Bundestags-Wahlkreis München-Nord:„Man muss da mit voller Wucht kämpfen“

Lesezeit: 5 Min.

CSU-Stadtrat Hans Theiss will für die CSU in den nächsten Bundestag einziehen. (Foto: Florian Peljak)

Im Wahlkreis im Münchner Norden treten diesmal bei allen drei großen Parteien neue Kandidaten an: CSU-Stadtrat Hans Theiss will den Erfolg seines Vorgängers von 2021 wiederholen, für die Grünen geht Frederik Ostermeier ins Rennen, für die SPD Philippa Sigl-Glöckner.

Von Joachim Mölter

Es ist ein frischer Wintermorgen, als Hans Theiss aus dem Klinikum Großhadern kommt. Gerade hat er einem Patienten eine neue Herzklappe eingesetzt, „mein Signature-Move“, sein Markenzeichen, sagt er lächelnd. Der Herzspezialist ist bestens gelaunt, die OP ist gut verlaufen, Routine eben. Nun kann der 47-Jährige unbeschwert über seine nächste große Operation plaudern: den Bundestagswahlkampf. Der ist keine Routine. Wegen des vorgezogenen Termins ist er deutlich komprimierter als in früheren Zeiten. „Aber ich habe mich schon seit Sommer vorbereiten können“, sagt Theiss: „Ich fühle mich wie ein Schlittenhund, der angespannt ist und endlich losrennen darf.“

Tatsächlich war Hans Theiss in München der erste Bewerber für die Bundestagswahl 2025, der aufgestellt worden ist. Im Juli 2024 nominierten ihn die CSU-Delegierten anstelle des Mandatsinhabers Bernhard Loos für den Wahlkreis München-Nord. Dass die ursprünglich für September vorgesehene Bundestagswahl nun schon im Februar stattfindet, kommt Theiss entgegen: Als die Regierungskoalition im November auseinanderging, hatte er seine Strategie bereits parat.

FAQ zu allen wichtigen Fragen
:Was Sie zur Bundestagswahl 2025 in München wissen sollten

Am 23. Februar werden in Deutschland die vorgezogenen Bundestagswahlen stattfinden. Wer tritt in München an? Welche Wahlkreise gibt es? Und bis wann kann man Briefwahl beantragen? Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick.

Von Isabel Bernstein, Heiner Effern, Joachim Mölter

Im Münchner Norden kann Theiss jeden Frühstart gebrauchen, „das ist kein Wahlkreis, den die CSU automatisch mit 20 Prozent Vorsprung gewinnt“, weiß er: „Man muss da mit voller Wucht kämpfen.“ In der Vergangenheit ging es immer hin und her zwischen SPD und CSU, erst zwischen Hans-Jochen Vogel und Fritz Wittmann, danach zwischen Axel Berg und Johannes Singhammer. Zuletzt funkten die Grünen fast dazwischen: 2021 holten sie im Norden die meisten Zweitstimmen, das Direktmandat gewann Loos mit dem geringsten prozentualen Stimmenanteil aller CSU-Abgeordneten.

Sollten sich CSU, Grüne und SPD erneut einen engen Dreikampf liefern, könnte Theiss’ Operation Bundestag selbst dann misslingen, wenn er bei der Auszählung der Erststimmen vorne läge: Denn gewinnt die CSU mehr Direktmandate als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, darf sie die nach dem neuen Wahlrecht nicht mehr als Überhangmandate behalten, sondern muss auf ihre prozentual schwächsten Sieger verzichten. Theiss hält das für „eine Missachtung des direkten Wählerwillens“. Für ihn heißt das: Er muss um jede Stimme kämpfen.

Genug Stimmen zu gewinnen, ist das eine im Münchner Norden; das andere ist, die vielen Facetten dieses Wahlkreises zu vereinen. Südlich des Mittleren Rings ist großstädtisches Publikum daheim, eine studentische Klientel in der Maxvorstadt, eine bürgerliche in Schwabing. In Moosach und Milbertshofen trifft man Arbeitermilieus, in Feldmoching auf ländliches Ambiente.

