Süddeutsche Zeitung

Bungalows im Münchner Olympiapark:Paradies auf den zweiten Blick

Das Münchner Olympiadorf ist ein städtebauliches Ensemble von Weltrang. Nach den Spielen von 1972 wollte erst niemand einziehen, doch mittlerweile kämpfen die Bewohner hartnäckig um den besonderen Charme ihrer Idylle - nicht zuletzt mit der Landeshauptstadt.

Peter Fahrenholz

Wenn gefragt würde, welche Olympiabauten von 1972 zum Symbol Münchens geworden sind, würden die meisten vermutlich als erstes das Olympiastadion nennen, das mit seinem kühnen Zeltdach tatsächlich eines der Wahrzeichen der Stadt ist. Und an zweiter Stelle den gesamten Olympiapark, dieses Musterbeispiel gelungener Landschaftsgestaltung. Das olympische Dorf hingegen würde kaum einer spontan zu jenen Errungenschaften der Spiele zählen, die München bis heute etwas Einzigartiges verleihen.

Dabei stecken im Münchner Olympiadorf möglicherweise mehr visionäre Ideen als in den gesamten olympischen Sportstätten. Im Grunde ist das olympische Dorf sogar ein städtebauliches Denkmal von Weltrang, weswegen es seit 2001 auch unter Ensembleschutz steht. Denn mit dem olympischen Dorf wurde ein geradezu revolutionärer städtebaulicher Ansatz in die Tat umgesetzt, der erstaunlicherweise später nirgendwo auf der Welt kopiert wurde: ein ganzes Stadtquartier für mehrere tausend Bewohner zu schaffen, in dem die Autos komplett von Fußgängern und Radfahrern abgetrennt wurden. Autos fahren im olympischen Dorf in einer eigenen unterirdischen Ebene, an der Oberfläche gibt es somit keinen Verkehr, die Wege und die großzügigen Grünflächen gehören ganz und gar den Bewohnern.

Ein Paradies vor allem für Familien mit Kindern, denn kein Olympiadorf-Bewohner braucht sich Sorgen zu machen, dass sein Kind auf dem Weg zum Kindergarten oder zur Grundschule (die natürlich auch im Dorf liegen) unter ein Auto geraten könnte.

Allerdings, und das erklärt womöglich, warum das Olympiadorf so ein bisschen unter Wert gehandelt wird, ist es ein Paradies auf den zweiten Blick. Ein Paradies, das auf denjenigen, der nicht dort wohnt, erst einmal abweisend wirkt, mit den Hochhäusern am Helene-Mayer-Ring als optischem Sperrriegel. Und mit den unterirdischen Fahrstraßen, die auf Besucher wie eine riesige Tiefgarage wirken, in der man nur schwer einen Parkplatz findet.

Man muss schon zu Fuß ins Dorf hineingehen, um den Charme und den enormen Wohnwert des Entwurfs der Planer zu begreifen: Die Anlage öffnet sich wie die gespreizten Finger einer Hand nach Westen, dadurch entstehen riesige Grünflächen zwischen den Häusern. Die besonders begehrten Wohnungen in den Terrassenbauten sind hell und haben Balkone von enormer Größe. Und durch die Mischung der Terrassenhäuser mit Flachbauten und Bungalows hat das Olympiadorf nichts von der baulichen Monotonie anderer Großsiedlungen. Außerdem sind auf diese Weise Wohnungen mit ganz unterschiedlichen Grundrissen entstanden.

Doch auch für die Bewohner selbst war der zweite Blick notwendig. Denn am Anfang war das Olympiadorf eine große Betonwüste. Es brauchte schon viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie es hier aussehen würde, wenn das üppige Grün, das die Planer vorgesehen hatten, erst einmal richtig eingewachsen sein würde. Und diese Phantasie hatten am Anfang nur ganz wenige.

