"Cam Ly":Lob der Fernbeziehung

"Cam Ly": Das Cam Ly in Sendling: solides Garküchen-Niveau.

Das Cam Ly in Sendling: solides Garküchen-Niveau.

(Foto: Catherina Hess)

Liebliche Stimmen, wunderbare Salatnamen, knusprige Ente und zähes Ziegenfleisch: Besuch bei einer Vietnam-Küche in der Pfeufferstraße.

Gustav Weinberger

Liebe Leser, das Restaurant ist derzeit geschlossen.

Bisweilen sind es die besonderen Momente im Leben, wenn man Menschen erstmals sieht, die man bislang nur vom Telefon kannte. Da steht dann also dieser knallharte Geschäftsmann - und ist ein Würstchen im Nadelstreif. Wie nett. Andererseits gibt es Enttäuschungen, auch Frauenstimmen können lügen, und Weinberger hat für sich daraus den Schluss gezogen, dass man tatsächlich nur mit den Augen gut sieht, nicht mit dem Herzen, und auf die Ohren kann man sich ohnehin nicht verlassen.

So machte er sich eines Tages auf, einen vielgelobten Ort zu erkunden, an dem er bis dato nur telefonisch sein Essen auf Rädern geordert hatte. "Einmal die Nummer 207, ruhig recht scharf", hatte er gesagt, "und dann noch die 290, aber kross bitte". Und eine liebliche Stimme hatte ihm in fast konsonantenfreiem Deutsch die Bestellung bestätigt.

Zwischen Reinigung und Friseur

Es war eine typische Fernbeziehung mit ihren Höhen und Tiefen, mal musste man lange warten, richtig heiß war es selten, aber unter dem Strich doch eine so satte Sache, dass es lohnend erschien, den vietnamesischen Heimservice vom CAM LY einmal in seinem Sendlinger Stammhaus aufzusuchen.

Untergebracht in einem eher nordvietnamesisch wirkenden Plattenbau, der rechts und links noch Platz lässt für eine Textilreinigung und einen Frisör, wirkt die Restauration nicht gerade einladend. Drinnen ist dann das übereifrige Bemühen zu erkennen, Glanz zu verbreiten - mit Nippes und Tand, der jedem klarmacht: Dies ist Asien, selbst wenn man in den Sitzboxen hockt wie in einem Speisewagen der Deutschen Bundesbahn.

Aus den Lautsprechern dudelt Musik, die klingt wie die Warteschleifen im Telefon. Dafür hätte man nicht kommen müssen. All das jedoch rückte erst einmal in den Hintergrund, als Weinberger die Bedienung fragte, welches Gericht sie denn als original vietnamesisch empfehlen könnte, und sie entwaffnend lächelnd in diesem fast konsonantenfreiem Deutsch antwortete: Alles original.

Als Heimservice-Kunde hatte Weinberger zumindest einen Vorteil - nämlich einen groben Überblick über die Speisekarte, so dass er schon bei seinem ersten Besuch recht souverän Gerichte mit Nummern im hohen dreistelligen Bereich bestellen konnte.

Berechtigte Warnung

Es geht hier, nicht immer streng durchgezählt, hinauf bis 715: gebackene Bällchen aus Klebreis, doch davon später, denn das ist ein Nachtisch. An kalten Winterabenden empfiehlt sich zunächst ein heißes Süppchen, und auch davon hat das Cam Ly natürlich eine reiche Auswahl zu bieten. Da ist die gut bestückte Hummer-Krabben-Suppe mit Zitronengras oder die pikant-gewürzte Krabbensuppe mit Tomaten und Koriander, beides anständig. Eine Lehre fürs gesamte Menü allerdings war schon nach dem Suppengenuss zu ziehen: Wenn auf der Speisekarte "scharf" steht, dann ist das keine Übertreibung, sondern eine sehr berechtigte Warnung.

Verlockend sind auf jeden Fall die Salate, bei denen man schon beim Namen ins Schwärmen geraten möchte: Bananenblumensalat! Oder Papayasalat! Wasserspinatsalat! Mit frischen Korianderblättern! Aufs Feinste kombiniert werden hier Zutaten, die auf den ersten Blick nicht unbedingt zusammenpassen: Krabben und Schweinefleisch, Erdnüsse und Sesam, dazu ein würzig-scharfes Dressing - original und wunderbar. Doch das sind Höhepunkte, die später nicht mehr erreicht werden.

Die Hauptgerichte - im Preis zwischen 9 und 16 Euro - bieten allzu oft vielfältig variierte Massenware, hinter hohen Nummern und geheimnisvollen Namen verbirgt sich doch das Immergleiche mal mit Rind, mal mit Schwein, Huhn, Ente oder Fisch. Gewiss, es gibt wenig einzuwenden gegen das gebratene Rindfleisch mit Ananas oder das scharfe Seelachsfilet.

Solides Garküchen-Niveau

Aber nichts wollte den Geschmacksnerven besonders schmeicheln. Auch beim Klassiker Pho Ga, Reisnudeln mit Huhn in Brühe, ist wenig falsch zu machen, alles ist auf solidem Garküchen-Niveau. Wirklich empfehlenswert aber ist wenig - zu nennen wäre allerdings die knusprig gebackene Ente mit Lychees. Dringend abzuraten ist hingegen von dem als besondere Spezialität angebotenen gebratenen Ziegenfleisch, das aussah und schmeckte wie eine gehäckselte Schuhsohle.

Beim Nachtisch verlässt sich das Cam Ly gern auf Bewährtes: gebackene Früchte von der Banane über den Apfel bis zur Ananas - alles in einer Panade, die man von den Vorspeisen, den gebackenen Hummerkrabben, zu kennen glaubte. Besser wird es auch nicht, wenn die Küche die vietnamesischen Wurzeln verlässt und zum Beispiel Häagen-Dazs-Eis anbietet.

Erst war es so hart, dass man fast nach Hammer und Meißel verlangt hätte; und angetaut war es dann durch die überlange Lagerung in der Tiefkühlung so zäh, dass es ungenießbar erschien. Doch die Klebreisbällchen, ganz oben auf der Speisenskala als Nummer 715, die waren in Ordnung. Immerhin, ein gutes Ende in einer Beziehung, die Weinberger künftig doch wieder mehr auf die Entfernung lebt.

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