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Bürgerentscheid zur dritten Startbahn:Umweltzerstörer! Nein, Impulsgeber!

Lesezeit: 6 min

Braucht München die dritte Startbahn wirklich? Ist Fluglärm gesundheitsschädlich? Wird durch den Bau die Natur zerstört? Werden die Treibhausgase erhöht? Und wer zahlt das Ganze überhaupt? Vor dem Bürgerentscheid am Sonntag: Hier sind die Argumente der Befürworter und Gegner.

Marco Völklein

Am Sonntag stimmen die Münchner über die dritte Startbahn ab. Die SZ hat die Argumente der Befürworter und Gegner zusammengetragen.

Der Bedarf: Pro

Schon jetzt gebe es "zu viele Staus am Boden und in der Luft", beklagt Flughafenchef Michael Kerkloh. Immer wieder müsse man Anfragen von Airlines ablehnen - weil in den Verkehrsspitzen keine An- und Abflugzeiten mehr frei seien. Allenfalls frühmorgens und spätabends sei noch was zu haben - da wolle aber keiner fliegen. Außerdem werde der Luftverkehr in Zukunft wachsen: 2011 zählte der Flughafen knapp 38 Millionen Passagiere, für 2025 rechnet Kerkloh mit 58,2 Millionen Fluggästen und 590.000 Flugbewegungen - vorausgesetzt, die dritte Startbahn wird gebaut. Vor allem in China, Süd- und Mittelamerika werde die Nachfrage wachsen, sagt Lufthansa-Manager Thomas Klühr. Die derzeitige Krise der Luftfahrt sei allenfalls eine Delle. Kommt die dritte Bahn, werde die Lufthansa die Zahl ihrer Langstrecken-Jets in München von 25 auf 35 erhöhen. Kommt sie nicht, würden eben andere Airports wie Wien oder Brüssel wachsen.

Der Bedarf: Contra

Für Katharina Schulze, Chefin der Münchner Grünen, ist die Behauptung des Flughafens, man operiere jetzt bereits an der Kapazitätsgrenze, eine Mär. Die Zahl der Starts und Landungen lag in den Jahren 2008 und 2009 bei 432.000. Bis 2010 ging der Wert auf 390.000 zurück. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl zwar wieder auf 410.000 - dennoch sei da "noch viel Luft nach oben", sagt der Landtagsabgeordnete Christian Magerl (Grüne). Zudem hätten die Gutachter des Flughafens ihre Prognosen generell zu optimistisch angelegt, argumentieren die Ausbaugegner: Der steigende Ölpreis werde auf lange Sicht den Luftverkehr eher schrumpfen als wachsen lassen, die derzeitige Krise der Luftfahrtbranche sei das erste Anzeichen einer solchen Entwicklung. So will allein die Lufthansa weltweit 3500 Stellen abbauen. Zudem habe der Airport in der Vergangenheit schon mehrfach mit seinen Prognosen danebengelegen, sagt Magerl.

Das Drehkreuz: Pro

Der Großraum München hat - selbst wenn man gesamt Südbayern dazuzählt - nicht genügend Einwohner, um mehr als 240 Direktverbindungen in alle Welt anbieten zu können. Man brauche die Umsteiger, um die großen Jets für die Langstreckenverbindungen überhaupt füllen zu können, sagt Lufthansa-Manager Thomas Klühr. So säßen in einer Maschine mit mehr als 300 Passagieren von München nach Shanghai im Schnitt nur 95 Münchner, der Rest komme aus Paris, Florenz, Rom, Manchester und Chicago. Ohne die Umsteiger "wäre ein solcher Direktflug wirtschaftlich nicht darstellbar", so Klühr - er würde also gar nicht angeboten. Die Direktflüge seien wichtig, um München als Wirtschaftsstandort attraktiv zu machen, sagt Flughafenchef Michael Kerkloh: Erst seitdem es vom Erdinger Moos aus mehrere Direktflüge nach Indien gebe, hätten sich auch indische Firmen in München angesiedelt.

Das Drehkreuz: Contra

Im Jahr 1995 betrug der Anteil der Umsteiger am gesamten Passagieraufkommen am Münchner Flughafen nur 15 Prozent, mittlerweile liegt der Wert laut Flughafen bei etwa 40 Prozent. Das Ziel der Betreibergesellschaft ist es, diesen Anteil in den kommenden Jahren auf 47 Prozent zu steigern. Die Gegner des Flughafenausbaus sehen darin keinen Nutzen für die Region, der die zusätzlichen Belastungen etwa durch Lärm und Dreck ausgleichen würde. "München hat von diesen Umsteigern gar nichts", sagt der grüne Landtagsabgeordnete Christian Magerl. Für die hiesigen Fluggäste, die in den Urlaub oder zu einem Geschäftstermin jetten wollen, seien die beiden bestehenden Start- und Landebahnen völlig ausreichend. Auch Christine Margraf vom Bund Naturschutz sieht in dem Ziel, die Umsteigerquote langfristig weiter steigern zu wollen, "eine falsche Wachstumspolitik".

