Buch zum 250. Todestag:Der Architekt der Münchner Wunderwerke

Buch zum 250. Todestag: Die Fertigstellung seines letztes Werkes, die Hauptfassade der Theatinerkirche, erlebte Cuvilliés nicht mehr.

Die Fertigstellung seines letztes Werkes, die Hauptfassade der Theatinerkirche, erlebte Cuvilliés nicht mehr.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Der Hofbaumeister François de Cuvilliés schuf unter anderem die Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark oder das Palais Holnstein in der Kardinal-Faulhaber-Straße.
  • Zum 250. Todestag Cuvilliés veranstaltet die Akademie der Schönen Künste (Max-Joseph-Platz 3) am Donnerstag, 12. April, 19 Uhr, einen Abend mit Musik, Vorträgen und einem Podiumsgespräch.

Von Wolfgang Görl

Sein letztes Werk war die Hauptfassade der Theatinerkirche, die beim Bau der von Kurfürst Ferdinand Maria und seiner Gemahlin Henriette Adelaide gestifteten Kirche unvollendet geblieben war und gut hundert Jahre als monumentale Ziegelmauer den Anblick eines Provisoriums geboten hatte. Dann endlich beauftragte Kurfürst Max III. Josef den Hofbaumeister François de Cuvilliés, Pläne für die Fertigstellung der Fassade zu entwerfen.

Im April 1766 erfolgte die Grundsteinlegung, die Vollendung seines Werks erlebte Cuvilliés nicht mehr. Er starb - vor 250 Jahren - am 14. April 1768. Zwei Tage später wurde er in der Abenddämmerung zu Grabe getragen, Fackeln flackerten im Wind, Posaunen erklangen, drei Fahnenträger, zwölf schwarz verhüllte Gugelmänner, diverse Bruderschaften und viele andere Trauergäste gaben dem "Herrn Franz von Cuvillie Churfürstl. Hof Cammer Rath seel." das letzte Geleit.

Die Bestattungsszene wird in dem soeben erschienenen Buch "François de Cuvilliés" geschildert, das Albrecht Vorherr im Allitera Verlag herausgegeben hat. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen, die im Licht jüngster Forschungsergebnisse das Leben, insbesondere aber das Werk des herausragenden Rokoko-Künstlers unter die Lupe nehmen.

Der wunderbare Monsieur Cuvilliés: Es ist ja nicht nur das jeden Besucher in Staunen versetzende Cuvilliés-Theater, das er den Münchnern hinterlassen hat - er, der Zauberer, der Regisseur von Träumen. Graziös, elegant und mit erlesenem Geschmack hat er die Traumgebilde in die Wirklichkeit transferiert, in die luxuriöse höfische Welt des Rokoko, für die er Wunderwerke wie die "Reichen Zimmer" der Residenz, die Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark oder das Palais Holnstein in der Kardinal-Faulhaber-Straße schuf.

Aber Cuvilliés war nicht nur Architekt, er war auch, modisch gesprochen, "Rokoko-Designer". Darüber berichtet der Kunsthistoriker Max Tillmann, der sich in seinem Beitrag den Möbeln und den Dekorationen widmet, die Cuvilliés für die "Reichen Zimmer" geschaffen hat. Da ist zum Beispiel die kleine Skulptur des Herkulesknaben, der, soeben aus dem Schlaf erwacht, einer angreifenden Schlange in letzter Sekunde den Hals umdreht. Die Figur ist Teil eines Konsoltisches aus der Zeit um 1730, der so gestaltet ist, dass er sich nahtlos in das künstlerische Gesamtkonzept des Zimmers einfügt.

Buch zum 250. Todestag: Das Cuvilliés-Theater, das nach der Zerstörung der Residenz im Krieg im Apothekenstock wieder eingerichtet wurde.

Das Cuvilliés-Theater, das nach der Zerstörung der Residenz im Krieg im Apothekenstock wieder eingerichtet wurde.

