Bundesverfassungsgericht:Abtreibungsgegner dürfen demonstrieren

Ein radikaler Abtreibungsgegner versuchte, vor einer Münchner Arztpraxis Patientinnen zur Umkehr zu bewegen. Die Verfassungsrichter urteilten nun: Dies ist rechtens.

E. Müller-Jentsch

Eine Art Bannmeile sollte in den letzten vier Jahren einen Münchner Frauenarzt vor dem radikalen Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen schützen. Der Frontmann der "Initiative Nie Wieder!" hatte sich immer wieder in der Nähe der Arztpraxis in Berg am Laim aufgestellt - vor allem, um Patientinnen zur Umkehr zu bewegen.

Das Münchner Landgericht hatte ihm daraufhin verboten, Passanten in einem Umkreis von einem Kilometer um die Praxis zum Thema Abtreibung anzusprechen, und das Oberlandesgericht hatte dieses Urteil bestätigt. Doch dem Bundesverfassungsgericht gingen diese Entscheidungen aus dem Jahr 2006 jetzt zu weit: Die Karlsruher Richter hoben in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss das Protest-Verbot auf und verfügten, dass der Fall in der ersten Instanz wieder neu verhandelt werden muss.

Der betroffene Facharzt für Frauenheilkunde, Erik-C. Miller, nahm den richterlichen Beschluss gelassen auf: "Annen kann meinetwegen den ganzen Tag dort stehen", sagte er zur SZ. "Er macht sich doch nur lächerlich." Damals, als der Abtreibungsgegner noch als Sandwichmann mit Plakat vor der Brust und auf dem Rücken vor der Praxistür demonstrierte, sah sich der Mediziner aber noch "öffentlich an den Pranger gestellt und herabgewürdigt" und klagte vor dem Landgericht MünchenI.

Die 9. Zivilkammer befand daraufhin, dass die speziellen Aktionen des Demonstranten "die berufliche Tätigkeit des Klägers insgesamt herabwürdigen, obwohl diese legal ist" - das verletzte ihn in seinem Persönlichkeitsrecht.

Annen wollte das nicht hinnehmen. Die 1.Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts gab ihm nun Recht. Die Richter konnten nicht erkennen, dass der Mediziner Miller ein umfassender Verlust an sozialer Achtung drohe, wenn seine Bereitschaft zu Schwangerschaftsabbrüchen öffentlich erörtert werde. Immerhin sei das ein Thema von wesentlichem öffentlichem Interesse, meinte das Verfassungsgericht. Zwar mische sich Annen in die besonders geschützte Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patientin, doch rechtfertigte auch das kein so umfassendes Verbot (Az.: 1BvR1745/06).

Auch der Münchner Arzt Friedrich Stapf, der 1998 als Kämpfer gegen einen bayerischen Sonderweg beim Schwangerschaftsabbruch Schlagzeilen machte, hatte 2006 versucht, seine Patientinnen mit einer Bannmeile vor ähnlichen Attacken zu schützen. Im Falle eines Münchner Lebensschützervereins war er zwar mit seiner Klage gescheitert: Dessen "Gehsteigberater" stehen bis heute vor der Praxis.

Doch immerhin gegen den aus Weinheim bei Mannheim stammenden Annen hatte Stapf 2007 vor dem OLG Karlsruhe ein rechtskräftiges Urteil erstreiten und ihn so aus seiner kleinen Fäustlestraße fernhalten können. "Diese 800-Meter-Bannmeile hält", sagt Stapf. Er glaubt nicht, dass daran das Verfassungsurteil etwas ändern wird.

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