Kleingärtner, die für die Reparatur einiger Latten am Zaun ihrer Anlage erst die Einrichtung einer Baustelle beantragen müssen. Nachbarn, die für ihr Straßenfest in einem kleinen Seitenweg mit nur wenigen Häusern öffentliche Toiletten bereitstellen sollen. Handwerker, die am Wochenende zu kontrollieren haben, ob die Leuchten an einer Baustellen-Absicherung auch wirklich leuchten.
Als am Mittwoch in der Vollversammlung des Stadtrats eine von CSU und Freien Wählern beantragte Aktuelle Stunde zum Thema Bürokratieabbau aufgerufen wurde, hatten alle Redner Beispiele parat für fragwürdige Verwaltungsauflagen. „Es gibt keine Münchnerin, keinen Münchner, der nicht davon betroffen ist, dass die Bürokratie ins Leben eingreift“, resümierte ÖDP-Sprecher Tobias Ruff. Bürokratieabbau sei daher „ein großes Thema“, fand er; nur der Anlass, den die CSU/FW-Fraktion gewählt habe, entspreche dem nicht ganz.
CSU-Stadtrat Alexander Reissl hatte die Aktuelle Stunde begründet mit der seiner Meinung nach unverhältnismäßigen Verfolgung von Geschwindigkeitsüberschreitungen von Rettungsfahrzeugen. Oder, wie es Richard Progl (Bayernpartei) im weiteren Verlauf der Aussprache vermutete: „Der Kollege Luther wurde geblitzt und hat sich dann darüber geärgert.“ CSU-Stadtrat Jens Luther, einer der Initiatoren der Debatte, ist tatsächlich ausgebildeter Rettungssanitäter und als solcher auch mal mit Blaulicht unterwegs.
Weil man bei Geschwindigkeitskontrollen auf den grobkörnigen Schwarz-Weiß-Fotos der Menschen am Lenkrad das Blaulicht auf dem Dach ja nicht sieht, müssen entsprechende Anzeigen vom Kreisverwaltungsreferat (KVR) überprüft werden: Auf eine Anfrage hin erklärte das Referat kürzlich, dass in 95 Prozent der Fälle die geblitzten Rettungswagen tatsächlich im Einsatz waren und nur fünf Prozent als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden.
Bei den zwei, drei Fällen im Monat, um die es sich dabei handelt, lohne die Mühe der Nachfragen bei Feuerwehr und Sanitätsdiensten nicht, so Reissl: Der Aufwand koste mehr als durch die verhängten Strafen wieder eingenommen werde. Angesichts dessen stelle sich ihm die grundsätzliche Frage: „Was brauchen wir wirklich an Vorschriften, und worauf können wir verzichten?“
SPD-Fraktionschef Christian Köning warnte anschließend vor den Hoffnungen, die mit dem Versprechen einer Entbürokratisierung geweckt würden: Wenn danach nichts passiere, führe das zum Vertrauensverlust der Bürger in staatliche Institutionen: „Wir stehen da jenseits allen parteipolitischen Gezänks in der Verantwortung.“
Der Ärger, der bei den Bürgern ankomme, könne demokratiegefährdend sein, stimmte sein ÖDP-Pendant Ruff zu: „Das Gefühl, dass die Politik eh nichts bewirkt und die Bürger mit ihren Anliegen nicht durchdringen, ist leider weitverbreitet. Es führt dazu, dass sie sich den politischen Rändern zuwenden.“
Als eine Ursache der Bürokratisierung sah der Stadtrat Progl „Ängste innerhalb der Verwaltung: Die Leute haben panische Angst davor, einen Fehler zu machen und dann an irgendetwas schuld zu sein.“ Progl forderte deshalb eine bessere Fehlerkultur bei der Stadt: Die müsse „Angstzustände abbauen, ansonsten wird der Bürokratie-Abbau nicht funktionieren“.
Nachdem Marie Burneleit (Die Partei) die CSU-Fraktion an höchst bürokratische Anträge erinnert hatte, alle Bäume, alle Bänke, alle Mülleimer in der Stadt zu zählen, erlebte das Plenum einen der seltenen Momente, in denen der Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) eine Anregung von Burneleit teilte: nämlich, dass sich die Fraktionen auch selbstkritisch hinterfragen, welchen bürokratischen Aufwand sie mit Anträgen auslösen.
„Ich wäre Ihnen extrem dankbar, wenn Sie mir Ihre Verbesserungsvorschläge einfach schreiben und nicht immer einen Antrag stellen“, stellte Reiter einen persönlichen Beitrag zum Bürokratie-Abbau im Rathaus in Aussicht: „Ich verspreche, ich kümmere mich darum – und zwar schneller als die Verwaltung, die noch 291 Alt-Anträge abzuarbeiten hat.“