Das Olympiadorf galt schon als gigantische Fehlplanung, niemand wollte dort hinziehen. Drei Jahre nach den Olympischen Spielen war erst ein Drittel der gesamten Anlage, in der während der Spiele 12.000 Athleten untergebracht waren, bewohnt. Nachts haben die Hausmeister überall Licht gemacht, damit das Ganze nicht wie eine gigantische Geisterstadt wirkte. Doch plötzlich kam der Umschwung. Warum auf einmal ein Run auf die Wohnungen im Olympiadorf einsetzte, ist bis heute ein Rätsel. Jedenfalls war die Anlage Ende 1976 ausverkauft.

Preisnachlässe für die anfangs unverkäuflichen Wohnungen haben dabei auch eine Rolle gespielt. Aus heutiger Sicht sind die Preise ein Traum, für die man Mitte der 70er Jahre im Olympiadorf zum Wohnungsbesitzer werden konnte - umgerechnet 100.000 Euro für 100 Quadratmeter Wohnfläche. Deshalb sind die Bewohner im Olympiadorf meist die Eigentümer, der Mieteranteil liegt nur bei ungefähr zehn Prozent. Und es waren Menschen mit ganz ähnlichen Lebensentwürfen, die sich hier ihren Traum vom Eigentum verwirklicht haben: junge Familien mit überdurchschnittlichen Einkommen und überdurchschnittlichem Bildungsgrad.

Über viele Jahre war auch die Kampfbereitschaft der Bewohner nirgends in München größer. Denn so bestechend die Idee vom Wohnen im Grünen nur zwölf U-Bahn-Minuten vom Marienplatz entfernt auch ist - in der Realität mussten die Olympiadörfler, die sich in einer "Einwohner-Interessen-Gemeinschaft" zusammengeschlossen hatten, an vielen Fronten für ihre Idylle kämpfen. Hauptkontrahent über viele Jahre war aber ausgerechnet die Stadt, die doch auf ihr Olympiadorf eigentlich hätte stolz sein müssen.

Die begehrtesten Studentenbuden Deutschlands

Denn durch einen unbegreiflichen Planungsfehler war die Stadt nur für die unterirdischen Fahrstraßen zuständig, für den Erhalt der Fußgängerebene sollten die Bewohner selbst sorgen. Der Streit zog sich über Jahre hin, am Ende stimmte die Stadt einem Kompromiss zu und übernahm 25 Prozent der notwendigen Sanierungskosten.

Das Olympiadorf hat aber noch eine weitere Besonderheit zu bieten, die zu seinem einzigartigen Charakter beiträgt. Zu den insgesamt 8000 Bewohnern gehören auch etwa 1800 Studenten, die eine Art "Dorf im Dorf" bilden. Den eigentlichen Reiz macht dabei die Bungalowsiedlung hinter dem Studentenhochhaus aus.

Die Bungalows des ehemaligen olympischen Frauendorfs dürften zu den begehrtesten Studentenbuden Deutschlands gehören. Denn wer verfügt schon als Student über ein - wenn auch winziges - Eigenheim samt Dachterrasse plus garantierter Geselligkeit? Soziale Kontakte zu den Kommilitonen ergeben sich in engen Gassen des Bungalow-Dorfs praktisch von selber.

Die Studentenbungalows sind allerdings als einzige Komponente des Dorfes nicht mehr das Original. Während sonst überall im Olympiadorf der marode gewordene Beton saniert und repariert wird, waren die Bungalows irgendwann nicht mehr zur retten. Sie wurden 2007 abgerissen und im gleichen Stil wieder aufgebaut. Weil die Wohnfläche dabei von 23 auf 19 Quadratmeter verkleinert wurde, konnten sogar mehr Bungalows errichtet werden als vorher.

Doch den Charme der alten Anlage hat das neue Studentendorf noch nicht wieder erreicht. Die alten Bungalows wurden im Laufe der Jahre alle bunt bemalt, jeder konnte seine Fassade nach eigenem Geschmack gestalten. Soweit ist es im neuen Studentendorf noch nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1451554
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.08.2012/sonn
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.