Bundestagswahl:Das München-Programm

Rathauspolitiker haben in Berlin wenig zu sagen, dabei haben sie viele Wünsche an eine neue Bundesregierung. Denn die zentralen Probleme der Stadt sind ohne Reformen im Bund nicht zu lösen - da ist man sich über die Parteigrenzen hinweg einig

Von Dominik Hutter

Klar, es geht bei einer Bundestagswahl um den Umgang mit autoritären Regimes, um die EU und um das Zwei-Prozent-Ziel für die Bundeswehr. Aber auch im Münchner Rathaus richten sich alle Blicke auf Berlin - in der Hoffnung, dass der Bund einige Gesetze so anpasst, dass die Kommune damit ihre Aufgaben besser erledigen kann. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wendet sich immer wieder mit diversen Wünschen aus München an die Bundesregierung. Aber auch die CSU und die Grünen haben Vorstellungen, was sich durch die Bundestagswahl an der Isar verbessern könnte.

Politische Mitwirkung

"Man hat nicht den Eindruck, dass die Bedürfnisse der Kommunen ausreichend berücksichtigt werden", sagt Reiter über die Berliner Politik. "Die Rolle der Kommunen müsste deutlich stärker sein." Zwar sind die Städte über die kommunalen Spitzenverbände wie den Städtetag formal an Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Eine echte Macht aber stellten sie auf Bundesebene nicht dar, obwohl sie doch die unmittelbaren politischen Ansprechpartner der Bürger sind. "Die Hälfte der Deutschen wohnt in Städten", erinnert der Oberbürgermeister. Da sei es sinnvoll, die Fachkenntnis der Kommunen auch zu berücksichtigen. Reiter hat keine formalen Veränderungen am politische System parat, die den Einfluss vor allem auch der großen Städte sichern könnten. Es gehe vor allem um den Willen und die Überzeugung der Bundespolitiker, die Rufe aus der Praxis ausreichend zu würdigen. Ein Beispiel ist der auf Bundesebene viel diskutierte Rechtsanspruch auf eine kostenlose Kinderbetreuung. "Da ahne ich schon wieder, wer das bezahlt."

Verkehr

Feinstaubbelastung in der Landshuter Allee

Thema Verkehr: Sollen Luftverschmutzer im Straßenverkehr ausgesperrt werden. Wie andere Fragen kann auch diese eine Kommune alleine nicht lösen.

(Foto: Florian Peljak)

Für Reiter bildet der Verkehr die aktuell größte Herausforderung in der Münchner Politik, noch vor den Themen Wohnen und Soziales. "Das ist das Alltagsthema." Hauptproblem ist, wie so oft, das Geld. Zwar hat die Bundesregierung gerade erst beim Diesel-Gipfel 500 Millionen Euro zusätzlich für die Kommunen lockergemacht. Wer aber die Münchner Verkehrsbedürfnisse kennt, kann über solche Beträge nur lachen. Auch der wichtigste Fördertopf für den öffentlichen Nahverkehr, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), sei mit gut 300 Millionen Euro pro Jahr "lächerlich bestückt". Dabei sei der ÖPNV "die wichtigste Alternative zum Verbrennungsmotor", so Reiter, der sich bei diesem Thema der Unterstützung seines Rathaus-Bündnispartners sicher sein kann. Auch CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl mahnt eine Aufstockung des Förderetats an. München benötige zahlreiche neue U-Bahn-Strecken und auch viele neue Fahrzeuge. Die Grünen-Fraktionschefs Gülseren Demirel und Florian Roth attestieren einen "Innovations- und Planungsstau" im Nahverkehr und wollen ebenfalls den Bund stärker in die Pflicht nehmen. Immerhin seien ursprüngliche Pläne abgewendet worden, die den Bund komplett aus der Verantwortung für den Nahverkehr entlassen hätten. Reiter kann sich übrigens durchaus ein stärkeres eigenes Engagement der Stadt bei der Finanzierung vorstellen - allerdings nur, wenn der Bund dafür neue Einkommensquellen herausrückt. "Da gibt es schon Möglichkeiten", so der SPD-Politiker, der früher Vizechef der Kämmerei war. Einen künftig ungedeckelten Anteil der Kommunen an der Einkommensteuer etwa oder einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer.

