Brustkrebs:Leben mit dem Risiko

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Gynäkologin Nina Ditsch leitet die Tumorsprechstunde am Klinikum Großhadern. (Foto: Robert Haas)

Seit sich Angelina Jolie ihre Brüste entfernen ließ, spricht die Welt über die BRCA-Mutation. Die meisten betroffenen Frauen entscheiden sich zwar gegen eine vorbeugende Brustentfernung. Doch die Angst vor dem Krebs prägt ihren Alltag. Zwei Frauen erzählen.

Von Theresa Authaler

Manchmal wünscht sich Verena Finke, sie hätte den Gentest gar nicht machen lassen. Vor sieben Jahren gab die heute 31-Jährige eine Blutprobe ab. Seitdem weiß sie: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkranken wird, liegt zwischen 60 und 80 Prozent. Der Grund dafür ist ein Abschnitt ihrer DNA, das Gen BRCA1, eines der beiden bekannten Brustkrebs-Gene, ist bei ihr mutiert. Sie hat den Gendefekt von ihrer Mutter geerbt, die mit 45 Jahren an Brustkrebs starb.

Finke, die in Wirklichkeit anders heißt, könnte ihr eigenes Krebsrisiko senken, doch dazu müsste sie sich vorsorglich ihre Brüste entfernen lassen. Sie hat bereits mit mehreren Ärzten darüber gesprochen, doch zu der Operation konnte sie sich bisher nicht durchringen. "Was ist, wenn ich zu den 20 Prozent gehöre, die nicht krank werden?", fragt sie. Der Gedanke, sich einen gesunden Teil ihres Körpers vorsorglich wegschneiden zu lassen, erschreckt sie.

"Die meisten Frauen, die eine BRCA-Mutation haben, aber selbst noch nicht erkrankt sind, entscheiden sich gegen eine prophylaktische Brustentfernung", sagt die gynäkologische Oberärztin Nina Ditsch, die an der Frauenklinik der LMU in Großhadern für die Tumorsprechstunde verantwortlich ist. Doch die Zahl der prophylaktischen Brustabnahmen in Deutschland steigt. Und Ditsch glaubt, dass die Nachfrage nach vorbeugenden Brustoperationen in der nächsten Zeit noch zunehmen könnte. Seit bekannt wurde, dass die Schauspielerin Angelina Jolie ihre Brüste aus Angst vor Krebs entfernen ließ, klingelt in Großhadern das Telefon im Zwei-Minuten-Takt. Viele Frauen seien verunsichert und hätten Angst, dass auch in ihrer Familie die Genmutation vererbt wurde.

Doch eine Veränderung der Gene BRCA1 und BRCA2 ist selten. Weltweit sind 0,2 Prozent der Frauen davon betroffen. Mit einem mutierten BRCA-Gen steigt nicht nur das Brustkrebsrisiko. Auch die Wahrscheinlichkeit, Eierstockkrebs zu bekommen, erhöht sich deutlich. Zu einem Gentest raten die Ärzte zum Beispiel dann, wenn mehrere Personen in der Familie Brustkrebs oder Eierstockkrebs hatten.

Finke war 24, als sie von ihrer BRCA-Mutation erfuhr. "Ich war von der Situation überfordert", sagt sie. Sollte sie sich vorsorglich die Brüste wegoperieren lassen? Und auch die Eierstöcke? Sie verschob die Entscheidung auf später. Jetzt ist sie 31 und vor kurzem zum zweiten Mal Mutter geworden. Sie hat beide Babys gestillt, die Nähe zu den Kindern war ihr wichtig. Auch deswegen hat sie die Entscheidung über die vorsorgliche Brustentfernung weiter aufgeschoben. Während der Stillzeit ertastete Finke zweimal Veränderungen an ihrer Brust. "Ich hatte Angst, dass es jetzt auch bei mir losgeht mit dem Krebs und der Chemo und allem", sagt sie. Beide Male ging sie schnell zum Frauenarzt. Was sie ertastet hatte, waren aber nur harmlose Verhärtungen der Milchdrüsen. Trotzdem dachte sie plötzlich wieder über eine prophylaktische Brustoperation nach. "Es ist schon doof, wenn man sich bei jeder Kleinigkeit Sorgen macht."

Die Ärzte geben Frauen mit BRCA-Mutation keine Empfehlung. "Wir sprechen mit ihnen über die beiden Möglichkeiten, die es gibt", sagt Ditsch. "Die eine ist die prophylaktische Entfernung der Brüste, die andere die engmaschige Vorsorge." Engmaschige Vorsorge heißt: Zweimal pro Jahr Ultraschall, einmal pro Jahr Mammografie und MRT. Jede Frau müsse selbst entscheiden, welcher Weg für sie der richtige sei. Anders als beim Eierstockkrebs bei Frauen mit der Mutation: "Ab 40 raten wir dringlich, sich die Eierstöcke und Eileiter herausoperieren zu lassen."

40 bis 55 Prozent der Frauen mit verändertem BRCA1-Gen erkranken an Eierstockkrebs, bei verändertem BRCA2-Gen sind es zehn bis 20 Prozent. Früherkennung ist bei Eierstockkrebs kaum möglich, die meisten Patientinnen sterben an der Krankheit. Aus medizinischer Sicht spricht noch ein weiterer Grund bei BRCA-Mutation für eine Entfernung der Eierstöcke: Nach der Operation sinkt auch das Brustkrebsrisiko um etwa die Hälfte. Die niedrig dosierten Hormonpräparate, die eine Frau nach der Entfernung der Eierstöcke einnimmt, fördern eine Tumorentstehung wesentlich weniger als die natürlichen Hormone.

Petra Berger, 42, hat sich das alles von den Ärzten erklären lassen. All die Rechenspiele, wie welche Operation welches Risiko senken würde. Sie trägt ein mutiertes BRCA2-Gen in sich. Ihre Großmutter ist an Brustkrebs gestorben, ihre Mutter ist vor einigen Jahren erkrankt, ebenso ihre Tante. Berger, die ihren richtigen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will, hatte bisher Glück. Ein kleiner, gutartiger Knoten in der Brust, eine Zyste - mehr haben die Ärzte bei ihr nicht gefunden. Sie weiß, dass sich das bei jeder Vorsorgeuntersuchung ändern kann. Trotzdem lehnt sie prophylaktische Operationen ab, auch aus ethischen Gründen. "Ich bin nicht der liebe Gott", sagt sie. "Man kann im Leben nicht alles kontrollieren und planen."

Schon bald nach dem Gentest war ihr klar: Ihre Brüste wird sie behalten, so lange sie gesund sind. Das gehört für sie zum Frausein. Sie hat auch Bedenken, dass es nach einer Amputation nicht gelingen könnte, die Brust wiederaufzubauen. Das hat sie bei ihrer Tante erlebt, die Krebs hatte und sich die Brüste entfernen lassen musste. Sie wollte den Aufbau mit Eigengewebe machen lassen, doch ihr Körper nahm das Gewebe nicht an. "Heute hat sie am ganzen Körper Narben", sagt Berger.

Die Ärzte haben ihr empfohlen, sich zumindest die Eierstöcke herausoperieren zu lassen. Berger ist jetzt 42, hat eine Tochter und einen Sohn, weitere Kinder plant sie nicht. Aus medizinischer Sicht wäre es der perfekte Zeitpunkt für die Operation. Doch wenn eine Frau sich die Eierstöcke entfernen lässt, ist sie danach mitten in den Wechseljahren. Darauf hat Berger keine Lust, nicht mit 42. Ihre Kinder sind fast erwachsen, sie will sich endlich wieder auf ihr eigenes Leben und den Beruf konzentrieren. Hitzewallungen und schlechte Laune passen nicht in ihr Konzept.

Verena Finke würde das in Kauf nehmen. Mit 31 ist sie jedoch zu jung für die Eierstock-Operation. Sie möchte vielleicht noch ein drittes Kind. In letzter Zeit hat sie sich öfter mit Frauen ausgetauscht, die sich die Eierstöcke bereits entfernen ließen. Sie berichteten von Stimmungsschwankungen, aber keine von ihnen machte den Eindruck, durch die Wechseljahre plötzlich enorm gealtert zu sein. "Vielleicht", sagt sie, "wird das irgendwann mein Kompromiss: Ich lasse mir etwas früher als empfohlen die Eierstöcke herausnehmen, behalte aber meine Brüste."

© SZ vom 24.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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