Kunst im öffentlichen Raum:Ein Münchner Spross

Kunst im öffentlichen Raum: Gegenüber der Schwindinsel ragte die temporäre Installation "Bridge Sprout" des Ateliers Bow Wow aus Tokio bis vergangenen Dezember über die Isar. Viele Menschen hatten ihren Spaß daran, auf die "Brücke ins Nichts" zu gehen.

Gegenüber der Schwindinsel ragte die temporäre Installation "Bridge Sprout" des Ateliers Bow Wow aus Tokio bis vergangenen Dezember über die Isar. Viele Menschen hatten ihren Spaß daran, auf die "Brücke ins Nichts" zu gehen.

(Foto: Robert Haas)

Erst verhöhnt, dann als Selfie-Hotspot beliebt: Die "Bridge Sprout" an der Isar ist verschwunden. Ein Abgesang auf ein Kunstwerk im öffentlichen Raum, das man ins Herz geschlossen hatte.

Von Evelyn Vogel

Die Kunst im öffentlichen Raum, sie teilt sich grob in zwei Kategorien: Bei der einen denkt man - wenngleich nicht nur, so doch zuerst, weil auch historisch am ältesten - an Standbilder und Brunnen. Bei der anderen, die gegen Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem Schlagwort "Kunst im öffentlichen Raum" allmählich Form annahm, geht es meist um temporäre Kunstwerke.

Das können Gebäude, Treppen, Brücken, Boden- und freistehende Skulpturen sowie Installationen sein. Auch Bushäuschen, Pavillons, bewohnbare Denkmäler und Kirchen, Türme und Plattformen wurden da schon errichtet. Schrift-, Bild- und Lichtkunst, Fotografie und Video sind ebenso Formen wie in jüngerer Zeit digitale Kunstwerke bis hin zum Hologramm oder interaktive, übers Internet aktivierbare Kunst im öffentlichen Raum.

Mit manchen dieser Kunstwerken können alle irgendwie gut leben. Andere sind schon vor ihrem Bau umstritten. Und die Vorstellung, diese könnten länger als geplant stehen bleiben, sorgt dann nicht selten für heftige Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern. Die Diskussion darüber, wie sinnvoll Kunst im öffentlichen Raum ist, wofür sie steht, was sie bewirken kann, ist vielfältig und endlos.

Auch das Public-Art-Programm des Kulturreferats der Stadt München ruft regelmäßig unterschiedlichste Reaktionen hervor. Beispielsweise steht Alicja Kwades - auf Menschenmaß zurechtgestutzte - "Bavaria" seit Frühjahr 2020 an der Erhardtstraße, Ecke Corneliusbrücke, und scheint Passanten gleichermaßen zu erfreuen wie kaltzulassen. So wenig umstritten ihr Auftauchen war, so wenig dürfte die Verlängerung ihres Daseins bis Ende 2023 zu Aufruhr führen.

Ganz anders hingegen die "Bridge Sprout" des japanischen Ateliers Bow Wow. Die vulgo "Brücke ins Nichts" genannte Installation am Isarufer gegenüber der Schwindinsel war schon im Vorfeld mit teils wenig schmeichelhaften Titeln wie Mikado-Illusion, Jägerzaun, Dachstuhl, Rumpfobjekt, Luftbrücke oder Brückenattrappe belegt worden. Und die Bayernpartei versuchte sie bei der Abstimmung im Kulturausschuss der Stadt zu verhindern. Dabei reißen sich die Menschen normalerweise darum, sogenannte Brücken ins Nichts zu betreten. Aber da geht es ja auch um den Nervenkitzel über Abgründen jedweder Art.

Kunst im öffentlichen Raum: Alles eine Frage der Perspektive: Die "Bridge Sprout" bot viele Ein- und Ausblicke und wurde gerade in der Pandemie zum Selfie-Hotspot Münchens.

Alles eine Frage der Perspektive: Die "Bridge Sprout" bot viele Ein- und Ausblicke und wurde gerade in der Pandemie zum Selfie-Hotspot Münchens.

(Foto: Catherina Hess)

Die "Bridge Sprout" jedoch trumpfte nicht mit spektakulären Abgründen, sondern eher meditativen Momenten auf. Kaum stand das Brückenstück, das über dem Wasser endete und die Schwindinsel so zum Sehnsuchtsort machte, hatte man sie ins Herz geschlossen. Bei jedem Vorbeigehen, bei jedem Vorbeiradeln war ein Moment des Verweilens geboten. Zeitweilig kamen die Menschen so in Scharen, dass man coronabedingt sogar hätte Schlange stehen müssen, um sie zu betreten. Was dem meditativen Moment zugegeben weniger zuträglich gewesen wäre. Die Münchner "Brücke ins Nichts" war im Laufe ihres Dasein zum Selfie-Hotspot an der Isar geworden.

Nun endete diese Episode der Kunst im öffentlichen Raum nach zweimaliger Verlängerung kurz vor Weihnachten - sang- und klanglos - leider doch noch. Wir werden sie vermissen.

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