeit 427 Autos um etwa 100 zusätzliche Wagen aufgestockt werden. Auch die anderen Anbieter wollen ihr Angebot ausbauen: So nennt Heiko Barnerßoi von Citeecar zwar keine konkreten Nutzerzahlen, stellt aber "schnelles Wachstum" und "eine komplett neue App" in Aussicht. Das Ziel sei es, "Carsharing aus der Nische zu holen und zu einem Massenprodukt zu machen".
Ist Carsharing nur ein kurzer Trend?
Bei der Stadt hört man solche Aussagen gerne. Politiker wie Verkehrsfachleute setzen auf Carsharing, um unter anderem die Belastung durch Luftschadstoffe zu drücken. Gelingt es, einen Teil der Münchner zu Auto-Teilern zu machen, wären viele Probleme gelöst, so das Kalkül. Bislang allerdings weiß noch niemand, ob dies gelingt. Der Stadtrat hat zwar bereits 2011 eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben; diese wird allerdings erst im Sommer vorliegen. Auch auf Bundesebene wird viel geforscht und evaluiert - all das soll im Sommer in eine Handlungsempfehlung für den Stadtrat einfließen. Denn der muss entscheiden, ob die Parklizenzen für die Freefloating-Anbieter verlängert werden.
Privates Carsharing:Steht sonst nur rum
Autos in der Stadt tun vor allem eines: parken. Portale wie Tamyca und Autonetzer haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Menschen mit Auto vermieten es an Menschen ohne. Ein Selbstversuch.
Erste Stimmen jedenfalls warnen bereits, dass der Carsharing-Boom nicht anhalten wird. So konnten sich laut einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Emnid unter 1000 Bundesbürgern gemacht hat, 60 Prozent nicht vorstellen, auf das eigene Auto zu verzichten und Carsharing zu nutzen. Noch schlechtere Werte ergab eine Studie des TÜV Rheinland.
Kritiker wie der Berliner Verkehrswissenschaftler Oliver Schwedes bemängeln ohnehin, dass Anbieter wie Car2go und Drive Now auf lange Sicht umweltpolitisch den Städten eher schaden als nützen. Denn deren Freefloating-Autos würden oft für Strecken genutzt, die man auch mit Bussen und Bahnen zurücklegen könnte. So hat Drive Now zuletzt mit der Therme Erding ein Partnerangebot aufgelegt: Wer mit dem Drive-Now-Auto zur Therme fährt, planscht dort günstiger. Ein ähnliches Paket hatte die Therme bislang zusammen mit dem Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) geschnürt. "Wirklich verkehrsmindernd", sagt Schwedes, "wirkt nur stationsgebundenes Carsharing. Weil dort die Hürde, ein Auto wirklich zu nutzen, relativ hoch angesiedelt ist."