(Foto: Imago)

"Diese Möbel", schreibt Tillmann, "wollen durch ihren von Cuvilliés geprägten Rocaillenstil mit der Gestaltung des Wanddekors aus Lambris und Spiegelrahmen zusammen gesehen werden." Was den kleinen Herkules betrifft, ist er mehr als nur ein neckisches Spiel mit der antiken Mythologie. Mit ihm wird ein politischer Anspruch formuliert, den Kurfürst Karl Albrecht, der spätere Kaiser Karl VII., in der österreichischen Erbfolgefrage geltend machte. "Nach alter Überlieferung", konstatiert Tillmann, "soll die schreckliche Schlange, die vom bärenstarken bayerischen Herkulesbaby stranguliert wird, ganz selbstverständlich das Haus Österreich repräsentieren."

Gerade weil man in erster Linie die großen Architekturschöpfungen dieses Rokokomeisters im Blick hat, ist es verdienstvoll, dass der Fokus auch auf die Designkunst Cuvilliés' gerichtet wird. Auch wenn man weiß, dass die prunkvolle Selbstinszenierung absolutistischer Fürsten mit Blut, Schweiß und Tränen der Untertanen erkauft wurde, ist es faszinierend, die geist- und reizvollen Schöpfungen zu betrachten, welche die höfische Kultur hervorgebracht hat. Nicht zuletzt gilt das auch für die ephemere Prachtentfaltung, mit der Feste und Feierlichkeiten begangen wurde.

So schildert der Kunsthistoriker Christian Quaeitzsch, der in der Museumsabteilung der Schlösserverwaltung arbeitet, den ungeheuren Aufwand, den Künstler aller Art unter der Regie Cuvilliés' betrieben haben, um den Dominoball im Alten Residenztheater zu dekorieren, mit dem 1785 die Hochzeit der jüngsten Schwester des Kurfürsten gefeiert wurde. Arkadenreihen, geschmückt mit grünem Laub und Blumengirlanden, verwandelten den Saal in eine paradiesische Traumkulisse, ebenso die zwischen duftenden Pomeranzenbäumen sprudelnden Fontänen und die säulengeschmückte Grottenwand, aus der eine zweistufige Kaskade in ein Wasserbecken rauschte - das alles für ein paar Stunden exquisiten Amüsements.

François de Cuvilliés - ein illegitimer Sohn des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel?

Je mehr man über die stupende, stets auch beziehungsreiche und mit ikonografischen Verweisen gespickte Kunst dieses Mannes liest, desto mehr möchte man über ihn selbst wissen. So wäre das Buch noch interessanter, enthielte es eine systematische, die wichtigsten Lebenslinien nachzeichnende Biografie des Meisters. Da diese fehlt, muss sich der Leser den Lebenslauf Cuvilliés' gewissermaßen zusammenklauben - was angesichts der Fülle an Informationen allerdings auch ganz gut gelingt. Von besonderem Wert ist dabei der Aufsatz von Hermann Neumann von der Bauabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung. Da gibt es nämlich zwei Rätsel, die Neumann gerne lösen würde.

Das eine betrifft seine Herkunft, genauer gesagt, die Frage: Wer ist sein Vater? Cuvilliés kam im Oktober 1695 in der Kleinstadt Soignies im Hennegau im heutigen Belgien auf die Welt. Vater war offiziell der Leineweber Nicolas Cuvelier. Doch bis heute kursiert die Vermutung, der kleinwüchsige François sei ein illegitimer Sohn des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel gewesen, der ja viele Sprösslinge aus amourösen Extratouren hatte.

Buch zum 250. Todestag: Prunkvolle Kulisse für kurfürstliche Feste und Kunst: Die von Cuvilliés gestaltete Grüne Galerie, die zum Komplex der Reichen Zimmer in der Residenz gehört.

Prunkvolle Kulisse für kurfürstliche Feste und Kunst: Die von Cuvilliés gestaltete Grüne Galerie, die zum Komplex der Reichen Zimmer in der Residenz gehört.

(Foto: Catherina Hess)

Für die These spricht, dass Cuvilliés, der 1706 in Mons als Hofzwerg in die Dienste des im Exil weilenden Kurfürsten getreten war, nach der Rückkehr Max Emanuels ins heimische München eine vierjährige Ausbildung in Paris genießen durfte und in erstaunlich kurzer Zeit zum Hofbaumeister avancierte. Anders gesagt: Der Kurfürst hielt in väterlicher Weise seine Hand über ihn. Aber genügt das, um die Vaterschaft zu beweisen? Wohl kaum. Das sieht auch Neumann so, weshalb man sagen muss: Cuvilliés war ein Wittelsbacher oder auch nicht.

