Bundestagswahl 2017:"Wer für bezahlbare Mieten steht, muss SPD wählen"

Bundestagswahl 2017: Claudia Tausend ist die Bundestagskandidatin der SPD für den Münchner Osten. Das Direktmandat zu gewinnen, dürfte ihr kaum gelingen, dafür ist die Ausgangsposition zu schlecht.

Claudia Tausend ist die Bundestagskandidatin der SPD für den Münchner Osten. Das Direktmandat zu gewinnen, dürfte ihr kaum gelingen, dafür ist die Ausgangsposition zu schlecht.

(Foto: Marion Hogl)

Claudia Tausend beschäftigte sich schon mit Wohnungsbau, als sie noch Kommunalpolitikerin war. Privat will die Bundestagskandidatin endlich mehr Zeit fürs Schafkopfen finden - und nach der Wahl heiraten.

Von Wolfgang Görl

So ganz zuwider, diesen Anschein erweckt sie zumindest, ist Claudia Tausend das Dasein einer Politikerin nicht. Das Pendeln zwischen München und Berlin, die ewigen Termine, die Sitzungen, das permanente Unter-Strom-Stehen - das hält sie gut aus. Aber eines kommt dabei zu kurz, ein Vergnügen, dem sie sich allzu gerne hingibt: Schafkopfen.

Mit einigen Genossen aus ihrem SPD-Ortsverein hat sie eine Schafkopfrunde im Vereinslokal des TSV Milbertshofen, blöd nur, dass ihr zum Karteln meist die Zeit fehlt. Nur zwei bis drei Mal im Jahr hat sie Gelegenheit zum Spielen, was die Qualität ihrer Schafkopf-Künste deutlich mindert: "Ich spiel' schlecht, ich müsste viel mehr üben."

Schafkopfen - das klingt sehr nach Bodenständigkeit, nach einer Frau, die tief im Regionalen verhaftet ist. Aber das täuscht. So einfach ist es nicht. Beinahe im selben Atemzug bekennt sie sich zur französischen Lebensart, zum Savoir-vivre. "Ich bin frankophil", sagt sie und erzählt, wie sie schon als Schülerin mit Hilfe einschlägiger Chansontexte und Filme Französisch gelernt hat, und wenn ihr tatsächlich mal Zeit bleibt, dann zieht es sie westwärts in ihr Lieblingsland. Und wer mit Claudia Tausend über Politik spricht, wird auch bald merken, dass sie weit mehr im Blick hat als das, was von der heimischen Kirchturmspitze aus zu sehen ist.

Tausend kann ad hoc und zudem fundiert über die Probleme der Globalisierung, über die EU und ihre Verwerfungen, über Wohnungsbau, soziale Gerechtigkeit, die schwierigen Bedingungen linker Politik und vieles mehr reden. Sie kennt sich aus, nur ist sie nicht unbedingt der Typ des Volkstribuns, der es versteht, komplizierte Vorgänge so zu vereinfachen, dass eine populäre Formel daraus wird. Das mag beim Stimmenfang ein Nachteil sein, andererseits gibt es viele Menschen, die genug haben von den großen Vereinfachern.

Claudia Tausend ist die Bundestagskandidatin der SPD für den Münchner Osten. Das Direktmandat zu gewinnen, dürfte ihr kaum gelingen, dafür ist die Ausgangsposition zu schlecht. Bei der Bundestagswahl 2013 kam sie auf 28,7 Prozent der Erststimmen, ihr härtester Konkurrent, Wolfgang Stefinger von der CSU, der auch in diesem Jahr wieder antritt, erreichte 44,6 Prozent. Gar nicht günstig für die SPD-Kandidatin ist zudem, dass sie sich im Münchner Osten auch noch mit der prominenten Grünen Margarete Bause herumschlagen muss.

Es liegt nahe, dass die beiden Frauen aus weitgehend dem selben Wählerpotenzial schöpfen und sich damit gegenseitig Stimmen abknöpfen - die beste Voraussetzung, dass keine gewinnt. Wenigstens kann Tausend mit guten Gründen hoffen, dass sie dennoch in den Bundestag einziehen wird. Als Zwölfte auf der SPD-Landesliste scheint sie bestens abgesichert zu sein. Bei der vergangenen Wahl kamen 22 bayerische Sozialdemokraten über die Landesliste in den Bundestag.

Ein Neuling in Berlin wird sie nicht sein. Tausend hat es auch 2013 geschafft, über die Liste in den Bundestag zu gelangen, wo sie einiges an politischen Ämtern zusammengeschaufelt hat. Sie sitzt im Ausschuss für Umwelt und Bau sowie im Ausschuss für Europäische Angelegenheiten, überdies ist sie wohnungspolitische Sprecherin der bayerischen SPD im Bundestag und stellvertretende Sprecherin ihrer Fraktion für Europafragen. Namentlich der Wohnungsbau liegt ihr besonders am Herzen, der soll auch in der kommenden Legislaturperiode den "absoluten Schwerpunkt" ihrer Arbeit ausmachen. "Wir haben nach wie vor eine Wohnraumlücke von einer Million in Deutschland, da gibt es ganz viel zu tun." Ihr zweites Hauptanliegen ist "ein fortschrittliches, soziales Europa".

Wohnungsbau, Stadtplanung und Stadtentwicklung waren auch schon die Themen, die Tausend beschäftigten, als sie noch Kommunalpolitikerin war. Von 1996 an saß sie 18 Jahre lang im Münchner Stadtrat, das ist in etwa die Zeit, in der ihr Genosse Christian Ude als Oberbürgermeister fungierte. Die Münchner SPD führt sie seit 2014 an, was einerseits eine schöne Aufgabe ist, weil man einen Oberbürgermeister aus den eigenen Reihen hinter sich hat. Andererseits ist es auchch schwierig, eben weil man einen OB aus den eigenen Reihen hinter sich hat. Münchner SPD-Oberbürgermeister, das lehrt die Erfahrung, vertrauen in erster Linie ihrem eigenen Kopf, und auf die Partei hören sie erst, wenn es gar nicht anders geht oder diese der selben Meinung ist.

Überhaupt die Münchner SPD: Wo steht die eigentlich? Traditionell, sagt Tausend, weiter links als die Genossen in anderen bayerischen Regionen. Das müsse sie auch, weil München nun mal eine Großstadt sei, deren Bürger mehrheitlich liberal und weltoffen gestimmt seien. Aber mit Linkssein allein, das weiß auch die Münchner SPD-Chefin, gewinnt man keine Wahlen. Wenn es die politische Vernunft erfordert, "agieren wir auch pragmatisch".

Was ihre Haltung betrifft, so ist sie zwar keine radikale Globalisierungsgegnerin, aber den Prozess der permanenten Deregulierung, der seit Jahrzehnten märchenhaften Reichtümer für einige wenige schafft, während viele andere um ihre Existenz bangen oder ins Elend rutschen, hält Tausend für fatal. "Man muss diesen Wettlauf nach unten durchbrechen." Etwas dagegen setzen: Mindestlöhne, Unternehmenssteuern und so weiter. Claudia Tausend hat da viele Vorschläge, und wenn man ihr zuhört, verstärkt sich der Eindruck, dass sie gerade in wirtschaftlichen Fragen sehr genau hinschaut und auf Details und systemimmanente Widersprüche achtet. Keine Luftschlösser bauen, aber dennoch die Welt besser und gerechter machen - vielleicht hat diese pragmatische Ethik ja etwas mit der Welt zu tun, der sie entstammt.

In München geht es vor allem um Wohnungsnot und Mieten

Claudia Tausends Heimat ist Niederbayern, ein Einödhof in der Nähe von Vilsbiburg, den die Eltern und auch schon die Großeltern im Nebenerwerb betrieben haben. Der Vater war Busfahrer, unter anderem fuhr er die BMW-Arbeiter, die in der Gegend lebten, frühmorgens ins Werk nach München. Sie selbst wurde 1964 in diese ländliche Welt hineingeboren, sie hatte, erzählt sie, eine "traumhafte Kindheit", da "brauchte man kein Spielzeug, da war der Bauernhof Abenteuerspielplatz genug". Mit elf Jahren ist sie ins Internat gekommen, ins staatliche Mädchen-Internat Seligenthal in Landshut, das von Zisterzienserinnen geleitet wurde. "Ich fand's aber nicht so streng."

Nebenher war sie im Trachtenverein, und sie spielte Hackbrett in der Geisenhauser Stubnmusi, was ihr Auftritte bei Hoagartn und Musikantentreffen bescherte. Auch eine Art der frühen politischen Bildung fand in ihrer Kindheit statt: Vor allem der Opa schaute unentwegt politische Fernsehsendungen, es war die Zeit, in der Willy Brandt Bundeskanzler war. Die Eltern machten ihr Kreuz bei der SPD, das war ein ungeschriebenes Gesetz: "Arbeiter und Nebenerwerbslandwirte wählen SPD, Großbauern CSU. Arbeiter fahren VW-Käfer, Großbauern Mercedes-Benz."

Dann, nach dem Abitur, Studium in München: Wirtschaftsgeografie, Politik und Agrarwissenschaft. Parteipolitisch hielt sie sich noch zurück, erst gegen Ende des Studiums trat Tausend der SPD bei. "Das war im Wahlkampf 1990, Oskar Lafontaine. Der sozialökologische Umbau der Industriegesellschaft war damals das Leitmotto - das fand ich spannend." Hätte sie nicht auch zu den Grünen gehen können? Nein, sagt sie, "die Grünen waren mir zu bewegt, ich dagegen setze lieber unterschiedliche Interessen ins Verhältnis und wäge ab". Vor allem aber sieht sie das für sie so wichtige Thema "soziale Gerechtigkeit" bei den Sozialdemokraten besser aufgehoben.

Offenbar war es Anfang der Neunzigjahre eher ungewöhnlich, dass ein junger Mensch in die SPD eintrat. Als Tausend seinerzeit mit der Beitragserklärung im Schwabinger Bürgerbüro des damaligen SPD-Landtagskandidaten Franz Maget erschien, sagte der diensthabende Genosse, ein älterer Herr: "Mein Fräulein, haben Sie sich das wirklich reiflich überlegt?"

Ja, das hatte sie. Weil ihr das Bild einer besseren Gesellschaft vorschwebt, die am ehesten mit der SPD zu verwirklichen sei. In dieser Gesellschaft sollte nicht nur Gerechtigkeit in allen Schattierungen herrschen, sondern auch Freiheit: "Jeder soll seinen Lebensentwurf so gestalten können, wie er das möchte - natürlich im Rahmen des Rechtsstaates."

Nun also der Wahlkampf, die Auftritte mit der Parteiprominenz, Flugblätter verteilen, Gespräche an den Infoständen. In München, sagte sie, geht es dabei vor allem um eines: Wohnungsnot, Mieten. Was sie den Wählern mitgibt, ist keine Überraschung: "Wer für bezahlbare Mieten steht, muss SPD wählen." Aber auch die Rente, so ihre Erfahrung, bewegt die Bürger außerordentlich, ebenso die Themen Schule und Kindergärten. Generell hat sie das Gefühl, die SPD komme, allen bundesweiten Prognosen zum Trotz, gut an in der Stadt: "Wir tun uns in München leichter, weil wir haben Dieter Reiter im Rathaus, als überzeugenden und wirklich beliebten OB."

Bei einem dieser Wahlkampftermine hatte Tausend die Bundesfamilienministerin Katarina Barley zu Gast, mit der sie über die Auer Jakobidult spazierte. Barley, in ein leichtes violettes Sommerkleidchen gehüllt, versprühte dabei so viel Charme, dass die von ihr besuchten Bavesen-, Schaschlik- und Baumstriezelhändler nun vermutlich SPD wählen - und hinterher zum Beichten gehen. Als der SPD-Tross schließlich das Kettenkarussell erreichte, war gar kein Halten mehr. Katarina Barley musste da mitfahren, und als sie in elfenhafter Pose glückstrahlend über den Mariahilfplatz kreiselte, sah sie aus wie ein verliebter Teenager.

Auch Tausend, im weißen Kleid ebenfalls sehr sommerlich unterwegs, hatte sich aufs Karussell gewagt, nur wurde sie mit jeder Runde blasser. Am Ende der Fahrt jubelte Barley: "Ich krieg das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht." Tausend hingegen seufzte: "Ich spür's schon im Bauch." Dabei hätte auch sie allen Grund gehabt, in den Barley'schen Freudentaumel zu verfallen: Wenn der Wahlkampf vorüber ist, heiratet die Münchner SPD-Vorsitzende. Einen Architekten. Es ist ihre erste Ehe. "Wenn man den Richtigen gefunden hat, mag man auch Nägel mit Köpfen machen."

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