Süddeutsche Zeitung

Bundesweites Problem:Überall Klagen

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Auch in anderen Städten gibt es Streit, weil die Grenzwerte nicht eingehalten werden

Von Marco Völklein, München

Ob er sich Sorgen macht, wird ein führender Automanager gefragt. "Nein", winkt er ab. Fahrverbote in deutschen Innenstädten, um die Belastung der Luft mit Schadstoffen zu drücken? "Das kann ich mir nicht vorstellen." Schilder mit dem Aufdruck: Keine Einfahrt für Diesel-Fahrzeuge? "Damit würden sich die Städte ins eigene Fleisch schneiden", sagt der Manager. Schließlich führten Konzerne wie Daimler und BMW an Städte wie Stuttgart oder München hohe Gewerbesteuern ab.

Aber kann sich die Autobranche da wirklich so sicher sein? Tatsächlich wirken Umweltjuristen seit Jahren auf genau solche Maßnahmen hin. Federführend ist dabei die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die unter anderem in München, Stuttgart, Mainz, Frankfurt, Berlin und Düsseldorf vor die Verwaltungsgerichte gezogen ist. In Hamburg hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) vor etwa zwei Jahren mit einer Klage Erfolg. Alle diese Städte stehen vor dem gleichen Problem: Sie reißen bei der Belastung der Luft mit Stickstoffdioxid und in einigen Fällen auch Feinstaub immer wieder Grenzwerte. Zugleich aber hat die EU ihre Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Grenzwerte einzuhalten. Und in all diesen Städten verfolgen Umweltverbände eine ähnliche Strategie: Sie klagen das von der EU verbriefte Recht auf saubere Luft ein. Und sie wollen die Städte per Gerichtsurteil zwingen, härter vorzugehen beim Kampf für saubere Luft - das heißt in den meisten Fällen: gegen die Autofahrer. So werden Fahrverbote für Dieselfahrzeuge als mögliche Maßnahme stets genannt.

In Stuttgart etwa läuft seit Anfang dieser Woche wieder der "Feinstaubalarm". Immer wenn eine hohe Schadstoffbelastung droht, werden Autofahrer etwa übers Radio dazu aufgerufen, ihren Wagen stehen zu lassen, Fahrgemeinschaften zu bilden, aufs Rad zu steigen oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Bislang allerdings wirken die Appelle kaum: Eine spürbare Verminderung des Autoverkehrs haben Stuttgarter Umweltverbände bislang nicht registriert - und das, obwohl die Stadt Autofahrern anbietet, bei Feinstaubalarm die öffentlichen Nahverkehrsmittel zum halben Preis nutzen zu können.

Strafen werden beim Feinstaubalarm bislang nicht verhängt. Allerdings warnen Stuttgarter Kommunalpolitiker stets: Sollte der freiwillige Autoverzicht nicht dazu führen, die Feinstaubbelastung unter die erlaubten Werte zu drücken, könnte es von 2018 an Vorgaben für Autofahrer geben. Die Stadt prüft zwei Alternativen: Zum einen könnte dann die Einfahrt nur noch für Fahrzeuge erlaubt sein, in denen mindestens zwei Personen sitzen oder die durch eine bisher noch nicht eingeführte blaue Plakette als besonders emissionsfrei gekennzeichnet sind. Zum anderen könnte der Verkehr per Zufallsprinzip reduziert werden, indem zum Beispiel nur noch Autos mit gerader oder mit ungerader Zahl im Kennzeichen in die Stadt fahren dürfen. Elektro-Fahrzeuge wären davon ausgenommen.

Geht es nach Umweltschützern, dann wären solche Maßnahmen künftig in vielen Städten denkbar. Hinzu kommt, dass der Druck aus Brüssel wächst: Eben weil viele Städte die Grenzwerte reißen, hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Bislang aber tauschen Berlin und Brüssel in dieser Sache nur Briefe aus. Darin erklärt die Bundesregierung sinngemäß, dass sie alles unternehme, um die Grenzwerte in den Griff zu kriegen; die EU-Kommission entgegnet, dass sie das anders sieht. Wann die EU Sanktionen einleitet, Strafzahlungen etwa, ist offen. Unklar ist auch, ob der Bund für solche Zahlungen die jeweiligen Kommunen in Regress nehmen würde.

Automobilklubs lehnen Fahrverbote indes ab. Besser sei es, die Hersteller zu zwingen, saubere und emissionsarme Fahrzeuge anzubieten, sagt ADAC-Vizepräsident Ulrich Klaus Becker: "Die technischen Möglichkeiten zur Schadstoffreduzierung sind längst vorhanden und müssen nur eingesetzt werden." Kurzfristig könnten auch mehr grüne Wellen an großen Straßen und eine bessere Verkehrssteuerung helfen, meint Becker.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2016
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