Die Arbeitsplätze: Pro

Seit 1992 wuchs die Zahl der Jobs am Airport von 12.000 auf 30.000. So soll es weitergehen, verspricht Flughafenchef Michael Kerkloh: Durch den Bau der Startbahn würden bis 2025 auf dem Airport-Areal 11.000 neue Stellen geschaffen, im Flughafen-Umland noch einmal etwa genauso viele. Nicht konkret mit Zahlen zu benennen seien weitere Jobs, die im Tourismus entstünden, sagt IHK-Vizepräsidentin Kathrin Wickenhäuser. Zudem hätten sich viele Firmen "auch wegen der guten Fluganbindung" in München niedergelassen, erklärt IG-Metall-Chef Horst Lischka - zuletzt eine Gemeinschaftsfirma von BMW und Peugeot mit 400 Beschäftigten sowie die fusionierte Zentrale von MAN und Scania. "Ein Verzicht auf den Flughafenausbau würde auch einen Verzicht Bayerns auf Chancen für Wirtschaftswachstum, Unternehmensansiedlungen und Arbeitsplätze bedeuten", so Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP).

Die Arbeitsplätze: Contra

Einen Zusammenhang zwischen dem Bestehen des Flughafens im Erdinger Moos und den guten Wirtschaftsdaten des Großraums gibt es eigentlich gar nicht, behauptet der Grünen-Abgeordnete Christian Magerl. Ein Wissenschaftler aus Chemnitz sowie ein Forschungsinstitut aus den Niederlanden hatten in Magerls Auftrag die Prognose-Gutachten des Flughafens überprüft - und waren zu dem Ergebnis gekommen, dass es "keinerlei Beweise" dafür gebe, dass der Airport "als Impulsgeber in der Metropolregion" wirkt. Vielmehr hätten die Gutachter des Flughafens bestimmte negative Einflüsse und einige Kostenblöcke in ihren Prognosen gar nicht berücksichtigt oder aber zum Beispiel die künftige Entwicklung der Treibstoffkosten und damit die der Ticketpreise zu niedrig angesetzt. "Flughäfen schaffen netto keine Arbeitsplätze, sie verdrängen nur andere", sagt der Chemnitzer Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen.

Der Lärm: Pro

Besonders stark betroffen ist der Freisinger Stadtteil Attaching, der direkt in der Einflugschneise liegt. 100 Häuser werden nicht mehr bewohnbar sein - für sie muss der Flughafen eine Ablöse zahlen, die sich am Marktwert von 2007 orientiert. Weil die Planungen aber seit 2005 bekannt sind, beklagen die Betroffenen Wertverluste. Hinzu kommt: Wer kein Kaufangebot vom Airport bekommt, muss bleiben und befürchtet nun, dass künftig bis zu 500 Maschinen täglich in 50 bis 80 Meter Höhe über die Dächer düsen werden. Der Fußballplatz des Ortes sei nicht mehr nutzbar, im Kindergarten dürften sich Kinder nur noch drinnen aufhalten. Auch im Landkreis Erding sowie in der Stadt Freising (die nördlich an Attaching anschließt) befürchten die Menschen zusätzliche Belastungen durch Lärm, Dreck und Abgase. Von "bedingt vorsätzlicher Körperverletzung" spricht daher Hartmut Binner vom Aktionsbündnis "Aufgemuckt".

Der Lärm: Contra

"Natürlich gibt es Betroffenheiten", sagt Flughafenchef Michael Kerkloh. In Attaching und in der 2500-Einwohner-Gemeinde Berglern nördlich von Erding werde der Lärm zunehmen. Es werde aber nicht so sein, dass 500 Flugzeuge am Tag über Attaching fliegen werden. Mit den dort Betroffenen werde man "sehr, sehr sorgfältig und großzügig umgehen und individuelle Lösungen finden", verspricht der Flughafenchef - also den Einbau von Lärmschutzfenstern oder den Ankauf von Häusern und Grundstücken. "Das braucht aber Zeit." Zudem arbeite man mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) daran, das Abflugverfahren zu modifizieren, um so zu verhindern, dass die Jets beim Abheben nach Westen direkt über die Freisinger Altstadt düsen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, da die DFS dabei internationale Vorgaben zu beachten hat. Das räumt auch Kerkloh ein, ist aber dennoch "zuversichtlich, dass das klappt".

