Politik in München:Religionsgemeinschaften rufen erstmals zur Wahl auf

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Imam Benjamin Idriz (Mitte), Gabriela Schneider von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Beth Shalom und der evangelische Stadtdekan Bernhard Liess (rechts) haben mit anderen Religionsvertretern ihre Mitglieder dazu aufgerufen, bei der Bundestagswahl demokratische Parteien zu wählen. (Foto: Robert Haas)

Ihre Stimme sollen ihre Mitglieder einer der Parteien geben, die für eine „demokratische Gesellschaft stehen“. Und nicht der AfD.

Von Andrea Schlaier

Die Kirchen machen hierzulande als Verteidiger der Demokratie gerade ordentlich von sich reden. Vergangene Woche hat das Schreiben evangelischer und katholischer Kirchenvertreter, das sich gegen die Migrationspläne der Union richtete, politisch erheblich nachgehallt. In München positioniert sich jetzt ein breites Bündnis aus Religionsgemeinschaften ebenfalls sehr deutlich: Es fordert alle Mitglieder in einer gemeinsamen Stellungnahme dazu auf, zur Bundestagswahl zu gehen. Und das Kreuz bei Parteien zu machen, die für eine „freiheitliche, pluralistische, weltoffene und demokratische Gesellschaft stehen“.

Erstmals überhaupt haben sich am Dienstagabend damit die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) München und der Rat der Religionen München (RdR), dem neben Christen, Juden und Muslimen auch Buddhisten, Aleviten und Bahá’í angehören, gemeinsam politisch erklärt.

„Wir wollen uns damit klar positionieren gegen Hass und Häme, gegen Demokratiefeindlichkeit und all die Kräfte, die zurzeit unsere Gesellschaft spalten, gegen Migranten hetzen, die Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Rassismus vertreten“, sagte der evangelische Stadtdekan Bernhard Liess auf einer Pressekonferenz, der auch ACK-Vorsitzender und Sprecher des Rates der Religionen München ist. Die Religionen wollten sich ganz bewusst zeigen und „nicht irgendwie in eine Privatnische zurückziehen“.

Demokratie lebe von Kompromissen, heißt es in dem Papier, „von der Fähigkeit, andere Meinungen auszuhalten“. Sie bedeute Auseinandersetzung in Sachfragen und zugleich Respekt und Achtung voreinander.

Allein mehr als 20 Mitgliedskirchen, darunter etwa die koptisch-orthodoxe, die bulgarisch-orthodoxe oder die Griechisch-Orthodoxe Metropolie, gehören der ACK an. Ins Russische, Türkische und Griechische ist die Stellungnahme bereits übersetzt, die sich inzwischen auch auf den Webseiten der einzelnen Gemeinden findet. Viele weitere Sprachen sollen mithilfe der Sprachkompetenz im städtischen Migrationsbeirat noch folgen, sagt Archimandrit Georgios Siomos von der Griechisch-Orthodoxen Metropolie. Die Botschaft soll schließlich unters Volk kommen.

Es gelte, die „Realität der hiesigen Gesellschaft“ wahrzunehmen, so Siomos, und die sei multikulturell und multireligiös. „Sie können jemandem, der in zweiter und dritter Generation hier lebt, nicht erzählen, er müsse hier weg, das sei nicht seine Heimat.“ Für diejenigen aus migrantischen Communitys, die nicht zur Wahl gehen könnten, schaffe dieses Statement Sicherheit, dass man für eine Pluralität einstehe.

Völkischer Nationalismus sei unvereinbar mit dem christlichen Glauben

Die Versammelten verwahrten sich am Dienstag dagegen, den Stift in der Wahlkabine führen zu wollen. Konkret wird es aber doch, wenn es um die Ablehnung der AfD geht. „Aus unserer Sicht“, sagt Bernhard Liess, „ist sie letztlich nicht wählbar.“ Andreas Renz, Leiter des Dialogs der Religionen im Erzbistum München und Freising, verweist auf das Statement der Deutschen Bischofskonferenz 2024, „in dem man ganz eindeutig die Form völkischen Nationalismus, wie er in der AfD vertreten wird, als unvereinbar mit dem christlichen Glauben erklärt hat“.

Benjamin Idriz, Vorsitzender des liberalen Münchner Forum für Islam, und seine Islamische Gemeinde Penzberg waren vergangene Woche Ziel rechter Hetze. Mitglieder der rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe „Der III. Weg“ verteilten in Penzberg islamfeindliche Flugblätter. „Wir haben eine große Solidarität erfahren, von Politikern, aber auch anderen Religionsgemeinschaften“, sagt Idriz.

Trotzdem, so der Imam, vermisse man als Bürger in muslimischen Gemeinden, Vereinen und Verbänden eine positive Botschaft von politischer Seite, eine Anerkennung dafür, welchen großen Beitrag Migranten bei der Entwicklung Deutschlands in den letzten 50 Jahren geleistet haben. Aus zwei Gründen seien viele Muslime aktuell von den etablierten demokratischen Parteien „sehr enttäuscht“: Erstens, weil von ihnen keine Perspektive für eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten vorliege. Zweitens, „weil die Anschläge in den letzten zwei Monaten hier in Deutschland sehr viel für politische Ziele instrumentalisiert wurden und so der Eindruck erweckt wird, dass die Muslime an allem schuld sind“. Idriz zufolge habe dies dazu geführt, dass viele Muslime jetzt überlegten, der AfD ihre Stimme zu geben. Er sehe es jetzt als seine Aufgabe an, diese Menschen in seinem Umfeld in den kommenden drei Wochen „für demokratische Parteien zu gewinnen“.

Nach der Terror-Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich auch zwischen den Religionen in München ein großer Graben aufgetan. Gabriela Schneider von der Liberalen Jüdischen Gemeinde München Beth Shalom spricht sich für jüdisch-muslimische Solidarität aus. „Von einer möglichen Auseinandersetzung zwischen Juden und Muslimen können nur die Radikalen profitieren.“ Dass sich die Religionsgemeinschaften jetzt erstmals – trotz „möglicherweise auch unterschiedlicher Einschätzungen des Nahostkonfliktes“ – wieder gemeinsam öffentlich positionierten, zeige, „dass wir uns gemeinsam um die positive Gestaltung der Gesellschaft kümmern“, so Stadtdekan Liess.

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