Süddeutsche Zeitung

Café Kolonial:1001 Nacht im Wiener Kaffeehaus

Von der Wiener Melange bis hin zum Marocchino: Im Café Kolonial in Neuhausen wird Kaffeekultur zelebriert. Und wer Bedarf hat, bringt seine defekte Maschine einfach zur Reparatur vorbei.

Von Sabine Cygan

Ein Schwan schwimmt auf dem Milchschaum des Marocchinos. So filigran und elegant, dass man es kaum wagt, Zucker hineinzustreuen oder den Kaffee mit dem Löffel umzurühren. Aber das Verlangen ist an diesem späten Freitagnachmittag einfach zu groß. Vorsichtig nippe ich an meiner Tasse, schon ist das Federkleid zerstört, die Barista-Kunst dahin.

Kunst, das ist ein gutes Stichwort. Im Café Kolonial wird die Kaffeekultur zelebriert. Der Gast nimmt in Neuhausen Platz zwischen Espressomaschinen, das Interieur erinnert an Wien, aber auch an Orient. Wer auf eine moderne Einrichtung steht, auf klare Formen und viel Platz, dem dürfte es im Café Kolonial zu vollgestellt sein, zu verschnörkelt. Hier hat jeder Tisch, jedes Bild, sogar der Zucker eine eigene Geschichte. So auch der Marocchino (3,20 Euro).

Er stammt aus einer Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts, als Marokko von den Franzosen besetzt war. Die Marokkaner mischten ihren Kaffee gerne mit etwas Kakao, die Franzosen tranken ihren am liebsten mit Milch. Der Marocchino verbindet beides, der Barista streut zuerst Kakaopulver in die Tasse, das er dann mit Espresso und geschäumter Milch aufgießt.

"Kaffee schmeckt beschissen", sagt der Geschäftsführer

Einer, der sich bestens auskennt mit Kaffee, ist Thomas Leeb, Geschäftsführer im Kolonial. Er beschäftigt sich schon seit mehr als 30 Jahren mit den technischen Details von Kaffeemaschinen, dem richtigen Röstverfahren, der Brühtemperatur des Wassers und dem perfekten Zucker, den er auf Mauritius gefunden hat. Doch eines kann auch er sich nicht erklären: Warum wir diese braune Brühe eigentlich trinken. "Kaffee schmeckt beschissen", sagt er. "Aber wir haben uns daran gewöhnt."

Wer das Kolonial besucht, der wird sich nicht allein auf den Geschmack des Kaffees konzentrieren. An den Wänden hängen Werbeplakate aus dem frühen 20. Jahrhundert, mitgebracht von Reisen nach Tunesien, Österreich, auf die Antillen. Ein alter lederner Koffer mit etlichen Aufklebern steht in einer Ecke. An der Decke hängen schmiedeeiserne Lampen, Orchideen und alte Kaffeebrühmaschinen schmücken die Fensterbretter.

Nun braucht es nicht viel Phantasie zu erraten, dass hier alle möglichen Kaffeespezialitäten serviert werden, vom klassischen Brühkaffee (2,60 Euro) über den türkischen Mokka (2,90) oder den Einspänner (Mokka mit aufgesetztem Schlagobers, 2,80) bis hin zur Wiener Melange (3,60). Dazu empfiehlt sich ein Apfelstrudel, ein Stück von der Linzer Torte oder vom Schokoladenkuchen.

Am Nebentisch sitzt John Franklin Culp aus den Vereinigten Staaten, ein Stammgast, zusammen mit einer Freundin aus Argentinien. "So ein Ambiente findet man hier in München nirgendwo sonst", schwärmt er. Culp trinkt leidenschaftlich gerne Kaffee. Nicht nur hier, sondern auch zu Hause. Eine teure "Francis Francis"-Espressomaschine hat er sich vor Jahren geleistet, leider ging sie vor kurzem kaputt.

Weil es heute keine Ersatzteile mehr für das alte Modell gibt, hatte Culp die Maschine schon abgeschrieben - bis er erfuhr, dass man im Café Kolonial Kaffeemaschinen reparieren lassen kann. Thorsten Malcus macht das in einem Hinterzimmer, und wer will, kann ihm dabei zuschauen (und zuhören) - bis der Schwan endgültig verschwunden ist.

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