Die Natur: Pro

Für die vier Kilometer lange Betonpiste, die Rollwege, die neue Feuerwache sowie das neue Mini-Terminal für Privat- und Geschäftsflieger wird eine Fläche von 870 Hektar verbraucht; versiegelt, also zubetoniert, werden 340 Hektar davon - das entspricht in etwa dem New Yorker Central Park. "Nicht der Flughafen, die Natur im Erdinger Moos ist an der Belastungsgrenze", sagt Christine Margraf vom Bund Naturschutz. Der "massive Eingriff" sei "durch keine Maßnahmen irgendwie auszugleichen". Man könne bedrohte Arten nicht einfach so umsiedeln. Mit der dritten Startbahn werde der letzte Rest der einstigen Mooslandschaft vernichtet, ein von der EU in der höchsten Kategorie eingestuftes Vogelschutzgebiet zerstört. Zumal der Flughafen mit einer Ausdehnung der Betriebsflächen auch das Grundwasser in einem weiteren Umfeld absenken müsse - auch dadurch werde das Niedermoor zerstört.

Die Natur: Contra

Ausgewiesen wurde das Vogelschutzgebiet im Erdinger Moos durch die EU erst im Jahr 2008 - also erst lange nach Inbetriebnahme des Flughafens. Ohne die weiten Flughafenflächen, auf denen sich zum Beispiel bedrohte Wiesenbrüter niederlassen können, gebe es das Schutzgebiet gar nicht, sagt Airport-Chef Michael Kerkloh. Daher werde man beim Bau der dritten Startbahn die Wiesen, die innerhalb des Flughafenzauns liegen, auch so anlegen und pflegen, dass "sie den Ansprüchen der geschützten Vogelarten dauerhaft genügen". Außerdem habe die Genehmigungsbehörde den Airport zu "Kompensationsmaßnahmen" auf 908 Hektar Fläche verpflichtet - also mehr als die verbrauchte Fläche. Man werde viel Geld und Engagement aufwenden, um den Eingriff in die Natur abzumildern: Etwa die Hälfte der Baukosten von geschätzt 1,2 Milliarden Euro gingen für solche Ausgleichsmaßnahmen drauf.

Das Wachstum: Pro

Hohe Mieten, überlastete Verkehrswege und zu wenige freie Plätze in Kinderkrippen und -gärten - mehr Wachstum am Flughafen und damit ein weiterer Zuzug von Arbeitnehmern "würde uns infrastrukturell überfordern", sagt Freisings Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher. Ähnliche Belastungen sieht der Abgeordnete Michael Piazolo (Freie Wähler) auf München zukommen, wo der Mietmarkt ebenfalls überhitzt und die Nachfrage nach Kinderbetreuung immens ist. Hinzu kommt, dass viele Kommunen im Airport-Umland Schulden angehäuft haben, um die Lasten zu schultern. Und durch die Ausbaupläne sehen sie sich in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt: So stellt sich die Stadt Freising auch gegen die Startbahn, weil sie ein ursprünglich als Wohngebiet geplantes Areal in ein Gewerbegebiet umwandeln musste - wegen der zu erwartenden Lärmbelastung wären die Grundstücke unverkäuflich gewesen.

Das Wachstum: Contra

Die Probleme im Airport-Umland sieht auch Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) - und verspricht Abhilfe. Er versicherte, die Verbesserung der Straßen- und Schienenanbindung werde angepackt, bevor man mit dem Startbahnbau loslege. Innen- und Verkehrsminister tüfteln nun an Lösungen für neue Straßen und den "Erdinger Ringschluss", der die Bahnanbindung verbessern soll. Zudem hat der Flughafen 100 Millionen Euro in einem "Umlandfonds" bereitgestellt, damit die Anrainerkommunen ihre Infrastruktur ausbauen können. Einen generellen "Wachstumsstopp" lehnen die Befürworter aber ab: Langfristig schade das dem Wirtschaftsstandort, er werde abgekoppelt von der weltweiten Dynamik, sagt Horst Lischka (IG Metall). Außerdem verzeichne die Metallindustrie pro Jahr einen Produktivitätszuwachs von fünf bis acht Prozent. Gleiche man den nicht durch Wachstum aus, "sind wir in einigen Jahren alle arbeitslos".

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Quelle:
SZ vom 13.06.2012
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