Dringend auf die Berliner Agenda setzen wollen Münchner Politiker auch die Kosten-Nutzen-Analyse, nach der bisher über die Finanzierung von Nahverkehrsprojekten entschieden wird. "Völlig veraltet" sei diese Methodik, kritisiert Pretzl, Reiter spricht gar von "Quatsch pur". Das Problem: Die Berechnung ist auf den Aufbau neuer Nahverkehrsnetze und die Erschließung bislang abgehängter Stadtteile zugeschnitten, wie er in den Siebziger- und Achtzigerjahren erforderlich war. Inzwischen aber geht es auch um den Ausbau überlasteter Netze, um Betriebsstabilität und die Sanierung bestehender U-Bahn-Röhren. Dies werde nicht ausreichend berücksichtigt.

Wohnen

Grundsteinlegung für Welfengärten in München, 2017

Der Forderungskatalog der Münchner an ihre Berliner Politikerkollegen ist lang. Nicht erst seit diesem Wahlkampf brennt das Thema Wohnungsnot unter den Nägeln der Politik.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ganz oben auf Reiters Wunschliste steht eine "Mietpreisbremse, die diesen Namen verdient". Das von der Großen Koalition verabschiedete Konstrukt weise handwerkliche Fehler auf, die es zu beseitigen gelte. Etwa, dass der Vermieter nicht explizit nachweisen muss, wie hoch die Miete des vorherigen Bewohners war - was den Nachweis für unzulässige Erhöhungen sehr schwierig macht. Beim Thema Miete ist sich Reiter mit den Grünen weitgehend einig. Neben der Mietpreisbremse müsse Berlin auch die Berechnung des Mietspiegels angehen, für den nicht nur die Neuvermieten, sondern auch die Bestandsmieten herangezogen werden müssten. Das verhindert allzu krasse Mietsteigerungen. Reiter wünscht sich zudem schärfere Regeln bei Zweckentfremdungen und Sanierungen. "Wir brauchen eine Gesetzgebung, die dem Mieter nützt und nicht den Eigentümer schützt". Der OB will aber auch an die Bauvorschriften herangehen. Viele Regelungen, etwa zur Höhe und zu Abständen, benötige man in der Uckermark oder in Wunsiedel, aber nicht in München.

Luftqualität

Spaziergänger im Nymphenburger Schlosspark in München, 2015

Die Diskussion um bessere Luftqualität in München geht weiter über die Grenzen der Kommunalpolitik hinaus.

(Foto: Florian Peljak)

Das Problem, dass an zahlreichen Straßen regelmäßig die Grenzwerte für Stickstoffdioxid überschritten werden, ist mit dem Instrumentarium der Kommunalpolitiker derzeit nicht zu lösen. SPD, CSU und auch Grüne halten die Blaue Plakette für eine sinnvolle Lösung: Saubere Diesel und Benziner erhalten - wie jetzt schon bei den grünen Wapperl - einen Aufkleber, der zur Einfahrt in die Umweltzone berechtigt. Stinker müssen nachgerüstet oder - nach einer Übergangsfrist - aussortiert werden. "Wir brauchen irgendeine Regelung", sagt Pretzl, "aber das hängt davon ab, wie die Gerichte entscheiden". Sollte das Bundesverwaltungsgericht, dessen Urteil nun erst im Frühjahr 2018 erwartet wird, Diesel-Fahrverbote für zulässig erklären, ließen sich so Radikallösungen à la Komplettverbot für sämtliche Diesel verhindern. Sehen die Richter keinen Raum für Fahrverbote, sieht Pretzl auch keine Notwendigkeit für die Blaue Plakette.

Rente/Gesundheit

Reiter hält es für fatal, dass immer mehr Rentner sich das hochpreisige München nicht mehr leisten können. Es müsse auch im Alter möglich sein, in der eigenen Stadt zu bleiben. Dafür sieht der OB prinzipiell zwei Lösungswege: eine Rente, die für alle auskömmlich ist. Oder Zuschläge für Menschen, die ihr Leben in München verbracht haben. Berlin müsse endlich akzeptieren, dass nicht überall in Deutschland gleiche Lebensverhältnisse und ein gleiche s Preisniveau herrschen. Aber auch bei der Bildung im Gesundheitswesen brauche es dringend Verbesserungen - das sei der schwarz-roten Bundesregierung wegen gegenseitiger Blockade nicht gelungen. Wer wolle, dass Städte weiterhin ein sozial friedliches Umfeld bieten, müsse sich mit Kinder- und Altersarmut befassen. "Da ist ihnen nichts eingefallen" sagt Reiter über die Kollegen auf Bundesebene. Und: Das Gesundheitssystem müsse gerechter werden. "Wenn ich höre, dass es angeblich keine Zwei-Klassen-Medizin gibt, muss ich ja lachen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: