Bryan Ferry in München:Zurück in die Zukunft

Bryan Ferry in München: Bryan Ferry in München: Ganz bei sich mit Coverversionen

Bryan Ferry in München: Ganz bei sich mit Coverversionen

(Foto: Imago Stock&People)

Bryan Ferry gastiert mit großem Orchester im Tollwood-Zelt in München. Aber was macht der "Sexiest Singer Alive"? Dixieland statt Roxy Music. Später reißt er mit interessanten Neuinterpretationen von Coverversionen und Klassikern seine Gäste doch noch vom Stuhl.

Von Lars Langenau

Bei Bryan Ferry beschleicht einen dieselbe bange Frage wie bei vielen anderen Recken der 70er, 80er und 90er Jahre: Spielen die noch immer die gleichen Sachen wie damals? Gibt es Entwicklung - oder sind diese Musiker gefangen in einer Zeitschleife? Andererseits hoffen genau darauf auch viele aus dem Publikum: Die alten Gassenhauer mitsingen oder zumindest mitsummen zu können und sich damit zu vergewissern, dass sie (noch) nicht unter Alzheimer leiden.

Deshalb sind solche Konzerte immer ein Risiko. Zumal gestern Abend in München ziemlich gute Alternativen spielten, wie ein Kollege auf Facebook zum Besten gab: "Band of Horses, Bonnie Raitt, Vampire Weekend, Haim, Glen Hansard, Bryan Ferry, Nas, Guitar Wolf - heute gibt es sich München aber (ok, BoH ist Dachau ) ... Und Filmfest ist ja auch noch." Man sollte in diese imposante Aufzählung noch den phantastischen Saxofonisten Charles Lloyd mit aufnehmen, der im Amerikahaus spielte. Aber jetzt stand erst mal Bryan Ferry an, der mit 67 (!) Jahren von einer Frauenzeitschrift gerade zum zweiten Mal in Folge zum "Sexiest Singer Alive" gewählt wurde.

20 Minuten ohne Bryan Ferry

Doch dann das: Statt Bryan Ferry steht in dem nicht ganz ausverkauften großen Zelt des Tollwood-Festivals erst mal 20 Minuten lang nur sein Orchester auf der Bühne - und bietet: Dixieland. Diese Musik aus den Jahren nach 1910, als Weiße versuchten, schwarzen Jazz aus New Orleans nachzuahmen. Eine Stilrichtung, die heute in Biergärten am Sonntagmorgen zum Frühschoppen zu hören ist - und den imaginären Stempel trägt: reaktionäres Südstaaten-Gejaule. Gespielt von gesetzten Männern im mittleren Alter an ebenso alten Blasinstrumenten mit suboptimaler Banjo-Begleitung.

Na super. Wäre jetzt auch keine Überraschung mehr, wenn gleich Woody Allen mit seiner Klarinette die Bühne betreten würde statt eines stilsicheren Dandys namens Ferry aus Newcastle.

Irgendwie hatten wir uns das anders vorgestellt mit der Weiterentwicklung - und wünschen uns in diesem Moment zu einem der alternativen Konzerte. Doch dann lässt die Neuinterpretation des Roxy-Music-Klassikers "Avalon" aufhorchen: Sehr eigenwillig, aber sehr interessant. Wenn man also anderen Musikern Stillstand vorwirft, dann ist es dieser nostalgische Ausflug ein Jahrhundert zurück in der Musikgeschichte gerade nicht. Das erinnert eher an: Zurück in die Zukunft.

Und wenn das doch eher Swing als Dixieland ist? Wir werden misstrauisch. Als dann noch der Klassiker "Just like you" ganz anders klingt, horcht man auf. Und plötzlich steht Bryan Ferry leibhaftig im schwarzen Anzug mit weißem Hemd auf der Bühne, inklusive dreier Background-Sängerinnen, und einer eigenwilligen, neuartigen Interpretationen von "Love is a Drug" oder "Back to Black" von Amy Winehouse.

Gelebte Popkultur

Interessant, das schon. Die wahre Erlösung kommt aber erst, als nach geschlagenen 35 Minuten mit "The Same Old Scene" des wunderbaren Roxy-Music-Albums "Flesh and Blood" das erste Rockstück gespielt wird und sich die Swing-Bläser in Funk-Musiker verwandelten. Jetzt muss sich die achtköpfige Big Band unterordnen: Zwei Gitarristen, ein Bassist, eine Schlagzeugerin, ein Mann an den Keyboards treten dazu. Soulig und schmissig werden nun die Interpretationen. Bryan Ferry, das ist von diesem Zeitpunkt an gelebte Popkultur!

Irgendwie neu, obwohl wahrlich alt

Ganz bei sich ist Ferry dann mit der Coverversion von Bob Dylans "Knockin' on Heaven's Door" - und natürlich (nach 50 Minuten) mit "Jealous Guy", dem Eifersuchtslied von John Lennon, das bereits Roxy Music schon immer intimer interpretierten als das Original. Da ist er, der alte Popper, der verwegene Lebemann Bryan Ferry, da ist endlich Roxy Music. Und da sind klare Gitarrenriffs und eine eigentümliche elektronische Mischung aus Pop, Rock, Soul, Jazz. Das Publikum dankt es ihm nun mit Standing Ovations.

Süß, wie diese Stilikone da mit ihren dünnen Beinchen wippt und ins Mikrofon pfeift und die Leute von den Stühlen reißt. Doch nach einer Stunde: Wieder Revuenummern mit Dixieland. Abermals lässt sein Orchester die "Goldenen Zwanziger" Jahre auferstehen. Das irritierte schon in der Neuverfilmung des "Großen Gatsby" von Baz Luhrmann, zu dessen Filmmusik das Bryan Ferry Orchestra einige Stücke beisteuerte. Doch wie sagte er kürzlich im Interview mit dem österreichischen Magazin Profil: "Ich wollte nach 'For Your Pleasure', diesem sehr dunklen und depressiven Album, leichtere, beschwingte Musik machen. Außerdem wollte ich nicht mehr ständig meine eigenen Ängste thematisieren." Hätte er mal.

Die erste Enttäuschung kann man auch nicht auf den breiigen Sound schieben, der einen auf den Seitenplätzen erwischt. Direkt hinter den Mixern ist der Sound klar und rein, doch so ein riesiges Zelt ist schwer zu beschallen. Leider wurde man hinter den Mixpulten zunächst von den Ordnern des Platzes verwiesen, die ihre Vertreibungspolitik dann aber doch aufgeben müssen, als immer mehr Leute mithoppeln wollen.

Doch Bryan Ferry nutzt die Revueeinlagen seine Orchesters lediglich zum kurzen Kleiderwechsel. Ganz in Schwarz und cool wie eh und je tritt er erneut auf die Bühne und singt "Crazy Love" von Van Morisson und "A Hard Rain's A-Gonna Fall" von Bob Dylan.

Spätestens nach eineinhalb Stunden ist dann aus dem Sitzkonzert ein doch sehr kurzweiliges Stehkonzert eines durchaus feierwütigen Münchner Publikums geworden. "Let's stick Together" wird dann zur gemeinsamen Hymne. Bei der Zugabe "Move On Up" von Curtis Mayfield ist niemand mehr auf seinem Platz. Warum nicht gleich so?

Aber dann, im Nachhinein, einen Tag später, da denkt man sich: War irgendwie doch gut, das andere Zeug da mit dem Swing. War irgendwie neu, obwohl wahrlich alt. War wirklich: Zurück in die Zukunft.

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