Süddeutsche Zeitung

"Bookclub and Friends":Warum eine junge Frau einen Buchclub gründete

Der Begriff "Buchclub" klingt nicht gerade spannend. Julia Loibl sieht das anders. Jeden Monat wählt sie einen Roman aus und bringt junge Menschen an einen Fleck, um miteinander über Bücher zu diskutieren.

Von Sandra Langmann

In einem verzierten Krug stehen Blumen. Noch ein paar Teelichter werden verteilt und Kissen auf die Stühle gelegt. Julia Loibl, 27, geht einen Schritt zurück und betrachtet den gedeckten Tisch vor dem Kaffeehaus Fika. "Das ist genau meins." Nicht zu viel Deko, nur ein bisschen. Sie legt noch ein Buch neben die Vase. Die Gäste können kommen.

Viel Liebe und etwas Perfektionismus steckt Julia in ihren Buchclub "Bookclub and Friends", den sie im Februar gegründet hat. An diesem Tag trifft sich die Gruppe zum vierten Mal. "Ich werde häufig komisch angeschaut, wenn ich sage, dass ich einen Buchclub gegründet habe", sagt Julia. Und sie versteht das auch irgendwie. Schließlich denkt man dabei an gelangweilte Akademiker oder Nerds mit fehlendem Kontakt zur Außenwelt.

Doch Buchempfehlungen und Ratschläge sind gefragt, und zwar außerhalb der üblichen Bestsellerlisten. Stars wie Reese Witherspoon stellen auf Instagram Bücher vor. Es gibt zahlreiche Onlineforen und auch ein paar virtuelle Buchclubs. Doch außer ein paar Kommentaren, die dort gepostet werden, passiert in solchen Foren nicht viel.

Julia störte es, dass so wenig über Bücher gesprochen wurde - wo Bücher doch so viel erzählen über Menschen, über Schicksale. Auf einer Party redete sie dann spontan stundenlang mit einer fremden Clique über Bücher und merkte, dass es anderen genauso ging wie ihr. Dass es so leicht ist, mit fremden Menschen über Autoren und Bücher zu sprechen. Ganz ungezwungen, wie unter Freunden. Julia arbeitet für ein Modemagazin und trägt ein schwarzes Sommerkleid mit Knopfleiste. Sie ist kein Buch-Nerd, wie man ihn sich vielleicht vorstellt.

"Für die beste Gastgeberin", sagt Markus Schnieber, 27, und hält Julia einen Blumenstrauß unter die Nase. Er ist einer von zwei Jungs, die an diesem Abend mit dabei sind. Er arbeitet als Redakteur bei einem Fashionmagazin. Mittlerweile hat sich das Kaffeehaus gefüllt, die Stimmung ist ungezwungen an diesem Abend, es wird gequatscht, Getränke werden bestellt. Die bezahlt jeder selbst, denn Julia führt den Buchclub in ihrer Freizeit und hat kein Budget zur Verfügung. Aber das macht nichts. Wenn man sich mit Freunden trifft, ist das ja auch so.

Dann geht es auch schon los mit der Diskussion. Bis auf Philipp Köpp, 24, Journalismus-Volontär, haben alle "Dunkelgrün fast schwarz" von Mareike Fallwinckl gelesen. Ihm fehlte die Zeit, trotzdem ist er an diesem Abend dabei. Er findet es cool, hier auf Bücher aufmerksam gemacht zu werden, die er sonst nicht lesen würde. Ann-Kathrin Wermekes, 30, im Projektmanagement tätig, ist fast immer dabei und liest zu Hause, wann immer sie kann. Aber "Dunkelgrün fast schwarz" hat ihr gar nicht gefallen. Viel zu dunkel. Ausgelesen hat sie es trotzdem. Sie wollte dann doch wissen, wie es weitergeht.

Wenn ein Buch Julia berührt, wählt sie es für den Buchclub aus. "Ich muss etwas für mich mitnehmen können", sagt sie. Moderne Belletristik ist am besten, denn die spiegelt den Zeitgeist wider. Für Herbst hat Julia ein Buch ausgewählt, das sich mit Abtreibung beschäftigt. "Dafür möchte ich einen Experten dazuholen. Statistiken und Fakten sind bestimmt ganz spannend."

