Bühnenshow:"Burlesque ist der Inbegriff weiblicher Erotik"

Bühnenshow: Federkrönchen, Tüllröckchen und High Heels: Elsie Marley liebt in ihrer Show die Mode der Zwanzigerjahre.

Federkrönchen, Tüllröckchen und High Heels: Elsie Marley liebt in ihrer Show die Mode der Zwanzigerjahre.

(Foto: Fotostudio Naglik)

Für Elsie Marley ist es ein feministischer Akt, sich auf der Bühne auszuziehen. Doch den Spaß an der Freizügigkeit der Künstlerin mit pakistanischen Wurzeln versteht nicht jeder - am wenigsten ihre eigene Mutter.

Von Esther Diestelmann

Als kleines Mädchen hat Nadja Gorn in den Schubladen ihrer Großtante gestöbert. Sie fand Korsagen und Reizwäsche. Das kleine Mädchen war fasziniert. "Ich bereue bis heute, dass ich die Korsagen aus Scham wieder zurückgelegt habe", sagt sie. Aber in ihrer Familie sei nie über Sex oder Erotik gesprochen worden, das sei ein Tabu gewesen.

Mittlerweile hat sich Nadja Gorn einen Künstlernamen zugelegt: Elsie Marley. Sie ist Burlesque-Tänzerin. Burlesque-Tänzerin mit pakistanischen Wurzeln. Ihre Mutter wuchs mit sieben Geschwistern in einer muslimischen Familie in Pakistan auf. Über London kam sie nach München, hier verbrachte Elsie Marley ihre Jugend. Heute lebt sie in einem Reihenhaus südlich von München, ihre Herkunft ist dort deutlich zu spüren. An der Wand ein Bild mit gelbem und rotem Currypulver, auf dem Boden Perserteppiche in den typischen Rottönen, über den Möbelstücken Stoffe mit kaleidoskopartig angeordneten Blümchenmustern.

"Viele erkennen das Feministische und Bestärkende an Burlesque nicht", sagt die 33-Jährige. So auch Teile ihrer eigenen Familie. Vor allem ihre Mutter schäme sich für sie. Mutter und Tochter vereint die Willensstärke, wenn sie auch in andere Richtungen geht. Ihre Mutter habe kämpfen müssen, um überhaupt studieren zu dürfen. Elsie Marley muss kämpfen, um von ihrer Mutter als Künstlerin wahrgenommen zu werden. Sie macht diese Show aus eigenen Stücken - und hat Spaß daran.

Elsie Marley hat die Haare zum Dutt gebunden. Die braunen Augen sind ungeschminkt. "Heute nähe ich nur an meinen Kostümen für die neue Show", sagt sie. Im Dezember feierte sie mit ihrer Theater-Company "The Magpie's Cabaret" Premiere. Burlesque mischt sich hier mit Kabarett und findet so zurück zu seinen Theaterwurzeln. So beschreibt zumindest sie ihr Programm. Elsie Marley macht eine Pause. Lehnt sich zurück. Nippt an ihrem Kaffee. Jede Bewegung hat etwas Dramatisches. Sie streckt ihren Rücken durch. "Mit der Company habe ich mir einen Traum erfüllt", sagt sie.

Vor zehn Jahren begann sie in England ein Performing-Art-Studium. Die anfängliche Leidenschaft für Shakespeare und Theaterdialoge verflog allerdings schnell. Zu geradlinig. Zu hierarchisch. Zu wenig Raum für eigene Ideen, fand sie. Ihre Abschlussarbeit über den Münchner Simplicissimus wollte sie einfach nur noch hinter sich bringen. Durch Zufall entdeckte sie am Wochenende nach ihrer Rückkehr aus England einen Burlesque-Workshop.

Der Hang zum Verruchten und Verbotenen

Dort lernte sie die Künstlerin Diva DeSaster aus der Burlesque-Tanzgruppe "Filly Follies" kennen. Ob sie moderieren und improvisieren könne, fragte die Tänzerin. "Das war praktisch das Einzige, was ich in England wirklich gerne gelernt habe", antwortete sie. Eine Woche später stand Elsie Marley zum ersten Mal als Moderatorin auf der Bühne. "Da darf ich mich bis heute aber nicht ausziehen, ich bin ja der Host", sagt sie ein klein wenig wehmütig, als sei es etwas Trauriges. Schon immer habe sie einen Hang zum Verruchten und Verbotenen gehabt.

Ihre Befreiung, wie sie es nennt, kam vor drei Jahren mit der Wiedereröffnung des ehemaligen Münchner Strip-Clubs Pigalle. Als sich die neuen Inhaber auf die Suche nach einer gediegenen, aber frivolen Unterhalterin machten, fanden sie Elsie Marley. Am Premierenabend war es dann so weit. Das Pigalle war rappelvoll. Die Temperaturen in dem fensterlosen Etablissement um die 30 Grad. Sie sei noch unerfahren gewesen und habe sich ein billiges doppelseitiges Klebeband gekauft. Vor dem großen Finale kommt die wilde Charleston-Tanzeinlage. Und zum Ende der Einlage fallen ihre Pasties ab, die eigentlich ihre Brustwarzen bedecken sollten. Elsie Marley steht oberkörperfrei mit erhobenen Armen vor dem Publikum. Die Menge grölt. "Damit war das Eis gebrochen", sagt Elsie Marley.

Ihr Publikum ist überwiegend weiblich

Pasties, Federwimpern, Fascinators, kleine Hüte im Stil der Zwanzigerjahre, und Tüllröcke gehören ins Repertoire einer Burlesque-Tänzerin. Je länger sie von ihren Kostümen, dem Kitsch und der schönen Unterwäsche spricht, desto stärker spürt man ihre Leidenschaft für die Bühnenshow. Es seien eben in erster Linie Kleidungsstücke, die Frauen schön finden, sagt sie: "Burlesque ist der Inbegriff weiblicher Erotik." Es gehe eben nicht darum, den Männern zu gefallen. Schönheitsideale der Neunzigerjahre - Frauen mit Konfektionsgröße 90-60-90 - oder der aktuelle Magerwahn seien nicht relevant auf der Bühne.

Viel wichtiger sei es, selbstbewusst, albern und humorvoll zu sein, die perfekte Figur braucht man dafür nicht. Auch deshalb ist das Publikum zu 70 Prozent weiblich. "Männer wollen lieber Frauen sehen, die sich ausziehen und sie dabei lasziv ansehen", sagt Marley und zieht ihren rechten Nasenflügel samt Piercing hoch. Sie selbst langweilt dieses banale Ideal weiblicher Ästhetik. Burlesque mache Frauen durch die spielerischen Elemente vom Objekt zum Subjekt. Gerade deshalb verstehe sie auch die Scham ihrer Mutter nicht.

"Ich produziere meine eigenen Shows, ich führe Regie, ich entscheide, was auf der Bühne passiert", sagt sie. Mit ihrer Theater-Company hat sie einiges vor. Burlesque mit narrativen Elementen und einer stringenten Geschichte einem breiten Publikum zugänglich machen. "Fast wie im Theater", sagt sie und lacht. Sie lasse sich doch nicht einbremsen, nur weil die Tante oder der Onkel etwas Schlechtes über sie denken könnten.

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