„Es sind ganz unterschiedliche Welten, in die man taucht“, sagt Hans Theiss. „Man hat alle Herausforderungen Deutschlands in einem Wahlkreis“, findet die SPD-Kandidatin Philippa Sigl-Glöckner: Wirtschaft, Industrie, Migration, öffentlicher Nahverkehr, Wohnungs-, Schul- und Kitabau. Diese Vielfalt mache den Wahlkampf nicht leicht, glaubt der Grünen-Bewerber Frederik Ostermeier, der aus einem kleinen Ort bei Ingolstadt stammt und weiß: „Es gibt kaum Rezepte, die für Stadt und Land gleich wirken.“

Für was wollen sich die aussichtsreichsten Bewerber also einsetzen, falls sie nach Berlin gewählt werden sollten? Medizinthemen lägen bei ihm natürlich nahe, sagt der Oberarzt Hans Theiss, „davon verstehe ich fachlich am meisten“. Aber in der Kommunalpolitik habe er gelernt, sich schnell in Themen einzuarbeiten. Im Stadtrat decke er als stellvertretender Vorsitzender der CSU/Freie-Wähler-Fraktion eine große Bandbreite ab.

Sicherheit und eine bezahlbare Energieversorgung seien wichtige übergeordnete Themen, glaubt Theiss, aber „das dringendste Problem neben dem Wohnungsbau“, auf das man in Berlin einwirken könne, sei die Verkehrssituation, die Erschließung der U9 oder der BMW-Tunnel.

Frederik Ostermeier tritt für die Grünen als Direktkandidat im Wahlkreis München-Nord an. (Foto: Leonhard Simon)

Den Ausbau des Nahverkehrs hält auch der Grünen-Kandidat Frederik Ostermeier für „das große Thema des Münchner Nordens“. Bis zum Mittleren Ring sähen die U-Bahn-Stränge ja prima aus, „aber darüber hinaus gibt es große Lücken“. Die Bus-Anbindung sei dürftig, zu Fuß benötige man mitunter eine halbe Stunde bis zur nächsten U-Bahn-Station, was nachts und in dunklen Straßen kein Vergnügen sei. „Tramlinien zwischen den Strängen täten unheimlich gut“, glaubt er; ein Nordring für die S-Bahn würde helfen, die Umland-Gemeinden besser anzubinden. Bei der Förderung von Verkehrsprojekten und Mobilitätswende lasse der Bund die Kommunen aber schwer im Stich. „Wie will ich die Leute denn überzeugen, aufs Auto zu verzichten, wenn sie keine andere Möglichkeiten haben?“, fragt er.

Ostermeier sagt, er passe nicht ins typische Grünen-Profil. Seine Familie kommt aus dem Arbeitermilieu, in der Schule galt er als Ausländerkind, weil seine Mutter Tunesierin ist. „Man muss hart arbeiten, dann kann man auch was erreichen“, hat er gelernt: „Mit Fleiß, Anstrengung und Talent gehen viele Sachen.“ Der 35-Jährige hat ein Einser-Abi hingelegt, Management und Maschinenbau studiert, ein Doktoranden-Programm bei BMW durchlaufen, sich um Produktion und Logistik gekümmert. Um die BWM-Werke zu beliefern, hält er eine Schienen-Lösung für besser als einen Auto-Tunnel.

Bei der Kandidaten-Kür seiner Partei hat sich Ostermeier gegen die Stadtvorsitzende Svenja Jarchow durchgesetzt. An der Basis genießt er viel Rückhalt wegen seines Engagements. „Die Leute kennen mich“, sagt er, „jetzt sehen sie mein Gesicht halt auch auf den Plakaten.“ Dort wirbt er mit dem Slogan: Alltag erleichtern, Zukunft anpacken.

