Carsharing-Boom:Auto auf Abruf

Smartphone, Tablet-PC oder ein schickes Mountainbike, das ist vielen Menschen heute wichtiger als ein eigenes Auto. In Großstädten wie München boomen deshalb Carsharing-Angebote. Doch Fachleute warnen - denn einen Nutzen für die Umwelt sehen sie nicht.

Marco Völklein

Nun gut, als wirklich jung bezeichnet sich Klaus Bogenberger nicht mehr. An seine Zeit als Abiturient, 1991 in Passau, kann er sich aber noch gut erinnern. "Damals war es üblich, dass man spätestens zum Abitur ein gebrauchtes Auto von seinen Eltern geschenkt bekommen hat", sagt der Professor für Verkehrswesen und Raumplanung an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg.

ZebraMobil Auto in München, 2011

Die bunten Autos der Carsharing-Anbieter prägen inzwischen vielerorts das Stadtbild. Vor allem jüngere Menschen nutzen die Fahrzeuge. Wenn diese Generation älter wird, wird sich zeigen, ob sich das Konzept der Leihautos nachhaltig durchsetzt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bei seinen Studenten sei das ganz anders. Da habe sich eine "Werteverschiebung" vollzogen. "Denen sind Smartphones, Tablet-PCs oder auch ein tolles Mountainbike wichtiger als ein Auto." Viele würden nicht mal einen Führerschein besitzen. Zwangsläufig seien diese Leute weniger mit dem Auto unterwegs. Sie nutzen Fahrrad, Busse und Bahnen - und zunehmend auch das Carsharing, also die Möglichkeit, sich ein Auto mit anderen Menschen zu teilen.

Carsharing boomt seit geraumer Zeit. Nicht nur der hohe Benzinpreis treibt den Anbietern ständig neue Kunden zu. Bundesweit zählten die Anbieter Ende 2011 insgesamt 262.000 registrierte Nutzer, 15,8 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Von einem "großen Sprung nach vorn", spricht der Bundesverband der Carsharing-Anbieter - zweistellige Zuwächse verzeichnete er schon die Jahre zuvor.

Aufmerksamkeit erlangte das Thema zuletzt auch durch neue Anbieter wie Drive-Now, Car2go oder Zebra-Mobil, bei denen die Kunden freie Fahrzeuge nicht mehr (wie beim klassischen Carsharing) an festen Stationen abholen müssen, sondern die Autos per Smartphone oder Internet orten und buchen können - und so auch mal spontan damit losdüsen können.

Damit die Fahrzeuge in den Parklizenzzonen abgestellt werden können, musste die Stadt München eine Sonderregelung erlassen. Die bunt beklebten Autos von Drive-Now, Flinkster und Zebra-Mobil gehören mittlerweile zum Straßenbild, auch in Berlin, Hamburg, Ulm und Hannover. Bundesweit sind laut Branchenverband bei diesen Anbietern mittlerweile 42.000 Leute registriert.

Noch sind es vor allem Jüngere, die die neuen Angebote nutzen, sagt auch Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Besaß im Jahr 2000 noch mehr als die Hälfte der Männer im Alter von 18 bis 29 Jahren ein eigenes Auto, so ist es inzwischen nur noch gut ein Drittel. Die große Frage ist nun, ob sich die Anbieter etablieren werden, ob die Nutzer die Leihautos "nachhaltig einbauen werden in ihr Mobilitätsverhalten", wie Bogenberger sagt.

Er glaubt: Sie werden dies tun, allerdings in einer wirksamen Breite erst in zehn bis zwanzig Jahren. "Solche Veränderungen brauchen Zeit", sagt der Verkehrswissenschaftler. Die junge Generation wird älter und etablierter werden, und dann wird sich zeigen, ob die Menschen weiterhin Nein zum eigenen Auto sagen.

