Briefmarkensammeln:"Das lässt uns nicht mehr so verschroben erscheinen"

Lesezeit: 3 Min.

Jonas Vester (mit Kapuzenpulli) zeigt, wie man Briefmarken ablöst. (Foto: Catherina Hess)

"Social Philately" nennt sich ein Trend, der dem Briefmarkensammeln ein neues Image geben soll - und von dem bei einer Börse viel die Rede ist.

Von Anna Hoben

Von der U-Bahn-Station Kieferngarten aus muss man nur den Männern folgen, denen mit den Rucksäcken, den Stofftaschen, den Aktenkoffern, den Herrenhandtaschen. Drei Tage lang treffen sich Briefmarkensammler im Veranstaltungszentrum MOC, einem Ableger der Münchner Messe. Man trifft dort, zwischen Ständen mit Postkarten und Briefen, Alben mit noch weißen Seiten, Lupen, Pinzetten und natürlich sehr vielen Briefmarken aus verschiedenen Zeiten und aus aller Welt, unter anderem den Händler Wolfgang Lang. Er kann einem erklären, warum das Hobby längst nicht mehr so ist, wie sich jemand, der keine Briefmarken sammelt, das vermutlich vorstellt.

Natürlich gebe es immer noch die traditionellen Sammler, "die ihre Listen abhaken", sagt Wolfgang Lang - "aber das stirbt aus". Das Hobby habe sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Moderne Briefmarkenenthusiasten interessierten sich nicht mehr nur für das gezackte Viereck, gestempelt oder ungestempelt, sondern auch für die Postgeschichte, die Kultur der damaligen Zeit, die historischen Hintergründe - für das ganze Drumherum eben. Social Philately nennt sich das, eine Richtung, die vor allem von Australien aus entwickelt und vorangetrieben wurde. "Das lässt uns nicht mehr so verschroben erscheinen", sagt Lang. "Wir glauben, das ist der Trend, der uns retten kann."

Jürgen Tandler sucht Kostbarkeiten in Kisten. (Foto: Catherina Hess)

Zum Beispiel Thomas Höpfner, er ist Sprecher im Landesverband bayerischer Philatelistenvereine, ein Mann mit Krawatte und spitzbübischem Lächeln. Angefangen hat er als achtjähriger Junge, in seiner Familie war er der erste, der sich für Briefmarken interessierte. Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Höpfner sich zum ersten Mal die Post, die er in die Finger bekam, genauer ansah. Richtig ernsthaft habe er das Hobby dann als Jugendlicher betrieben, mit 18 Jahren hatte er erste Sammelgebiete. Ein Aufhören ist für ihn nicht vorstellbar, er wolle das noch weitere 30 Jahre machen, sagt er, und dabei leuchten seine Augen, als wäre er wieder der achtjährige Junge. Auch Höpfner hat traditionell angefangen und seinen Fokus mit der Zeit geweitet: hin zur Postgeschichte und Social Philately. Sogar beruflich beschäftigt er sich mit Briefmarken: Als Kommissionär sitzt er für wohlhabende Sammler in Auktionen und gibt Gebote für sie ab.

Social Philately, das erinnert an Social Media, und obwohl ja auch das Briefmarkensammeln ganz grundlegend mit Kommunikation zu tun hat, kann es doch ziemlich einsam sein. In einem Gang zwischen Regalen, die über und über mit grünen Plastikboxen gefüllt sind, sitzt an diesem Samstagmittag auf einem schlichten Stuhl Jürgen Tandler, 49. Er ist aus dem Nördlinger Ries angereist und verbringt jeden der drei Tage auf der Börse. Gerade ackert er den Regalmeter durch, den er sich für diesen Tag vorgenommen hat. Das bedeutet: all die Briefe und Postkarten in den grünen Boxen in die Hand nehmen und prüfen, ob etwas Interessantes darin steckt - oder eher darauf klebt. Damit ein Fundstück etwas wert ist, müssten vor allem "die Gebührensätze stimmig" sein; es muss also die richtige Menge an Briefmarken darauf sein. Schwer vorstellbar, dass das bei dem Brief, den er gerade in der Hand hält, der Fall ist: Rechnet man die vielen roten Marken zusammen, ist der Brief mit 24 Millionen Mark nach Plauen im Vogtland transportiert worden. Aber so war das eben während der Hochinflation in den 1920er-Jahren. Dank seiner Sammelleidenschaft lerne er viel über Geografie, sagt Tandler, von Beruf Ingenieur. Bei ahnungslosen Kandidaten in TV-Quizsendungen denke er sich immer, "das muss man doch wissen".

Apropos Quizsendungen. "Wie heißt die erste deutsche Briefmarke, die 1849 in Bayern herausgegeben wurde?" Das war bei Günther Jauch mal die Millionenfrage. "Schwarzer Einser" ist die richtige Antwort, und eben dieser Schwarze Einser, heute eine kostbare Rarität, ist als kompletter Doppelbogen auf der Börse zu bestaunen, am Stand des Auktionshauses Christoph Gärtner. "Da liegt ungefähr eine Dreiviertelmillion Euro", sagt der Mitarbeiter trocken, als er den Bogen, der demnächst zusammen mit dem Rest der Serie versteigert werden soll, aus der Vitrine fischt.

Ralf Vick präsentiert den berühmten "Schwarzen Einser". (Foto: Catherina Hess)

In der Mitte der Halle trifft man dann doch auch noch die traditionellen Sammler an, diejenigen, die Listen abhaken und komplette Sätze nach Katalog zusammenstellen. Etwa 30 dicke Alben besitze er, sagt Walter Dittmar, 68, aus Gauting - seine Sammlung erben werde leider niemand, "weil meine Söhne sich beide nicht dafür interessieren". Dass es den Philatelie-Nachwuchs aber schon auch noch gibt, beweist gegenüber zum Beispiel Jonas Vester, 11, der gerade anderen Kindern zeigt, wie man die Marken von Briefen ablöst. Im vergangenen Jahr hat er bei den Deutschen Mannschaftsmeisterschaften junger Briefmarkenfreunde mit seinem Team den dritten Platz belegt. Jonas spielt aber auch Basketball, geht schwimmen oder beschäftigt sich mit seinem Handy - wobei er da allerdings gerne mal in einem Onlinekatalog Briefmarken recherchiert.

Aus Odense in Dänemark ist der Händler Kim Faurschou mit seiner Frau Bitten angereist, eine der wenigen Frauen in der Halle. Wenn ihr Mann zu einer Messe fahre, erzählt sie, nehme sie Urlaub und helfe ihm. Sie habe früh gewusst, worauf sie sich einlasse. "Als ich ihn kennenlernte, fragte er, gehst du mit mir nach Hause, ich zeige dir meine Briefmarkensammlung. Da dachte ich, super, ein Mann mit Humor."

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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