Buchmarkt:Lesen mit Lasten

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Von Antje Kunstmann bis Random House, von Maro bis Piper: Kleine wie große Buchverlage leiden unter Umsatzeinbußen - und bereiten sich mit unterschiedlichen Strategien auf den Herbst vor

Von Antje Weber

Ein Deichschaf hat Silke Weniger gerettet, fürs Erste. Die Tiergeschichte "Ollis Fest" von Karen Nölle, im Fernsehen als "Seelenmedizin" gepriesen, hat sich im April gut verkauft. "Sonst wäre es furchtbar gewesen", erzählt die Verlegerin der Edition fünf am Telefon. Optimistisch ist Silke Weniger, soeben von einem Branchennetzwerk zur "Bücherfrau des Jahres" gewählt, trotzdem nicht. Das Herbstprogramm hat sie verschoben; die Münchner Verlegerin und Agentin spricht von einem "Realitätsschub" angesichts der virusbedingten Krise und stellt sogar die Zukunft ihrer kleinen Edition in Frage: "Zu viel Idealismus kann auch irgendwann in die Altersarmut führen."

Wie geht es den Verlagen in München und Bayern? Müssten sie, die in stillen Zeiten zuhause für Lesestoff sorgen, nicht eigentlich zu den Gewinnern der Krise gehören? Schön wär's; doch die wochenlange Schließung der Buchhandlungen, dazu eine zeitweise eingeschränkte Auslieferung von Online-Händler Amazon haben sich umgehend ausgewirkt. Um das breite Spektrum zu verdeutlichen, ein schneller Sprung vom Mini-Verlag zum Branchenriesen: "Die Lage ist schon ernst", sagt Thomas Rathnow am Telefon. Als Geschäftsführer von Random House ist er verantwortlich für 47 Münchner Verlage, von Kösel bis Luchterhand. Zwar glaubt Rathnow, dass Buchhandel und Verlage in den ersten Virus-Wochen schnell und kreativ reagiert und so "ein gutes Bild abgegeben" hätten; deutlich sei geworden, wie "existenziell wichtig" das Lesen vielen Menschen sei, "der Zugang zu Büchern, der Austausch von Ideen und Geschichten". Doch er hält es für "unabsehbar", wie viele Buchhändler die Krise überstehen werden: "Da wird es traurige Verluste geben." Und auch für die Verlage wertet er die Lage als "Riesen-Herausforderung".

Ein Blick auf die Zahlen: Die vom Börsenverein ermittelten Buchhandels-Umsätze im April waren 33 Prozent niedriger als im Vorjahresmonat; Belletristik verkaufte sich 28 Prozent weniger, Sachbücher brachen um 42 Prozent ein, Reisebücher gar um 76 Prozent. "Not amusing" nennt Klaus Beckschulte, Geschäftsführer des Landesverbands Bayern, diese Zahlen. "Richtig gut geht es keinem", fasst er zusammen; für die in den vergangenen Jahren ohnehin krisengeplagten Verlage seien die Umsatzeinbußen "ein richtiger Nackenschlag". Nirgendwo gehe spurlos vorüber, dass im Frühjahr weniger verkauft wurde, man aber gleichzeitig neue Herbstprogramme stemmen müsse: "Man hat nicht nur keine Einnahmen, man hat hässlicherweise auch zusätzliche Ausgaben." Spürbar sei, wie sehr die persönliche Beratung im Laden gefehlt habe. Das gehe "sehr zu Lasten der kleinen Verlage", die ohnehin weniger sichtbar seien.

Fragt man dahingehend bei den unabhängigen Verlagen herum, wirken die meisten dennoch gefasst. "Wir kommen mit einem blauen Auge davon", hofft Antje Kunstmann, die sich mehr noch um die Autoren sorgt, um die Buchhandlungen. Sie vergleicht die Situation mit Tschernobyl in den Achtzigerjahren und kritisiert das zur Religion gewordene Gesetz des Wachstums: "Wir werden uns alle einschränken müssen." Natürlich, die Frühjahrsproduktion habe es "weggeschossen", es gibt Kurzarbeit, und für den Herbst habe man ein paar Titel rausgenommen - aus Angst vor einem "schwarzen Loch".

Ein "Hauen und Stechen" im Herbst erwartet auch Jürgen Kill von Liebeskind. Er hat daher beschlossen, "kein übermäßiges Risiko einzugehen" und verzichtet wie Silke Weniger auf ein Herbstprogramm. Da er vor dem Virus "gute Monate" hatte und als kleiner Verlag flexibel agieren könne, sei er "relativ entspannt - noch". Dass er das Jahr wohl mit Verlust abschließen werde, nehme er in Kauf, nur "ins offene Messer" dürfe er nicht laufen. Eine "Kannibalisierung" im Herbst befürchtet auch Alexander Strathern von Allitera; er hat allerdings entschieden, aufgeschobene Titel dann trotzdem zu bringen: 18 werden es sein, drei mehr als sonst. Auch Allitera hat die Krise bisher "einigermaßen abgefedert" und zum Beispiel die "Newsletter-Frequenz hochgeschraubt", um Kunden direkt zu erreichen. Ohne Soforthilfen und Kurzarbeit aber "wäre es wirklich schwer".

