Brienner Straße:Mehr als Luxus

Die einst prächtige Brienner Straße hat schwere Zeiten hinter sich: Doch nun bemühen sich Geschäftsleute, ein Viertel für eine ganz spezielle Kundschaft schaffen - die Münchner.

Christina Warta

Ein Mann sitzt mit geschlossenen Augen auf dem Podest des Reiterstandbildes und genießt die letzten Strahlen der Herbstsonne. Eine ältere Dame wird von ihrem Mops über den Wittelsbacherplatz gezerrt. Vorne an der Brienner Straße stauen sich mal wieder Autos und Reisebusse, die vom Odeonsplatz zum Oskar-von-Miller-Ring fahren wollen. Abseits der Fahrbahn aber geht es gemächlich zu an der Brienner Straße. Nur wenige Flaneure schlendern an den Schaufenstern entlang, Ministerialbeamte aus den nahen Behörden eilen gemessenen Schrittes vorbei. Die Gegend hinter der Theatinerkirche ist dabei, sich herauszuputzen für eine ganz spezielle Kundschaft: die Münchner.

Das Areal zwischen der Salvatorstraße im Süden und der Finkenstraße im Norden, dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus im Westen und dem Odeonsplatz im Osten ist eine nüchterne, sehr seriöse Gegend. Hier liegen das bayerische Finanz- und das Innenministerium, hier befindet sich die Konzernzentrale von Siemens, und auch viele Notare, Anwälte und Ärzte haben hier Büros gemietet. Im sogenannten Brienner Quartier trägt man öfter Anzug als Jeans. Die Haustüren sind mit Messing beschlagen, die Eingänge mit glänzendem Marmor verkleidet. Billig ist es anderswo. Gewöhnlich sowieso.

Im und rund um den Luitpoldblock haben sich in den vergangenen Jahren Geschäfte angesiedelt, die sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen deutlich von der Masse abheben. Der Leder- und Druckwarenhersteller Prantl zog vor vier Jahren an den Amiraplatz, das Schuhhaus Eduard Meier kam im Februar vergangenen Jahres, der Friseur Pauli vor einem Jahr, der Sportschuhspezialist Ertl-Renz vor zwei Monaten. Nicht wenige sind aus der Maximilianstraße geflohen, wo internationale Luxuslabels die Mieten in schwindelerregende Höhen gejagt haben. "Luxus hat auch seine Berechtigung", sagt Peter Eduard Meier. An der Brienner Straße aber geht es um Anderes, Gewichtigeres: um Qualität, Wert, Beständigkeit.

Dabei hat auch die Brienner Straße eine luxuriös-verschwenderische Vergangenheit. Auf dem Wittelsbach'schen Fürstenweg, ihrem Vorgänger, ließen sich Bayerns Regenten mit der Pferdekutsche vom Nymphenburger Schloss zur Residenz fahren. Carl von Fischer und Friedrich Ludwig von Sckell bauten die Königsstraße Anfang des 19. Jahrhunderts zur Prachtstraße aus, auch Klenze entwarf einige Gebäude. Der Luitpoldblock entstand 1812, damals noch vor den Stadtmauern.

1888 eröffnete im aufwändig renovierten Renaissancepalast das Café Luitpold: Unter imposanten Marmorsäulen debattierten in prächtig ausgestatteten Speisesälen Maler, Literaten und andere Kaffeehausgänger. Das Leben in der Residenzstadt pulsierte in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, die Bürger entdeckten die unterschiedlichsten Freizeitvergnügungen. Es verwundert nicht, dass auch im ersten Gehsteig-Café der Stadt in der Brienner Straße bei schönem Wetter nur selten ein Stuhl unter den Palmen leer blieb.

Doch der Zweite Weltkrieg beendete das Dolce Vita in der Brienner Straße, die ausufernden Feiern mit Tortenbüffet und Tanzmusik, den mondänen Lebensstil. Die Bomben der Alliierten zerstörten den Westtrakt des Café Luitpold. Erst in den sechziger Jahren ging es mit dem Quartier westlich des Odeonsplatzes wieder aufwärts. "Die Gegend war nichts Besonderes, als mein Vater 1962 das Café wiedereröffnete", sagt Tina Schmitz, geschäftsführende Gesellschafterin des Luitpoldblocks. Das Café wirkte wie ein Magnet: Chanel zog in die Gegend, Cartier ebenfalls. Eine Weile sonnte sich die Brienner Straße in ihrem neuen Glanz, doch schon bald zog der Luxus weiter in die Maximilianstraße. Die Läden an der Brienner Straße? "Standen leer", sagt Tina Schmitz.

Bloß keine Massenware, bloß keinen Ramsch.

