Wäre Carl Amery ein Tier gewesen, dann ein Elefant. In seinem "elefantösen Gedächtnis", seiner "imponierenden Dickschädeligkeit" gleiche er diesen "sprachmächtigen, todeseinsichtigen Tieren" - zu dieser Erkenntnis kam Judith Schalansky am vergangenen Samstag im Literaturhaus München. Sich selbst ordnete die Schriftstellerin, die den Carl-Amery-Preis erhielt, am Ende ihrer Rede als fleißig werkelnde Ameise ein. Warum auch nicht? Man muss ja, so machte sie noch in ganz anderer Hinsicht deutlich, nicht immer alles vom Menschen her denken.
Aber zurück auf Anfang. "Ökologie und Literatur" war das Motto eines Festivals in Freising, Passau und München, mit dem der VS Bayern den Schriftsteller und Umweltaktivisten Carl Amery (1922 - 2005) ehrte, anlässlich seines 100. Geburtstags am 9. April. Was Ökologie mit Literatur zu tun hat? Eine Menge, wenn man genauer hinschaut, angefangen bei Amery selbst. Die Ökologie, wörtlich "Lehre vom Haushalt", stand bei ihm für ein "nachhaltiges Lebensmanagement", für eine "dezentrale Vernetzung", für "vielfältige Beziehungen ohne Hierarchien". In unserer Gesellschaft hingegen, von der Ökonomie dominiert, funktioniert der "totale Markt" inzwischen wie eine Religion.
So fasste der Schriftsteller Norbert Niemann bei einer Diskussion im Münchner HP8 in der vergangenen Woche einige der Kernideen Amerys zusammen. Der hat sie in zahlreichen Romanen und Essays verarbeitet, und sie wirkten auch in Tätigkeiten wie die eines Stadtbibliotheksdirektors von 1967 bis 1971 hinein: Amery wollte, wie deren heutiger Direktor Arne Ackermann formuliert, die Bibliothek in eine "Realutopie" verwandeln, "in der sich Sachverstand und Phantasie kreuzen". Auch beim Festival zu seinen Ehren kreuzte sich viel Sachverstand mit einiger Fantasie, wie Schlaglichter auf zwei zentrale Abende erhellen sollen.

Wie können Ansätze der Ökologie zum Beispiel in eine ästhetische Praxis einfließen? Bei der von Niemann moderierten Diskussion im HP8 waren unterschiedlichste Ideen zu hören. Der an der Uni St. Gallen lehrende Kultur- und Medienwissenschaftler Jörg Metelmann erzählte vom Verfahren des "Imagineering" - und damit davon, wie sich Wandel mit Hilfe von neuen Bildern und Begriffen gestalten lässt, von der "Transformatik" bis zur "Vorbildungskraft". Neue Utopien brauche es gar nicht, glaubt er, denn wir lebten bereits in der "Utopie eines unfassbaren Wohlstandes". Sein Aufruf: "Wir müssen uns erden!" Und zum Beispiel "an Wahrnehmungen arbeiten", eine "zärtliche Nähe" zu unserer Umwelt herstellen.
Was Zärtlichkeit ändern kann
"Zärtlichkeit" - ein überraschender Begriff in diesem Zusammenhang? Mitnichten. Die Schriftstellerin Dagmar Leupold zitierte die Nobelpreis-Rede von Olga Tokarczuk von 2019, die von einer tiefgefühlten Sorge um andere Wesen sprach: "Literatur baut auf Zärtlichkeit gegenüber jedem Wesen auf, das nicht wir selber sind." Nicht als "zuckeriges Gefühl der Selbstrührung", wie Leupold klarstellte, sondern als "kreative Form der Anteilnahme". Wie das in der literarischen Praxis aussehen könnte? Weniger egozentrische, von einer möglichst auratischen Autorenpersönlichkeit beglaubigte Ich-Erzählung, schlägt Leupold vor, weniger Aneignung als vielmehr Anverwandlung von Stoffen. Ein literarischer Text solle ein "begehbarer Raum" sein, der eine "Simultaneität von Wahrnehmungen, wie im Traum" ermögliche, in dem die Erfahrung wichtiger sei als die Erkenntnis.
Ein sehr kurzes Beispiel dafür, wie Literatur sich ökologischen Themen zuwenden kann, hatte der Schriftsteller Jan Snela parat: Die Mini-Gedichtform des Haiku - immer an Natur und Jahreszeiten angebunden - biete die Möglichkeit, die "Linse scharfzustellen für kleinste Sachverhalte" und somit ebenfalls die Wahrnehmung zu schulen. Sind solche Ansätze ausreichend, wie Niemann fragte? Müsste sich nicht auch der Kulturbetrieb insgesamt ändern, ist die "kulturelle Allmende" im Sinne Amerys verloren gegangen? Ein "Raum der Unverfügbarkeit", des Ausprobierens sei wichtig als Korrektiv, sagte Leupold. Einen solchen Raum zu schaffen, löste dieser anregende Abend jedenfalls schon einmal ein.

Grün, grün, grün war Judith Schalanskys Kleidung, und das durfte man beim Festakt zu ihren und Amerys Ehren im Literaturhaus getrost als Statement werten. Die Berliner Schriftstellerin ist für ihr Werk bereits vielfach ausgezeichnet worden; die Amery-Jury würdigte sie als "poetische Archivarin", die in ihren Büchern "kleine Wunderkammern der Weltentdeckung" schaffe und sich als Herausgeberin der Buchreihe Naturkunden "als zutiefst ökologisch interessierte Autorin im Sinne Carl Amerys" erweise. Ihre unablässigen, unabschließbaren Ordnungs- und Klassifikationsversuche, in Werken wie zuletzt "Verzeichnis einiger Verluste", analysierte auch die Journalistin Jutta Person in einer feinen Laudatio und stellte klar: "Judith Schalansky brennt und schreibt für alle, die nicht dazugehören."
"Nicht für den Menschen ist das All geschaffen"
Was jene in ihrer fulminanten Dankesrede einmal mehr bewies: Sie erzählte von den Ideen des antiken Philosophen Kelsos, der um das Jahr 178 herum die erste Streitschrift gegen das damals noch in kleinen Gruppen versprengte Christentum schrieb. Kelsos stieß sich vor allem an der Idee einer narzisstischen, angeblich gottgegebenen Sonderstellung des Menschen. Ausgerechnet der Mensch, dieses "Mängelwesen"? Die Bienen mit ihren komplexen Staaten zum Beispiel bewunderte Kelsos sehr viel mehr, oder die sozial kompetenten, zu wahrer Vernunft begabten Ameisen. "Nicht für den Menschen ist das All geschaffen", zitierte ihn Schalansky, sondern "in Hinblick auf das Ganze".
Die Geschichte ging über Kelsos hinweg, sein Text weitgehend verloren. Der Mensch machte sich die Erde untertan, und alle Kritik bis hin zu christlich geprägten, visionären Autoren wie Amery hat daran nichts geändert. Angesichts der "schwer aushaltbaren Ahnung, auf dem Holzweg zu sein", kann man mit Schalansky die angebliche Alternativlosigkeit jedoch einmal wieder hinterfragen. Wie sähe eine Welt aus, die auf die Wechselwirkungen zwischen allen Wesen ausgerichtet wäre? In der empfindsame Elefanten und soziale Ameisen genauso viel zählten wie kriegerische Menschen? Es könnte, so macht sie deutlich, alles auch ganz anders sein.