Der Augsburger Maro Verlag ist vom Lockdown ebenfalls "kalt erwischt" worden: "Buchstäblich von einem Tag auf den anderen waren die Bestellungen der Buchgroßhändler weg, manche Kollegen in den Buchhandlungen stornierten die Vormerkungen oder schickten ältere Bücher zur Gutschrift zurück", so Benno Käsmayr. "Gleichzeitig standen Vorschusszahlungen für Lizenzen und Übersetzungen an." Mit Soforthilfe des Bundes hofft man auch in Augsburg glimpflich davonzukommen - traurig ist Käsmayr aber darüber, dass man die für Anfang Mai geplante Feier zum 50-jährigen Verlagsbestehen fürs Erste absagen musste. "Statt Nachbestellungen kamen Remittenden", erfährt man auch von Laura Jacobi vom Erlanger Homunculus Verlag, der in diesem Jahr immerhin fünf Jahre alt wird. Natürlich habe es Umsatzeinbußen gegeben, konnten die Frühjahrstitel viel schlechter beworben werden. Auch Homunculus hat Titel verschoben; Kurzarbeit hat der Verlag bisher nicht angemeldet, sondern die Kreativität angekurbelt - etwa mit einem Krimispiel in Briefform, den "Crime Letters".

Einen Offenen Brief haben dagegen die "Münchner Buchmacher" in Umlauf gebracht. Sieben in diesem Verbund vernetzte kleine Verlage bitten Stadt und Freistaat um Unterstützung, und sei es durch ein zeitweiliges Ladengeschäft zu Sonderkonditionen: "Wir stehen mit dem Rücken an der Wand." Und es scheint sich etwas zu tun: Ein Runder Tisch zur Förderung unabhängiger Verlage werde am 26. Mai in kleiner Runde nachgeholt, teilt das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst auf Anfrage mit; außerdem verweist man auf die Hilfsprogramme der Staatsregierung, die ja noch erweitert werden sollen.

An die großen Verlage sind solche Programme nicht gerichtet; dass jedoch manche ihrer Autoren und Übersetzer darauf angewiesen sind, ist anzunehmen. Wie spürbar sich ausbleibende Lesungshonorare bei den Autoren auswirken, beschreibt auch C.H. Beck-Pressechefin Ulrike Wegner. Dem Verlag selbst seien durch die Schließung der Buchhandlungen die Umsätze um etwa 15 Prozent eingebrochen - doch man hoffe angesichts einer meist hohen Verweildauer der Beck-Titel in den Läden darauf, dass die Verkäufe wieder an Fahrt aufnehmen. Das traditionsreiche Haus kommt bisher ohne Kurzarbeit aus, verzichtet jedoch großteils auf gedruckte Vorschauen und vorläufig auf den einen oder anderen Titel: Neues von Fußballer Philipp Lahm zum Beispiel wird man erst im Herbst 2021 erfahren.

Auch beim Hanser Verlag hat man Titel geschoben, dort ist wie bei Piper und Random House derzeit Kurzarbeit und viel Homeoffice angesagt. "Nach wie vor durchwachsen" umreißt Pressechefin Christina Knecht die Lage. "Der Literaturverlag schlängelt sich recht gut durch die Krise", bei den Fachzeitschriften und im Bereich Tagungen und Messen allerdings breche vieles ein, was sich natürlich aufs Gesamtergebnis der Gruppe auswirke. Da heißt es umso lauter trommeln: "Wir erwarten einen extrem starken Herbst", kündigte Hanser-Verleger Jo Lendle im Börsenblatt an.

Auch Verlagsleiterin Felicitas von Lovenberg setzt auf das Prinzip Hoffnung: Bei Piper und den weiteren Verlagsmarken sei "die Stimmung optimistisch". In den vergangen Wochen habe man sich bemüht, die Verbindung zwischen Lesern, Autoren, Handel und Medien "bestmöglich aufrecht zu erhalten". Und es habe zuletzt zwei wichtige Premieren gegeben: Via Videokonferenz habe man den Vertriebskollegen die Herbsttitel präsentiert, und die Lektoren hätten auf diesem Wege auch schon ihre Bücher fürs nächste Frühjahr vorgestellt. Das habe "prima geklappt und viel Vorfreude geweckt".

Pfeifen im Walde? Eine verständliche Strategie angesichts einer unwägbaren Zukunft. "Keiner weiß genau, wie sich die Situation weiterentwickelt", sagt Thomas Rathnow von Random House. Man könne nicht vorhersagen, wie sich die Krise auf das Verhalten der Kunden auswirke; immerhin seien Bücher ja "eine relativ günstige Form der Unterhaltung und Information, an uns wird wahrscheinlich nicht als erstes gespart werden". Und man könne nur hoffen, dass es keinen zweiten Lockdown gebe: "Das wäre sicherlich verheerend." Bei Random House habe es, in einer Größenordnung wie bei C.H. Beck, "schon erhebliche Umsatzrückgänge" gegeben. Daher verschiebt man auch in der Neumarkter Straße unter anderem literarische Debüts. Bücher dagegen, die von den Lesern leichter "gesucht und gefunden" werden könnten, werde man "mit Verve" verlegen und vermarkten. Die Krise beschleunige dabei Entwicklungen wie die Digitalisierung, auch beim Marketing.

"Es müssen sich alle wirklich Mühe geben, um gut und sicher aus diesem Jahr rauszukommen", sagt Rathnow. Ein schönes Bild dafür findet man zum Beispiel in der Herbstvorschau von Hanserblau: Der Büchermarkt habe sich "notgedrungen einer Fastenkur unterziehen müssen", heißt es da, "doch bekanntlich kann Verzicht den Fokus schärfen und sich positiv auf die Lebensdauer auswirken".

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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