Vor fünf Jahren beschlossen Eigentümer und verbliebene Mieter, das Problem selbst in die Hand zu nehmen. Sie gründeten den Marketingverein "Brienner Quartier" und finanzierten eine eigene Weihnachtsbeleuchtung. Viel entscheidender aber dürfte die Tatsache gewesen sein, dass in der Brienner Straße offenbar möglich ist, was in der Maximilianstraße das Sterben oder Abwandern der inhabergeführten Geschäfte befördert hat: angemessene statt horrender Mieten, langfristige Mietverträge statt Drei-Jahres-Fristen. "Wir nehmen keine Höchstmieten", sagt Tina Schmitz. Auch deshalb gibt es noch immer eine Apotheke und einen Blumenladen in der Gegend. Und: "Wir warten auf den richtigen Mieter." Lieber geduldig sein und am Ende an den Passenden vermieten als schnell an den Falschen.

So ist rund um den Luitpoldblock ein Einkaufsviertel entstanden, wie es in München kein vergleichbares gibt. Wer hier einkauft, der weiß, was er will: bloß keine Massenware, bloß keinen Ramsch. Dass dafür allerdings das Einkommen eines Gut- oder Besserverdienenden nötig ist, ist kein Geheimnis. "Das Gute ist zunächst oft teuer - auf Dauer aber eben nicht", argumentiert Peter Eduard Meier, der Gäste in seinem Laden im lederbezogenen Ohrensessel vor dem offenen Kamin empfängt.

So sehen es alle, die rund um den Amiraplatz eingezogen sind. Immer wieder fallen die Worte Qualität, Nachhaltigkeit, Handwerk, Individualität. Das Sortiment ist bisweilen recht gediegen: Hier bekommt man auch Gewehrtaschen für den Jagdausflug, kann vorgedruckte Einladungen zur Bockjagd erwerben oder historische Perserteppiche. Nicht wenige vormalige bayerische Hoflieferanten haben sich hier konzentriert, unter anderem Eduard Meier, Papierwaren Prantl, die ehemalige Hofkunsthandlung Galerie Wimmer und die renommierte Galerie Bernheimer.

Anderen eilt ihr Ruf auch ohne Hoftitel voraus: Die legendären Leica-Kameras etwa kann man seit Mai in der Brienner Straße kaufen, wenn sie denn lieferbar sind. "Die ersten sechs Monate haben unsere Erwartungen übertroffen", sagt Andreas Meenken zufrieden über den Verkauf. "Die Lage ist top, der Mix der Geschäfte sehr schön."

Wieder andere wollen gleich selbst eine Marke begründen. Stefan Pauli etwa, der in seinem Feng-Shui-Salon im ersten Stock des Luitpoldblocks nicht nur bekannte Politiker, Schauspieler und Models frisiert, sondern auch die Haare von ganz normalen Münchnern schneidet. "Ich würde hier am liebsten eine eigene Tradition starten", sagt Pauli und deutet durch die hohen Fenster seines Salons hinunter auf die Brienner Straße, wo sich schon wieder die Autos stauen.

Schon bald das münchnerischste aller Viertel?

Auch Martina Ertl-Renz, die frühere Ski-Weltmeisterin, arbeitet mit ihrem Mann Sven Renz an einer nachhaltigen Tradition: Ski- und Laufschuhe werden bereits maßangefertigt, bald soll es auch andere individuell angepasste Sportschuhe geben. Aus der Au ist Ertl-Renz in die Maxvorstadt gezogen. "Wir sind jetzt näher an unseren Kunden", sagt sie.

Die typische Brienner-Quartier-Besucherin hat vermutlich morgens einen Termin beim Arzt und lässt sich anschließend schminken beim Visagisten Horst Kirchberger. Dann macht sie Pause bei einem Cappuccino im Café, betrachtet die Kleider in den Schaufenstern des Modedesigners Guido Maria Kretschmer, sitzt Probe auf einem Sofa bei Pilati, bestellt handgenähte Schuhe bei Meier und Visitenkarten bei Prantl. "Das Publikum, das hier unterwegs ist, ist ein alteingesessenes", sagt dessen Geschäftsführer Clemens Stromeyer. Es weiß, was es will, marschiert in die entsprechenden Läden, kauft. Wohl auch deshalb sind, wirft man einen Blick in die Verkaufsräume, die meisten Geschäfte leer. Wer weiß, was er möchte, verplempert keine Zeit bei der Suche.

Jedoch: Eine richtig gemütliche Flaniermeile, deren Atmosphäre zum Shoppingbummel verführt, ist das Viertel noch nicht geworden. Natürlich gibt es bereits die Idee, das Stück Brienner Straße zwischen Odeonsplatz und Altstadtring für Autos zu sperren. "Eine Fußgängerzone", ruft jedoch Peter Meier, "das wäre eine Katastrophe." Die meisten seiner Kunden kämen mit dem Auto, sie würde das verprellen, glaubt er. "In der Residenzstraße hat uns die Fußgängerzone 20 Prozent Umsatzeinbußen gebracht", sagt Meier.

Ob es nun an den außergewöhnlichen Läden liegt oder dem allgemeinen Trend zur Nachhaltigkeit - die Geschäftsleute sehen ihr Viertel jedenfalls im Aufwind. "Diese Läden werden die Alternative zu den Ketten sein", sagt Clemens Stromeyer, "deshalb wird es hier in der nächsten Zeit einen Aufschwung geben." Und Peter Meier prophezeit: "In fünf Jahren wird das hier das münchnerischste aller Viertel sein."

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