Bürgerbüros:Verwaltung des Mangels

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Wer vor den Ferien einen gültigen Ausweis besorgen will, der braucht derzeit viel Geduld. Software-Probleme und Personalmangel legen die Bürgerbüros immer wieder lahm. Stundenlange Wartezeiten sind inzwischen normal

Von Andreas Glas, München

Es gibt einen Ort im Kreisverwaltungsreferat (KVR), da könnte es zurzeit nicht besser laufen. Durch die Glastüren, hinein ins Foyer, vorbei an den Security-Männern, dann geht es links hinein in die Pizzeria Karas. Am Tresen lehnt Angelina Kerkelova, neben ihr in der Vitrine: gefüllte Pizza-Dreiecke und Tramezzini. "Was den Umsatz angeht", sagt die Pächterin, seien die langen Wartezeiten im KVR natürlich bestens. "Wir sind jeden Tag voll", sagt Kerkelova und lächelt.

Sonst lächelt kaum jemand an diesem Donnerstag im KVR an der Ruppertstraße. Die meisten schauen finster drein, auch diejenigen, die noch eine Wartenummer ergattern konnten und jetzt auf den Stufen und Bänken vor dem Behördeneingang warten, Kaffee aus Pappbechern trinken, rauchen und ihre Smartphones streicheln. Drinnen im Foyer wird nicht geraucht, natürlich nicht, dafür wird geflucht. Frechheit, Sauerei, Schikane, das sind so die beliebtesten Schimpfwörter an diesem Donnerstag, an dem das KVR eigentlich bis 15 Uhr geöffnet haben sollte. Jetzt ist es kurz nach halb zwölf und wer noch was braucht, ist schon zu spät dran.

Die Warteplätze im Kreisverwaltungsreferat sind meist belegt. (Foto: Robert Haas)

Zum Beispiel der Mittvierziger im Polohemd, der links einen Reisepass hält und rechts seinen Sohn an der Hand ins Foyer führt. Kaum drin, passen ihn die Security-Männer ab, die gleich zu fünft am Eingang stehen. Pass verlängern? "Geht nicht", sagt der Security-Mann, schon geschlossen, "wegen Überfüllung". Wie das bitte schön sein könne, fragt der Mittvierziger, erst gestern haben sie ihn wieder nach Hause geschickt, weil das Computersystem zusammengebrochen war - und jetzt das gleiche Spiel wieder. Warum er nicht schon früher am Morgen gekommen sei, fragt der Security-Mann. Der Mittvierziger deutet auf seinen Sohn, der habe bis jetzt Schule gehabt und den müsse er ja schließlich mitbringen, wenn er dessen Pass verlängern lassen wolle. Er habe extra einen Tag frei genommen, sagt der Vater, gestern schon und heute wieder. "Ich würde Ihnen gerne helfen, aber wenn es voll ist, ist es eben voll", sagt der Security-Mann, kramt einen Mini-Ventilator aus der Hosentasche und hält ihn unter seine Nase.

Es ist heiß im KVR, Sommer eben, und Sommer ist Reisezeit. Bald beginnen die Ferien. Und wer in den Ferien wegfliegt, braucht einen gültigen Pass oder Personalausweis. Wer den nicht hat, kommt in diesen Tagen ins KVR oder in eine der fünf Außenstellen. Dumm nur, dass dort ausgerechnet jetzt fast gar nichts geht. Im Zehnsekundentakt kommen die Menschen durch die Glastür ins Foyer, im Zehnsekundentakt machen die Menschen wieder kehrt. Und die Mitarbeiter jammern über das zickende Computersystem, das schon am Mittwoch abgeschmiert war und die Bürgerbüros lahmgelegt hatte. Dazu kommt der übliche Wahnsinn: massenhaft An- und Ummeldungen, Beglaubigungen, Anträge für Führungszeugnisse. Der Wahnsinn ist inzwischen Alltag im KVR, am Eingang hängt seit Wochen ein Schild, das vor stundenlangen Wartezeiten warnt.

Es ist heiß im Kreisverwaltungsreferat, und es ist voll. Wer mit kleinen Kindern kommt, ist besser dran als andere, weil er kürzer warten muss. (Foto: Robert Haas)

In all dem Chaos hat es Julia Friske noch gut erwischt. Sie hat eine rote Wartenummer bekommen und rot heißt: kürzere Wartezeit. Ein rotes Zettelchen kriegen Eltern mit kleinen Kindern und gebrechliche Menschen, also diejenigen, für die das Warten besonders anstrengend ist. Trotzdem sitzt auch Julia Friske schon seit einer halben Stunde auf einer Wartebank vor den Türen der Sachbearbeiter-Büros. "Wir nutzen die Zeit und machen Mittagspause", sagt sie, öffnet ein Glas Babybrei und füttert abwechselnd ihre Zwillinge, die vor ihr im Doppelkinderwagen liegen. Sie hat ein Formular der Familienkasse dabei, muss es im Bürgerbüro stempeln lassen, damit sie Kindergeld kriegt. Sie habe vorhin eine Bekannte getroffen, die aus dem gleichen Grund da war und drei Stunden gewartet habe. Drei Stunden. Für einen Stempel. "Dann muss die Stadt halt ein, zwei Leute mehr einstellen", sagt Friske.

Ein, zwei Leute? Werden natürlich nicht reichen, um das Chaos in den Bürgerbüros in den Griff zu kriegen und endlich genug Personal für immer mehr Kunden zu haben. Die Stadtbevölkerung wächst enorm und damit auch die Zahl der Behördengänge. Das ist längst bekannt, trotzdem hat die Stadt jahrelang einen Sparkurs gefahren, um Schulden abzubauen. Hat dafür die Personalkosten - und damit den Personalbedarf - künstlich nach unten korrigiert und so den Mangel in den Behörden selbst verschuldet. Das rächt sich jetzt. Immerhin: Vom Sparkurs ist die Stadt inzwischen abgewichen, erst Ende Juni hat der Stadtrat 70 neue Stellen für die Bürgerbüros genehmigt. Doch bis diese Stellen ausgeschrieben sind, das Personal ausgewählt, eingestellt und eingearbeitet ist, wird es noch Monate dauern. Dazu kommt, dass es auf dem Arbeitsmarkt kaum geeignetes Schalterpersonal gibt. Die Stadt sucht so verzweifelt, dass sie in den Bürgerbüros inzwischen nicht mehr nur Verwaltungsfachangestellte einstellt, sondern auch Bürokauffrauen und Steuerfachmänner.

Was die Probleme verschärft: Dem KVR fehlt es auch an IT-Personal, das Software-Pannen wie in dieser Woche schnell behebt oder dafür sorgt, dass es gar keine Pannen gibt. Auch hierfür wurden kürzlich acht weitere Stellen genehmigt, auch hier wird es aber dauern, bis Personal gefunden ist. Und ob die insgesamt 78 neuen Stellen tatsächlich reichen, ist auch nicht sicher.

"Ich habe mich beworben", aber mich wollten sie ja nicht", sagt eine junge Frau, sie steht am Eingang des KVR, die Sonnenbrille ins Haar geschoben, und raucht eine dieser Slim-Zigaretten. Ihr tun vor allem die Menschen am Schalter leid, "die sind überlastet, überfordert", da sei es kein Wunder, "dass die dann auch noch pampig werden". Erst kürzlich, sagt die junge Frau, habe sie doch einen Job bei der Stadt bekommen, im Wohnungsamt, dafür braucht sie jetzt ein Führungszeugnis. Ob sie das an diesem Donnerstag noch bekommt, wisse sie aber nicht. Sie wartet jetzt seit drei Stunden.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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