Süddeutsche Zeitung

Café Voilà:Von der Corvette zum Kinderwagen

Einst mondänes Kaffeehaus, dann Rockerkneipe, heute gemütliches Stadtteillokal und Mütter-Treff: Das Voilà bleibt sich über all die Jahre treu.

Annette Wild

Wer Wien liebt, kennt sicher auch den Zustand, von der schläfrigen Atmosphäre der dortigen Kaffeehäuser absorbiert zu werden. Stunden, ja Tage kann man dort an einer Melange nippend und mit Zeitungsseiten raschelnd vertändeln. Mittags gibt es eine günstige, nahrhafte Mahlzeit wie Bratkartoffeln mit Spiegelei oder Tiroler Gröstl, danach wieder Kaffee, dann ein Bier, dann ein Schnitzel. Die Zeit rennt nicht, sie plätschert.

Das Voilà an der Wörthstraße hat zwar einen französischen Namen, in seinem großen Saal fühlt man sich aber wie in einem Wiener Kaffeehaus. Im 19. Jahrhundert fand sich hier im "Franzosenviertel" wohl Haidhausens Mittelschicht unter Kronleuchtern, Stuck und Glaskuppel zum Kränzchen zusammen. Damals war Haidhausen noch nicht frisch gentrifiziertes Gebiet, sondern ein Glasscherbenviertel - ein dicht besiedeltes Gebiet vor allem für die ärmere Bevölkerung. Heute werden hier gerade die letzten Altbauten saniert. Die Attraktivität des Viertels steigt und steigt. Haidhausen zählt zu einer der begehrtesten Wohnlagen Münchens.

Und das Voilà? Es wird wohl auch diese Veränderung überleben. Schließlich hat es schon so einiges mitgemacht. Bis 1993 fuhr zum Beispiel der damalige Betreiber, der bekannte Münchner Gastronom Kurt Müller, mit Goldkettchen und Corvette vor, um im Voilà seine szenig-rockigen Gäste zu begrüßen. Seit 1994 führt die Familie Fafal die Geschäfte: drei Brüder und ihre Mama - die als Porträt an der Wand über allem wacht. Die Mama ist übrigens auch Namensgeberin von "Mamas Kebap Haus" an der Feilitzschstraße, das die Fafals bis 1996 betrieben haben.

Als wir das Voilà vor 17 Jahren übernahmen, haben wir Küche, Keller und Böden grundlegend saniert. Wir wollten aber auch den nostalgischen Charme bewahren und haben deshalb die fünf alten Kronleuchter hängen lassen", sagt Serhat Fafal, der jüngste der drei Brüder.

Heute verströmt das Voilà mit seiner Einrichtung aus dunklen Holzmöbeln, einer durch den halben Raum laufende Ledersitzbank, der Spiegelzeile an der Wand und der massiven, langen Holztheke unaufgeregte Gastlichkeit. Es ist ein Lokal mit Patina und Augustiner-Bier, in dem sich Menschen von unterschiedlichem Schlag und Alter wohl fühlen.

"1994, als wir das Voilà eröffneten, wollten meine Freunde mich hier gar nicht gerne besuchen. ,Was sollen wir denn hier? Hier ist doch nichts los', haben sie gesagt", erinnert sich Fafal. Damals habe es an der Nachbarschaft neben dem Voilà nur noch das Juleps in der Breisacher Straße gegeben. Jetzt stolpert man in der Wörthstraße und Umgebung alle paar Meter über ein Café oder Restaurant.

Trotz der Konkurrenz in der Umgebung brummt das Voilà. "Unsere Gäste lieben unser Frühstück, unser Wiener Schnitzel und unsere Cocktails", sagt der 40-Jährige. An manchen Abenden sind die 140 Plätze im Gastraum und die 60 Plätze auf der Terrasse voll besetzt. Kaum jemand kommt da noch auf den Gedanken, dass das Voilà schwere Jahre hinter sich hat.

2008, das Jahr der Finanzkrise, war schlimm. Dann kam das Rauchverbot - ein Nackenschlag für jeden Wirt. Das hat das Nachtleben von einem Moment auf anderen komplett verändert. Die Leute haben zum Essen plötzlich nur noch ein Getränk bestellt und danach keine zweite Halbe. Auch die Cocktailtrinker blieben eine Weile aus", sagt der Gastronom.

Jetzt habe sich die Lage wieder stabilisiert. "Vor allem Mütter freuen sich über das strikte Rauchverbot. Haidhausen wird inzwischen ja auch Mammihausen genannt", sagt Fafal schmunzelnd. Und im Voilà gibt es genug Platz für Kinderwagen. "Seit 17 Jahren sehe ich hier Kinder aufwachsen. Mittlerweile kommen sie als Teenies abends schon mal alleine ins Lokal. Zu uns kann man sie gut schicken. Wir passen auf, dass sie keinen Unfug machen", erklärt der Münchner.

Vor allem mittags strömt ein junges Publikum aus dem Edith-Stein-Gymnasium und den anliegenden Berufsschulen ins Voilà. Große Portionen und günstige Mittagsmenü locken es an. Nachmittags treffen hier sich gerne ältere Menschen zu Kaffee und Kuchen.

Viele Jahre kam mittags immer eine ältere Dame zu uns zum Essen. Da sie den Weg nicht mehr schafft, bringen wir ihr nun jeden Tag um 13.45 Uhr ein Mittagsmenü nach Hause", sagt Fafal. Essen auf Beinen sozusagen - so ein Engagement ist nicht selbstverständlich und zeigt, was eine echte Stadtteilkneipe ausmacht.

Wird das alles so bleiben? Fafal machen die Luxussanierungen um ihn herum schon etwas Sorgen. Daher streckt er gerade seine Fühler nach anderen, noch nicht so schicken Stadtteilen aus. Außerdem hat der Gastronom Umbaupläne für das Voilà. Streiken da seine Stammgäste nicht? "Die Leute brauchen auch mal eine Veränderung. Wir würden gerne die Fenster bis zum Boden ziehen und Flügeltüren einsetzten. Die Bar soll eine zeitgerechte U-Form erhalten. Wichtig ist, dass bei den Erneuerungen der Charakter des Voilà erhalten bleibt", erklärt Fafal.

In Ordnung. Aber nur, solange man sich hier dann immer noch so fühlt wie in einem Wiener Kaffeehaus.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2011/wib
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