Süddeutsche Zeitung

Bücherverbrennung:Das Gras und die Erinnerung

Sie brannten gut, 1933, die Bücher von Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Bertolt Brecht und vielen anderen. Heute erinnert nichts mehr an das grausige Spektakel - außer Wolfram Kastner, der unbequeme Künstler, der nun schon zum dritten Mal den Rasen auf dem Königsplatz abfackelt.

MARKUS ZEHENTBAUER

Damals, am 10. Mai 1933, als kurz vor Mitternacht auf dem Münchner Königsplatz Bücher verbrannt wurden, regnete es in Strömen. Doch dem Feuer konnte das wenig anhaben - die Münchner Studentenschaft hatte die Sache gut vorbereitet, und so verbrannten die Bücher von Kurt Tucholsky, von Erich Kästner, Bertolt Brecht, Egon Erwin Kisch, von Heinrich Mann und vielen anderen. 50.000 Menschen sollen das grausige Spektakel verfolgt haben.

Gestern Vormittag, 71 Jahre später, nieselte es, als sich ein kleines Grüppchen auf dem Königsplatz einfand: der Künstler Wolfram Kastner, Kamerateams, Fotoreporter, Eingeweihte. Bis heute gibt es kein Mahnmal an dem Ort, an dem die Bücherverbrennung stattfand. Und deshalb brannte Kastner nun zum dritten Mal einen schwarzen Kreis in den Rasen. "Damit kein Gras über die Erinnerung an den Beginn der Brandstifterei wachse", wie er es sagt. Das Wetter kam Kastner dabei ganz recht. "Dann dauert es zwar länger, aber dafür raucht es mehr, das ist besser fürs Bild."

Neun Jahre ist es jetzt her, dass der Münchner Künstler hier zum ersten Mal einen Brandfleck machte. Seitdem hat er die Aktion in mehr als zehn deutschen Städten wiederholt und immer wieder versucht, für den Königsplatz noch einmal eine Genehmigung zu bekommen. Gelungen ist ihm das erst dieses Jahr wieder. Inzwischen, nach all den Jahren, hat sich auch der Schwerpunkt seiner Aktionen verschoben.

Heute richtet sich Kastner weniger an die Spaziergänger, die Schaulustigen, sondern an die Medien: Das Foto in der Zeitung, die Fernsehbilder sind es, um die es ihm geht. Und so wirft er seinen Gasbrenner schon für die Kameras an, bevor es wirklich losgeht. Routiniert zieht er dann einen präzisen Kreis, nahe dem Fußweg vor der Antikensammlung. Das bläulich brennende Gas ist kaum zu sehen, dafür glühen die einzelnen Grashalme orange auf, am Boden entstehen Flammen. Ganz langsam tastet sich Kastner voran, damit auch die Stängel des Hirtentäschel und die dicken Löwenzahnblüten versengen.

Nach der Hälfte hört er auf, beschreibt noch einmal die Nacht vor 71 Jahren. "Das war der Auftakt von allem was folgte. Erst brannten die Bücher, dann die Menschen", sagt er in Anspielung an Heinrich Heine. Später gibt er den Gasbrenner an Ernst Grube weiter, der aus einer jüdischen Familie stammt und das Konzentrationslager Theresienstadt überlebte. "Wir müssen die Gedenktage nutzen. Es geht darum, Menschen zu mobilisieren und Aufmerksamkeit zu erregen", sagt er.

Zumindest Aufmerksamkeit haben sie erreicht. Dass nur wenige Passanten die Aktion verfolgten, findet Grube allerdings "schade". Mehr Leute kommen erst, als eine paar Schritte weiter Schriftsteller, Schüler und Studenten aus den Büchern lesen, die 1933 in die Flammen flogen. Hanne Hiob, eine Tochter von Bertolt Brecht, hat einen ganzen Bücherstapel mit eingemerkten Textstellen mitgebracht. "Alles, was man vergisst, kommt wieder eines Tages", sagt die 82-Jährige. "Das Erinnern ist besonders für die Jugend wichtig."

Lehrerin Barbara Schmidt-Loebe, die Tucholsky liest, findet den Brandfleck "etwas kümmerlich". Sie hofft, dass er "irgendwie integriert wird, wenn es einmal das Dokumentationszentrum gibt". Ein Passant, der mit dem Fahrrad gekommen ist, hätte sich ein stärkeres Zeichen gewünscht. "Eine wirkliche Bücherverbrennung vor der Uni, das wäre etwas Handfestes, weil es ja damals die Professoren und Studenten verantwortet haben", findet er. "Es ist nur die Frage, was man verbrennen könnte."

Wolfram Kastner ginge so ein Projekt zu weit. Er hält sich weiter an den symbolischen Akt, hofft darauf, ihn jedes Jahr am Gedenktag wiederholen zu können, und er freut sich diebisch über seine Briefwechsel mit dem Baureferat. Diesmal hieß es aus den Amtsstuben, das Gartenbauamt werde die Stelle mit Rollrasen ersetzen. Die semantische Nähe zu rollenden Panzern hat wohl nur der Künstler bemerkt.

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