In ihrem Beruf als Kulturredakteurin hat sie tagtäglich mit all jenen Themen zu tun, die auch in Büchern eine Rolle spielen: Politik, Wirtschaft, Kunst. Dabei wollte Julia zuerst Medizin-Journalismus studieren. Eine Nische finden. Außerdem hat sie als Kind gar nicht viel gelesen. Erst mit der Stelle als Kulturredakteurin kam ihre Begeisterung für Bücher. Und als sie dann anfing Autoren wiederzuerkennen und mitreden konnte, war das schon ganz cool.

Für Julia sind Bücher nicht nur cool, sondern auch wertvoll

"In die Bücher reinschreiben? Das geht gar nicht", sagt eine junge Frau gerade und die meisten am Tisch stimmen ihr zu. Mittlerweile reden zehn junge Leute, über Lieblingsbücher und absolute No-Gos. "Die Frauencharaktere sind schon etwas schwach", sagt Ann-Kathrin über ein Buch, "die haben mich richtig aggressiv gemacht." Zwei Stunden wird diskutiert. Mal hitzig, mal entspannt.

Junge Leute

München lebt. Viele junge Menschen in der Stadt und im Umland verfolgen aufregende Projekte, haben interessante Ideen und können spannende Geschichten erzählen. Auf dieser Seite werden sie Montag für Montag vorgestellt - von jungen Autoren für junge Leser. Lust mitzuarbeiten? Einfach eine E-Mail an die Adresse jungeleute@sueddeutsche.de schicken. Weitere Texte findet man im Internet unter http://jungeleute.sueddeutsche.de oder www.facebook.com/SZJungeLeute. SZ

13 junge Leute sind mittlerweile da. Julia ist mit der Größe der Gruppe zufrieden. "Mehr als 25 sollten es nicht werden, sonst kommt der Einzelne zu kurz", sagt sie. Für Julia sind Bücher nicht nur cool, sondern auch wertvoll. "Meine Mama hat einmal mit mir so geschimpft, als ich ein Buch kaputt gemacht habe. Das ist wohl hängen geblieben." Seitdem steckt sie ihre Bücher in Umschläge. Sogar hier im Kaffeehaus hat sie einen dabei. Nur zur Sicherheit, man weiß ja nie. "Das sind eben meine Ticks", sagt sie und lacht.

Weil Julia die neuesten Bücher auswählt, gibt es die nur als Hardcover und noch nicht als Taschenbuch. Vielen ist das zu teuer. Deswegen denkt Julia an Book-Sharing. Inspiriert wurde sie da durch Philipp. Er hatte sich das Buch nicht rechtzeitig gekauft. Weil er es lesen wollte, hat er es sich von einer Freundin geliehen. Sie legte es in einem Eiskaffee um die Ecke ab, er holte es ein paar Stunden später. Eine gute Idee, findet Julia. Und so könnte man den Buchclub erweitern, in dem man die Bücher weiter gibt und nach Berlin, Wien oder Kanada schickt. Künftig soll auch ein zusätzlicher Newsletter die interessierten Leser auf dem neuesten Stand halten.

Dass sich der Aufwand lohnt, davon ist Julia überzeugt. Bücher verschwinden nicht, sie haben nur mehr Konkurrenz bekommen. Von Podcasts. Oder Netflix. Gelesen wird noch, ist sich Julia sicher. Und sie muss es schließlich wissen. Immerhin liest sie zehn Bücher im Monat. Auch, wenn einige für den Beruf nur an- oder quergelesen werden. "Aber zehn sind es immer", sagt sie.

Im Kaffeehaus sind die Teelichter heruntergebrannt, die Getränke leer, die Gespräche aber noch kein bisschen leiser. Es geht schon lange nicht mehr nur um Bücher, sondern auch um das Thema Freundschaft. Warum trifft man sich immer wieder mit Menschen, die einem nicht gut tun? Warum möchte man anderen gefallen? "Auf Instagram ist keiner, wie er wirklich ist", sagt Julia. Wer liest, lernt sich hingegen immer wieder neu kennen.

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Quelle:
SZ vom 05.08.2019/huy
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