Unter Erleichterung des Alltags versteht er zum Beispiel, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel auf null zu setzen. „Wenn man arm ist, machen Lebensmittel sehr viel aus“, erklärt er: „Man gibt das Geld aus für Grundnahrungsmittel, nicht für High-End-Produkte.“ Nach der Scheidung seiner Eltern sei er in bescheidenden Verhältnissen aufgewachsen. „Armut ist etwas, das ich sehr gut kenne“, versichert er, „die typischen Alltagsprobleme eines Arbeiterlebens haben mich nie losgelassen.“

Der Staat müsse nicht alles regulieren, findet Ostermeier, aber er müsse Motor der Strukturpolitik sein: „Die Dinge passieren nicht von allein.“ Investitionen seien nötig, in Bahn, Schulen, Bundeswehr. Er hat beobachtet, dass es eine große Einigkeit gebe, dafür die Schuldenbremse zu lockern, die die Ampel-Koalition letztlich zum Stillstand gebracht hat: „Auch die Union merkt, dass sie Gestaltungsspielraum braucht.“

Philippa Sigl-Glöckner will den Wahlkreis München Nord für die SPD holen. (Foto: Robert Haas)

Beim Thema Schuldenbremse ist man genau richtig bei Philippa Sigl-Glöckner, auch sie eine Kandidatin, deren Profil untypisch ist für die Partei, die sie vertritt, in ihrem Fall die SPD. Die 34-Jährige hat an der Universität von Oxford studiert und dort nach der Finanzkrise von 2008 gelernt, dass eine neoliberale Wirtschaft nicht funktioniert und Märkte Regulierung und Gestaltung benötigen.

Nach Stationen bei der Weltbank in Washington sowie in den Finanzministerien von Liberia und Deutschland, hat die Ökonomin eine Denkfabrik gegründet, „Dezernat Zukunft“, die von einer amerikanischen Stiftung finanziert wird. „Es gibt in Deutschland wenig Orte, wo man sich ein halbes Jahr Zeit nehmen kann, um eine ordentliche, zahlenfundierte Analyse zu erstellen und Lösungsvorschläge für die Politik zu erarbeiten“, sagt sie.

Ein Ergebnis, zu dem sie gekommen ist: „In Deutschland stellen wir uns selbst ein Bein.“ Dem vom SPD-Bundeskanzler geschassten FDP-Finanzminister Christian Lindner wirft sie vor, mit der „strengstmöglichen Einhaltung der Schuldenbremse“ durchaus mögliche Kreditaufnahmen und damit auch dringend nötige Investitionen blockiert zu haben. In ihrer Denkfabrik hat sie nun für die Bundesrepublik bis 2030 einen Investitionsbedarf in Höhe von insgesamt 782 Milliarden Euro errechnet, 412 Milliarden müsste der Bund beisteuern. Die Rendite sei absehbar: „Wenn der Staat nicht spart, läuft die Wirtschaft besser und die Leute haben mehr Geld“, erklärt sie: „Das funktioniert nicht nur über den Mindestlohn.“

Philippa Sigl-Glöckner hat lange anderswo gelebt, in diesem Wahlkampf ist sie deshalb so etwas wie die große Unbekannte – obwohl sie einer eingesessenen Münchner Familie entstammt: Der Technikpionier Oskar von Miller ist einer ihrer Vorfahren. In den verbleibenden Wochen möchte sie sich nun den Wählern im Münchner Norden vorstellen, mit ihrem Team geht sie auf Haustür-Wahlkampf. „Wir erklären an der Haustür sicher nicht die Schuldenbremse“, sagt sie: „Da wollen die Leute das Gesicht sehen.“ Sie verspricht, „nicht mit vorgefertigten Antworten zu kommen“, sondern zuhören zu wollen. Dieses Gefühl hätten die Leute zuletzt nicht gehabt, hat sie festgestellt.

Weitere Erststimmenkandidaten in München-Nord: Daniel Föst (FDP); Christoph Rätscher (AfD); Christian Schwarzenberger (Die Linke); Linus Springer (Freie Wähler); Marco Heumann (Volt); Gerhard Hager (Bündnis Deutschland)

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusIllegale Habeck-Projektion auf Siegestor
:„Die völlig falsche Botschaft“

Der Münchner Designer Mirko Borsche hält die Aktion der Grünen, ohne Genehmigung ihren Kanzlerkandidaten auf ein Denkmal zu projizieren, für misslungen. Welches Wahlplakat ihm bislang als einziges aufgefallen ist.

Interview von Heiner Effern

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: