Bundesgerichtshof:Die Mechanik des Wohnrechts

Ein Gautinger Arzt klagt gegen ein Flüchtlingsheim - und verliert in letzter Instanz

Von Wolfgang Janisch

Es war ein Konflikt, in dem es vermutlich für beide Seiten ums Geld ging. Ein Kardiologe aus Gauting wollte seinem Nachbarn untersagen lassen, in den Räumen neben seiner Arztpraxis ein Flüchtlingsheim einzurichten. Der Mediziner mutmaßte, dort sollten bis zu 120 Menschen "hineingepfercht" werden - und nicht, wie behauptet, nur 34 unbegleitete Minderjährige. Der Geschäftsführer der Grundstücksgesellschaft, die das Heim einrichten möchte, unterstellt dem Arzt seinerseits bloße Profitinteressen: Er wolle die inzwischen leer stehende Praxis nur möglichst teuer verkaufen. Nun hat der Bundesgerichtshof in letzter Instanz entschieden: Das Flüchtlingsheim ist zulässig - der Arzt muss die unwillkommenen Nachbarn hinnehmen.

Der BGH korrigierte damit die bayerische Justiz, die es der Immobilienfirma noch untersagt hatte, in ihren Räumen eine Unterkunft zu betreiben - für "Arbeiter, Asylbewerber, Flüchtlinge oder sonstige in den Raum München Zugezogene oder Gestrandete", so lautete die eigenwillige Formulierung des Amtsgerichts Starnberg. Das Karlsruher Urteil hat freilich nichts damit zu tun, dass der BGH ein besonders großes Herz für Flüchtlinge hätte, sondern mit der Mechanik des Wohnungseigentumsrechts. Denn die Räume, vor hundert Jahren einst als Kinderheim konzipiert, waren in den 70er Jahren in zwei Einheiten getrennt worden und zwar als Teileigentum. Teileigentum bedeutet: Die Räume dienen "nicht zu Wohnzwecken". Damals befand sich neben der Arztpraxis bereits ein Altenpflegeheim.

Weil die damalige Teilungserklärung entscheidend für alle künftigen Nutzungsmöglichkeiten ist, musste der BGH also die Frage klären, ob Flüchtlinge in solchen Heimen "wohnen" oder nicht. Anders ausgedrückt: Wann handelt es sich um ein echtes "Heim" und wann nur um eine "Unterkunft"? So merkwürdig das klingen mag, das Problem dahinter ist aber für Eigentümer entscheidend, weil das Wohnungseigentumsrecht nur zwei Kategorien kennt: Entweder die Räume dienen zu Wohnzwecken oder eben nicht - dann sind sie für alles andere nutzbar. Das Urteil hat deshalb sehr grundsätzliche Bedeutung, nicht nur für Flüchtlinge, sei es für altengerechte Wohnformen oder sozialpädagogische Wohngruppen für Jugendliche.

Die Vereinbarungen einer Teilungserklärung zeigen recht klar, was geht und was nicht

Entscheidend ist laut BGH folgendes: Wenn die Räume von vielen Menschen bewohnt werden, wenn der Alltag durch eine heimtypische Organisationsstruktur geprägt ist, wenn dort Pflegeleistungen oder Kontrollmaßnahmen notwendig sind - dann spricht das eindeutig für ein Heim. Das gilt etwa bei großer Fluktuation vieler Personen, weil dann Betten zugewiesen, Verhaltensregeln aufgestellt und Konflikte geschlichtet werden müssen. Werden Flüchtlinge dagegen einfach nur in einer normalen Wohnung untergebracht - oder Senioren im betreuten Wohnen -, dann ist das eben kein Heim, sondern eine Wohnnutzung.

Aus den Vereinbarungen einer Teilungserklärung lässt sich damit relativ klar erkennen, was geht und was nicht. Dort können die Eigentümer zwar durchaus weitere Einschränkungen vereinbaren, etwa, dass nur ein Altenpflegeheim, nicht aber ein Flüchtlingsheim erlaubt sein soll. Das war aber hier nicht der Fall, so dass Heimnutzungen aller Art erlaubt sind. Grundsätzlich gilt das natürlich auch umgekehrt: In Räumen, die nur Wohnzwecken dienen, darf kein Flüchtlingsheim installiert werden.

Letztlich ist es also eine eher juristische Angelegenheit. Aber die Sorgen des Kardiologen, seine Praxis werden künftig neben einem hoffnungslos überbelegten Heim liegen, versuchte der BGH doch noch zu beschwichtigen. Ob die konkrete Ausgestaltung des Heims, "etwa im Hinblick auf die Zahl der unterzubringenden Personen, unzulässig sein kann" - diese Frage habe der BGH nicht beantwortet. Dafür sind dann die Behörden zuständig.

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