Kritik:Glühender Kern

Mit einem eigenen Container im Werksviertel will das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zeigen, wie viel Kultur in 33 Kubikmeter passt.

Von Paul Schäufele, München

Das Container Collective im Werksviertel ist der glühende Kern des ohnehin heißen Münchner Ostens. Hier wird gefeiert, gehandelt und Musik gemacht. Mit etwas Glück kann man mit dem rechten Ohr ein Operettenpotpourri verfolgen, das vom Riesenrad herüberschwebt, und mit dem linken Mendelssohns Vierter aus BR-Lautsprechern lauschen. Denn mit einem eigenen Container wird das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zeigen, wie viel Kultur in 33 Kubikmeter passt.

Der Raum ist ein Studio, etwa um die "Education"-Linie des Orchesters zu unterstützen. Aber ein Open-Air-Veranstaltungsort ist er auch. Eine gut aufgelegte BRSO-Blechbläsergruppe spielt vom Dach des Containers Stücke von Chris Hazell, etwa das geschmeidige "Mr Jums" oder eine swingende Hommage ans Gurkenkraut ("Borage"). Akustisch ist das so gut und so schlecht wie jede Freiluftdarbietung, aber die Atmosphäre gewinnt: Man greife sich ein Radler (wahlweise: Negroni; auch Bionade ist möglich) und suche sich ein Plätzchen auf einer der begrünten Paletten. Da muss schon einiges im Argen liegen, um dabei schlechter Laune zu sein.

Traditionelle Konzertgänger, Beethoven-Versteher und Mahler-Enthusiasten, werden darauf vielleicht nicht sofort anspringen, aber darum geht es nicht. Das BRSO möchte nahbar sein, sich durch die Nähe zum Startup-Milieu neue Publikumsgruppen erschließen. Und doch: Manchmal scheint ein mild abgetönter Frust durch, etwa wenn Björn Wilhelm, Programmdirektor Kultur des BR, auf einen leeren Platz in der Nähe deutet und sagt: "Da wollen wir hin." Der Container ist so (unter anderem neben der Konzertreihe "Watch This Space") ein weiterer Punkt in dem Plan, sich ins Gedächtnis des Ortes einzuprägen. Gekommen, um zu bleiben. Am deutlichsten wird Weltgeigerin Lisa Batiashvili. "Rückwärts gehen geht gar nicht", sagt sie. "Es gibt keine Alternative zu diesem Saal!" Ein mahnender Zeigefinger hat sich als Seefrachtbehälter manifestiert. Er richtet sich gegen eine Politik, die sich zur Kulturförderung verpflichtet, aber im entscheidenden Moment Denkpausen einlegt.

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