Bundesfreiwilligendienst:Ein Jahr, ich will

Reißverschlüsse, Rollstühle und Fußballergebnisse: Der 20-jährige Johannes aus München macht wie viele Jugendliche ein "Freiwilliges Soziales Jahr". Zu den Behinderten hat er eine Freundschaft entwickelt.

Elena Berchermeier

Johannes sitzt in der Hocke vor dem Rollstuhl von Tom (Name geändert) und schaut ihm in die Augen. "Na, wie hat Bayern am Wochenende gespielt?", fragt der 20-Jährige und wartet geduldig auf die Antwort. Es kommt ein unverständliches Stöhnen und Johannes erwidert: "Drei zu null?" Kopfschütteln. "Zwei zu null?" Nicken. "Hast du Lust mit mir und Sabine (Name geändert) ins Café zu gehen?" Wieder ein Nicken.

Tom schiebt den Rollstuhl ein Stück vom Bett weg und möchte den Reißverschluss der Jacke zumachen. Beim zweiten Versuch reißt der Griff ab und beide lachen. "Tom, ich glaube du hast zugenommen. Die Jacke geht ja gar nicht mehr zu." Solche Scherze, würden die beiden immer machen, erklärt Johannes, der gerade sein Freiwilliges Soziales Jahr in München macht. Gelassen nimmt er eine andere Jacke vom Kleiderschrank, zieht sie Tom an und macht sich mit den beiden Rollstuhlfahrern auf den Weg.

Mit zwölf Jahren ist Tom mit seinen Freunden auf einen Felsen geklettert und runtergefallen. Seitdem leidet er an einem Schädelhirntrauma. Heute weiß er, es war eine große Dummheit, die durch nichts mehr rückgängig gemacht werden kann. Oft fragt er Johannes, ob es ein Fehler gewesen sei. Durch die Pfennigparade wird ihm ein Leben gewährleistet, das so normal wie möglich sein soll.

Das spezielle Förderprogramm Reversy bietet ein Wohnangebot für Schädelhirnverletzte an. Hier haben sie trotz ihrer Sprachstörungen, Halbseitenlähmung oder Sinneseinschränkung eine externe Tagesstruktur. Das heißt die Betroffenen arbeiten tagsüber zum Beispiel in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Sie erhalten immer wieder Unterstützung von Mitarbeitern oder Jugendlichen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr machen. Ihre Freizeit verbringen die Bewohner in der Wohngruppe, gehen selbstständig einkaufen oder ins Café.

Das Café Ludwig liegt nur einige Meter von der Pfennigparade entfernt. Hier kehren täglich viele Bewohner der Pfennigparade ein. Johannes bestellt einen Cappuccino. Sabine eine heiße Schokolade mit Sahne. Und Tom eine Tasse Kaffee und ein Stück Schokokuchen. "Tom muss sehr aufpassen beim Essen. Er kann sich leicht verschlucken und daran ersticken. Das weiß er. Und trotzdem schlingt er immer so."

Johannes ist einer der zahlreichen Jugendlichen, die sich dafür entschieden haben, ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. Seit Juli 2011 gibt es allerdings Konkurrenz für diesen sozialen Dienstzweig - der Bundesfreiwilligendienst wurde eingeführt. Auf einen kurzen, unerwarteten Tiefstand der sogenannten "Bufdis", folgte ein Boom. Ende 2011 war klar, der BFD ist mindestens genauso beliebt wie das FSJ. Der Unterschied zwischen den beiden Diensten ist gering. Jeder ab 16 Jahren kann Bundesfreiwilligendienstler werden.

Bereits nach wenigen Wochen ist Johannes mit allen Bewohnern vertraut und hat sich eingelebt. "Anfangs war es komisch, aber jetzt macht es richtig Spaß. Es ist zwar eine sehr ernste Arbeit, doch der Umgang ist ziemlich locker." Johannes darf überall mal über die Schulter kucken. Pflege, Kochen, Waschen. Der Aufgabenbereich ist sehr vielseitig. Nur für medizinische Angelegenheiten sind einzig die Betreuer verantwortlich. Ansonsten sind die jährlich wechselnden Freiwilligendienstler eine große Hilfe und Entlastung.

"Man kann sagen, es ist schon eine Art von Freundschaft." Eigentlich versteht Johannes sich mit allen Bewohnern, doch mit einigen ist er sogar beim "Du". Jeden Tag hilft er ihnen, isst mit ihnen oder hat einfach ein offenes Ohr. "Manchmal weiß ich schon vorher, was sie mich fragen." Er nimmt sich für jeden Einzelnen hier viel Zeit. Im Großen und Ganzen macht dem 20-Jährigen die Arbeit sehr Spaß. Trotzdem ist es ein geringes Taschengeld für jede Menge Arbeit. 330 Euro bekommt Johannes auf die Hand. "Eigentlich reicht es schon. Die eigentliche Entlohnung liegt ja in der Dankbarkeit."

Wahrscheinlich wäre solch eine Einrichtung mit Förderprogramm ohne engagierte Jugendliche wie Johannes mittlerweile nicht mehr denkbar. Doch an einen plötzlichen Verlust ist gar nicht zu denken. Derzeit sind mehr als 29.000 "Bufdis" unter Vertrag. Bis zum Sommer sollen es mehr als doppelt so viele Bewerber wie bisher werden. Und hier liegt die Problematik: Es waren bisher nur 35.000 Plätze vorgesehen.

In der Pfennigparade sind zurzeit zwei im Freiwilligen Sozialen Jahr. Ob es im nächsten Jahr mehr werden ist noch ungewiss. Für Johannes ist jedoch sicher, er wird das Jahr hier zu Ende machen, schließlich wird er gebraucht. Und schon macht er sich wieder an die Arbeit und räumt das Geschirr vom Esstisch. Sorgfältig sortiert er es in die Spülmaschine und macht die Klappe zu, denn die nächste Aufgabe wartet bereits.

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