Buchpalast:Mit Blick auf mehr

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Seitenweise Unterhaltung: Das "Bilderbuchkino" im Schaufenster des Haidhauser Buchpalasts

Von Barbara Hordych, München

Durch eine gläserne Schleuse steigen die Kinder in weißen Raumanzügen in ein gelbes Raumschiff. Das Schiff, das wie ein Schulbus anmutet, legt ab, fliegt auf eine schmale Mondsichel zu - und landet. Das Bilderbuch "Ausflug zum Mond" des amerikanischen Grafikers John Hare erzählt beim weiteren Umblättern, was passiert, als eine Schulklasse im All ein Kind verliert. "Das Großartige daran ist, dass es dem Autor gelingt, seine Geschichte ganz ohne Text zu erzählen, alle Gefühlsregungen werden allein über Haltungen und Gesten geschildert", sagt die Buchhändlerin Katrin Rüger. Obwohl das trödelnde Kind wortlos unter seinem blickdichten Helm bleibe, schaue man ihm direkt in die Seele. Das im Moritz-Verlag erschienene Bilderbuch, das vor einigen Tagen für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, hat sie für ihr "Bilderbuchkino" ausgewählt, das sie seit Anfang der Woche im Schaufenster ihrer Haidhauser Buchhandlung Buchpalast installiert hat. Am Donnerstag läuft es im Erdgeschoss der Kirchenstraße 5 ganztägig über den Bildschirm, auch wenn das Geschäft dann geschlossen sein wird.

"Die Idee zum Bilderbuchkino kam mir, als ich am vergangenen Freitag in der Früh hier mit den 40 Büchern stand, die ich aus den Neuerscheinungen für die diesjährige ,Kindergartenausstellung' zusammengestellt hatte", sagt Rüger. Viele Jahre war sie selbst Jurorin beim Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis, jetzt ist es ihr Leseclub "Bücherfresser", der als Jugendjury fungiert, derzeit alle Neuerscheinungen für die Nominierungen im kommenden Jahr sichtet. Als Expertin für die jungen und ganz jungen Leser sind Rügers Empfehlungen gefragt - doch die Kiste für die Kitas wurde am Freitag Morgen nicht mehr im Laden abgeholt. Tags zuvor war bekannt geworden, dass die Kindertagesstätten und Schulen bis auf weiteres schließen würden.

Im Schaufenster ihres Buchpalasts zeigt Inhaberin Katrin Rüger zwei Wochen lang täglich wechselndes Bilderbuchkino. (Foto: Stephan Rumpf)

"Stattdessen standen dann Eltern bei mir im Laden, mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf, weil sie überhaupt keinen Plan hatten, wie sie die nächsten Wochen mit ihren Kindern überhaupt gestalten sollten", sagt Rüger. Ihren Buchpalast verstehe sie als Ort der Geschichten, sich selbst als Vermittlerin, die die Geschichten zu den Kindern bringe. "Also überlegte ich mir, was wir in der nächsten Zeit an ,tätiger Nachbarschaftshilfe' ohne zuviel sozialen und körperlichen Kontakt leisten könnten." Ein wenig ähnele ihre Aufgabe derjenigen, die die kleine Maus Frederick in Leo Lionnis Kinderbuchklassiker übernehme: Der sammelt den Sommer über nicht Körner und Nüsse wie seine Artgenossen, sondern Sonnenstrahlen, Farben und Wörter. Vorräte, mit denen er dann die anderen in den kalten, grauen und langen Wintertage erfreuen kann.

"Auch wenn man die Spielplätze mit seinen Kindern vermeidet, muss man doch zumindest einkaufen gehen oder mit seinem Kind einen Spaziergang um den Block machen", sagt Rüger. Und da biete es sich an, für zehn Minuten einen Halt vor dem Schaufenster des Buchpalasts zu machen, unter dem grünen Lichtsegel auf der kleinen Bank Platz zu nehmen und eine der täglich wechselnden Bilderbuchgeschichten zu verfolgen. Für erst einmal zwei Wochen habe sie das Programm geplant, Verlage wie Hanser, Beltz & Gelberg und Peter Hammer haben ihr die Bilddateien ihrer Bücher zur Verfügung gestellt. Eine kreative Idee in Zeiten der Corona-Krise.

Selbst wenn das Geschäft geschlossen sei, könne das Bilderbuchkino weiterlaufen, sagt Rüger. Denn Mitinhaberin Friederike Wagner wohne in der Nähe, werde jeden Tag kurz vorbeikommen, um ein neues Bilderbuch in Gang zu setzen.

Noch decken sich die Menschen mit Vorräten ein, "und wer Voraus schaut, hat dabei auch an Bücher gedacht", sagt Rüger. Am Donnerstag wird es indes eher so sein wie auf der fremden, kargen Mondoberfläche, die auf den kleinen vergessenen Erdbewohner (und damit auch auf die Betrachter) Signale der Unwirklichkeit aussendet. Umso tröstlicher ist es mit anzusehen, wie in diese Welt, weit weg in Raum und Zeit, dann doch noch die Farbe kommt, durch das Kind mit seinem großen Spiralblock und der Schachtel Buntstifte, die es wie zufällig in der Hand hat. Denn bei seinem "Ausflug zum Mond" bleibt das Kind nicht lange alleine. Und natürlich, so viel sei verraten, kehrt auch die Fähre wieder um.

Katrin Rüger hat die Erfahrung gemacht, das viele Eltern beim "Vorlesen" gar nicht gemerkt hätten, dass dieser Geschichte der Text fehle. Gute Bücher böten eben viele Gesprächsanlässe - sie seien Inseln der Ruhe und des Miteinanders. Am Freitag wird dann Susannne Strassers "Fuchs fährt Auto" über den Bildschirm sausen. Das weitere Programm ist der Homepage unter www.buchpalast.de zu entnehmen.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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