Leider ist auch kein Porträt des Rokokomeisters überliefert, zumindest keines, das über jeden Zweifel erhaben wäre. Neumann hat das nicht ruhen lassen, er hat sich auf Bildersuche begeben, etwa im Cuvilliés-Theater, in der Amalienburg oder in der Schlosskapelle Sünching. Und ja, in den dortigen Bildwerken könnten Cuvilliés-Porträts versteckt sein. Dafür sprechen etwa gewisse physiognomische Eigenheiten sowie Symbole, die auf seinen ersten Job als Hofzwerg hinweisen. Das alles sind wiederum Indizien, aber keine unumstößlichen Beweise.

So muss Neumann ernüchtert bekennen: "Weder ein archivalischer Beleg für die Vaterschaft des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel bei François des Cuvilliés dem Älteren noch ein signiertes oder eindeutig zuschreibbares Porträt des Architekten können als Abschluss dieser Untersuchung vorgewiesen werden."

Als Max Emanuel, der nach der Niederlage gegen die kaiserlichen und englischen Truppen 1704 bei Hochstädt geflüchtet war, elf Jahre später wieder nach München zurückkehrte, hatte er eine illustre Schar meist französischer Künstler im Schlepptau, darunter auch Cuvilliés. Diese erhielten, wie Gabriele Dischinger in ihrem Aufsatz schreibt, Logis in einem verwaisten Trakt der Herzog Maxischen Residenz, also in der Maxburg, der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Nebenresidenz der Wittelsbacher. Cuvilliés, nach seinen Pariser Studienjahren zum Hofbaumeister ernannt, kam 1728 in den Genuss einer kostenlosen Dienstwohnung in der Maxburg. Vorangegangen war ein Avancement: Kurfürst Karl Albrecht, Sohn und Nachfolger des 1726 gestorbenen Max Emanuel, hatte Cuvilliés mit dem bis dato ranghöheren Hofbaumeister Joseph Effner gleichgestellt. Auch privat tat sich was: Im November 1730 heiratete Cuvilliés die Kaufmannstochter Maria Barbara Blomaerts.

Die Arbeits- und Atelierräume in der Maxburg bildeten in diesen Jahren eine Art Kreativwerkstatt, in der Künstler wie der Metallbildhauer Guillielmus de Grof, der Gartenarchitekt Dominique Girard, der Tapissier François Drouyn, der Ornamentschnitzer Wenzeslaus Miroffsky und eben auch Cuvilliés Hand in Hand arbeiteten. 1742 musste Cuvilliés seine Dienstwohnung räumen, er zog mit seiner Familie - das Paar hatte neun Kinder - in die Fürstenfeldergasse. Dort starb seine Frau 1753 im Kindbett. Nach einem zweiten Parisaufenthalt heiratete Cuvilliés 1758 die vermögende Landshuterin Charlotte von Freinhueber auf Dornwang, mit der er eine Wohnung in der Burggasse bezog.

Jeanne Philippine du Ry, die Tochter eines Kollegen, hat den rätselhaften Mann in einem Brief von 1749 so charakterisiert: "Herr Cuvilliés ist (. . .) sehr klein, aber gut gebaut; weder schön noch hässlich, aber sehr mager, und er sieht krank aus. Er redet nicht viel, aber was er sagt, ist gut gesprochen. Sein Wissen kann ich nicht beurteilen, aber es scheint mir nicht, als ob er prahle. Ich finde sein Wesen sehr sanft und gesetzt, die maßvolle Art seines Auftretens könnte an seinem Alter liegen."

Albrecht Vorherr (Hg): François de Cuvilliés. Rokoko-Designer am Münchner Hof. Allitera Verlag, 242 Seiten, 29,90 Euro. Zum 250. Todestag Cuvilliés veranstaltet die Akademie der Schönen Künste (Max-Joseph-Platz 3) am Donnerstag, 12. April, 19 Uhr, einen Abend mit Musik, Vorträgen und einem Podiumsgespräch.

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