Bürgerversammlung:Rüffel für die Röhre

Eine Mehrheit in der Bürgerversammlung Neuhausen-Nymphenburg spricht sich erstmals seit Jahren gegen einen Tunnel unter der Landshuter Allee aus. Das Geld solle man lieber in den öffentlichen Nahverkehr stecken

Von Sonja Niesmann, Neuhausen/Nymphenburg

Ein Votum gegen, nicht für einen neuen Tunnel an der Landshuter Allee - das hat es seit Jahren auf einer Neuhauser Bürgerversammlung nicht gegeben. Möglicherweise wähnen sich die Tunnel-Befürworter auf der sicheren Seite, seit die Stadt diesem Projekt erste Priorität unter weiteren Untertunnelungen am Mittleren Ring eingeräumt hat und das Baureferat an den Vorplanungen arbeitet. Doch am Donnerstagabend stimmten die zur Bürgerversammlung erschienenen Neuhauser mit sehr deutlicher Mehrheit einem Antrag zu, die Planungen für diesen Tunnel einzustellen und das Geld - geschätzte Kosten bisher: 537 Millionen Euro - stattdessen in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, vor allem in die Tram, zu stecken.

Zur Beschleunigung des Verkehrs werde der Tunnel ohnehin nicht beitragen, heißt es zur Begründung. Er verspreche zwar Entlastung von Lärm und Abgasen für etwa 70 Prozent der Anwohner. "Aber mit etwa sechs Jahren Bauzeit und dann steigenden Mieten werden die Anwohner einen hohen Preis zahlen müssen." Vor allem aber leiste ein Tunnel keinen Beitrag zum Klimaschutz, da helfe nur: "mehr zu Fuß gehen, mehr radeln, mehr Bus fahren". Es dürfe doch nicht sein, schloss die Antragstellerin, dass der Slogan eines Autokonzerns ,gebaut, um den Atem zu rauben' wahr werde.

Verkehr auf der Donnersbergerbrücke in München, 2014

Stillstand auf der Donnersbergerbrücke: Längst laufen bei der Stadtverwaltung die Vorplanungen für eine Untertunnelung der Landshuter Allee.

(Foto: Florian Peljak)

Die passionierten Autofahrer schienen zu Hause geblieben zu sein, denn Anliegen zu anderen, umweltfreundlichen Fortbewegungsarten dominierten den Abend. So gingen die Forderungen nach einem MVV-Jahresticket für 365 Euro, einem kostenlosen Sozialticket sowie einem kostenlosen Ticket für Schüler und Azubis mit deutlicher Mehrheit durch - obwohl MVG-Vertreter Ulf Ball da überhaupt keine Chancen sah: "Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben, und wir stecken das Geld in den Ausbau und die Modernisierung", sagte er. Auch diverse Anträge zur Verbesserung der Situation für Radfahrer fanden große Zustimmung, zum Beispiel: breite Radstreifen auf der Nymphenburger Straße, "auch zu Lasten von Parkplätzen oder Fahrspuren", wie explizit ausgeführt wurde - ein Anliegen, das der Bezirksausschuss schon ähnlich an die Stadt herangetragen hat. Ferner wurde gefordert: eine rote Einfärbung der Radwege an der Leonrodstraße zwischen Albrechtstraße und Platz der Freiheit, um mehr Sicherheit für Radler zu schaffen; mehr Abstellplätze für Räder, etwa vor Kreuzungen, wo parkende Autos ohnehin Abstand halten müssen. Der Vorstoß, eine weitere Brücke über den Schlosskanal nur für Radler und Fußgänger in Höhe der Hubertusstraße zu errichten, wurde abgelehnt.

In die Pro-Fahrrad-Stimmung grätschte nur Hans Wagner, der Jahr um Jahr in der Neuhauser Bürgerversammlung, die fünf Minuten Redezeit überschreitend, seine Philippika vorträgt gegen die "Radl-Rowdys", die sich an keine Verkehrsregeln hielten. Seine Anträge auf eine Kennzeichnungspflicht für Fahrräder, ebenso wie auf Schrittgeschwindigkeit für auf Gehwegen radelnde Kinder und ihre Eltern fanden aber, recht deutlich, keine Mehrheit.

Während Wortmeldungen zu einem Aufregerthema der vergangenen zwei Jahre, dem neuen Biotopia-Naturkundemuseum am Nymphenburger Schloss, diesmal ausblieben, rückte ein neues Großvorhaben in den Fokus: die Paketposthalle an der Friedenheimer Brücke. Der Investor Ralf Büschl, der die Halle der Post abgekauft hat, will dort ein urbanes Quartier entwickeln. Er befürchte, dass "viele Büros, teure Wohnungen und Hotels" entstehen, erklärte ein Bürger und beantragte, die Stadt solle den Investor "so lange ausbremsen, bis ein Ergebnis im Sinne der Bevölkerung vorliegt".

Die Paketposthalle nahe der Friedenheimer Brücke in München am 12.11.2018.

Anstehendes Großprojekt: Der geplante Umbau der Paketposthalle durch einen Investor rückt nun in den Fokus der Bürgerschaft.

(Foto: Florian Peljak)

Die Mehrheit überzeugte das allerdings nicht, anders als der Antrag eines Rechtsanwalts, der GBW-Mieter im Viertel vertritt, die seit dem Verkauf der einst geförderten Wohnungen mit teils drastischen Mietsteigerungen konfrontiert sind. Er forderte, die Stadt solle sich, mit Unterstützung des Freistaats, um einen Rückkauf der Wohnungen bemühen oder einen Entschädigungsfonds für die Mieter einrichten. Nahezu alle Hände hoben sich auch für den Antrag, die Stelen am Platz der Freiheit zum Gedenken an Menschen, die in der NS-Zeit Widerstand leisteten, sollten nicht, wie vorgesehen, 2019 entfernt werden.

Von anfangs knapp 300 Besuchern der Versammlung waren zur Abstimmungsrunde gerade noch 100 da; befeuert wurde diese jedes Jahr zu beobachtende Abwanderung sicher noch durch die Kälte in der Turnhalle des Adolf-Weber-Gymnasiums. Die meisten saßen in ihre Mäntel gehüllt, Schals und Kragen bis zum Kinn hochgezogen. FDP-Stadtrat Michael Mattar, der die Versammlung leitete, formulierte einen Appell an die Stadt: "Bitte nur beheizte Versammlungsräume."

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