Bogenberger hofft, dass sie künftig "zumindest auf das Zweitauto verzichten". Vor allem die hohen, vermutlich weiter steigenden Kosten fürs eigene Fahrzeug werden dazu ihren Beitrag leisten, erwartet er. Mit seinen Studenten hat er ausgerechnet, dass ein gebrauchter Golf für 5000 Euro Kaufpreis und bei einer Laufleistung von nur 5000 Kilometern im Jahr ("das ist ja noch recht wenig") 200 Euro im Monat kostet, "und da sind Parkgebühren und andere Kleinausgaben noch gar nicht drin".

Ökologischer Effekt wird nicht erreicht

Bei steigenden Lebenshaltungskosten, insbesondere in Großstädten wie München, werde jeder Haushalt genau kalkulieren müssen, ob noch genügend übrig bleibt für das eigene Auto. Oder ob man mit einem Mix aus Fahrrad, öffentlichem Nahverkehr und Carsharing nicht günstiger fährt.

Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. Willi Loose ist Geschäftsführer des Bundesverbands der Carsharing-Anbieter. Er hält nicht viel von neuen Angeboten wie Drive-Now und Car2go, hinter denen meist Autokonzerne wie BMW oder Daimler stehen. Deren Ziel sei es, auch künftig Autos zu verkaufen, und nicht, wie beim klassischen Carsharing, die Leute zum Umstieg auf Bus und Bahn zu bewegen. Und nur noch eine Art Rest-Auto anzubieten, etwa für die Fahrt in den Urlaub oder zum Möbelmarkt.

Ein ökologischer Effekt, nämlich weniger Autoverkehr in der Stadt, sei mit den neuen Carsharing-Modellen nicht zu erreichen. Stattdessen werde Menschen, die schon intensiv Busse und Bahnen nutzen, ein neues Auto-Angebot unterbreitet. Der öffentliche Nahverkehr könnte so kannibalisiert werden, fürchtet auch Wissenschaftler Bratzel. Zumindest dann, wenn das Netz der Verleiher immer dichter wird.

Tatsächlich bietet etwa BMW bei seinem Drive-Now-Modell ausdrücklich an, den Wagen nur in einer Richtung zu benutzen, also zum Beispiel in Schwabing anzumieten, und dann in einem anderen Viertel, etwa in Sendling, abzustellen - eine Strecke, die man auch mit der U-Bahn oder dem Rad bewältigen könnte.

Die Parklizenzregelung der Stadt gestattet es dem Nutzer auch, das Fahrzeug dort dann abzustellen, allerdings nur auf sogenannten Mischparkplätzen und nicht in Bereichen, die ausschließlich für Anwohner reserviert sind.

Entsprechend kontrovers diskutiert wurde die Einführung im Frühjahr 2011. Schließlich entschied sich der Stadtrat dennoch für das Projekt. Er legte jedoch drei zusätzliche Bedingungen fest: Die Parklizenzen sind befristet bis 2014, jeder Anbieter darf nicht mehr als 400 Autos aufstellen, und die Frage, ob sich ein ökologischer Effekt einstellt, muss am Ende des Projektzeitraums wissenschaftlich untersucht werden.

2014 wollen die Stadtpolitiker über eine Fortführung des Projekts entscheiden. Für Loose, den Verfechter des klassischen Carsharings, steht allerdings schon fest: Die neuen Angebote sind "Taxis zum Selberfahren" - mehr nicht.

Tatsächlich beäugt auch die Taxi-Branche die neuen Anbieter mit Argwohn. Vor ein paar Wochen stieg die Daimler-Vermiet-Tochter Car2go bei einem Software-Anbieter ein, der über Smartphones eine Taxi-Vermittlung anbietet. Erklärtes Ziel von Car2go ist es, die Software so aufzurüsten, dass künftig Taxi-Dienste und Mietauto-Angebote eng verknüpft werden.

Die Taxi München eG beschwerte sich mit einem bösen Brief bei den Stuttgartern. Die Befürchtung der Taxler: Am Ende könnten dem Nutzer vor allem die vielen Daimler-Mietautos in den Städten präsentiert werden. Und ihre Dienstleistung werde immer weniger gefragt.

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